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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutsche Polizei macht Druck EU soll gigantische Waffen-Bestände auf dem Balkan aufkaufen
Das Bundeskriminalamt will Europa von einem Riesen-Waffendeal überzeugen: Um den Waffenschmuggel auszutrocknen, soll die EU viel Geld in die Hand nehmen.
Die Sicherheit in Europa wird zunehmend durch einen sich ausbreitenden Waffenhandel bedroht. Spuren führen auf den westlichen Balkan, wo immense Bestände aus den Jugoslawien-Kriegen gebunkert sind. Das Bundeskriminalamt, europäische Polizeibehörden und Regierungen prüfen deshalb, ob die EU die gewaltigen Schusswaffenarsenale aufkaufen und vernichten könnte.
Denn mehr als vier Millionen Schusswaffen lagern laut Interpol seit den Neunziger Jahren in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens. Die großteils offenbar ungesicherte Menge macht besonders den Polizeibehörden in Deutschland, Frankreich und Großbritannien Sorge. Das Bundeskriminalamt (BKA) bestätigte t-online.de Pläne, wonach die EU-Kommission Waffen aus diesen Beständen aufkaufen und vernichten könnte.
"Wir haben als BKA über die europäische Polizeizusammenarbeit angeregt, ob man nicht seitens Deutschlands und europäischer Partnerstaaten eine Initiative zu einem Ankaufprogramm ergreift", sagt Christoph Becker vom Referat zur Bekämpfung der Waffen- und Sprengstoffkriminalität. Über die Pläne seien nun Gespräche mit Ministerien, anderen Regierungen und Behörden im Gang.
"Der Bestand an Waffen, auch ehemaligen Kriegswaffen auf dem West-Balkan ist sehr hoch", sagt Becker. Sie seien zum Großteil noch unter staatlicher Aufsicht der Balkanländer. Aber: "Wenn diese Bestände nicht überwacht oder vernichtet werden, könnten sie in den illegalen Kreislauf gelangen." Allein beim bürgerkriegsähnlichen "Lotterieaufstand" in Albanien seien vor über 20 Jahren Lager mit bis zu 700.000 Waffen geplündert worden.
"Es geht um Tonnen"
Erhebliche Zweifel an der Sicherheit der staatlichen Lager hat die Bundesregierung schon früher geäußert. "Zahlreiche Studien kommen zu dem übereinstimmenden Ergebnis, dass die weit überwiegende Mehrheit der Lagereinrichtungen für Munition und Waffen in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens und Albaniens bisher nicht den hohen Sicherheitsstandards entspricht und dadurch eine latente Gefahr für unbeabsichtigte Explosionen und ein Potential für illegale Verbringung darstellt", heißt es in einer Regierungsantwort auf eine Bundestagsanfrage der Grünen.
"Es geht um Tonnen", erklärt BKA-Mann Becker. "Waffen wie die aus dem Zweiten Weltkrieg stammende Tokarew-Pistole, aber auch Maschinenpistolen." Herkunftsländer von Explosivstoffen und Schusswaffen sind laut BKA Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien.
Konkretere Zahlen gibt es beim BKA nicht. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen bestätigen aber einen immensen Waffenbestand auch außerhalb der staatlichen Lager: Jeder fünfte Erwachsene in Bosnien-Herzegowina sei im Besitz mindestens einer Waffe, im kleinen Kosovo seien 330.000 bis 460.000 Schusswaffen im Privatbesitz, in Serbien sollen es zwischen 200.000 und 900.000 sein.
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Quelle für die riesigen Waffenmengen sei "die hohe Verfügbarkeit von Schusswaffen infolge der Kriegswirren und des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawiens sowie die hieraus resultierenden unkontrollierten illegalen Lagerbestände der Nachfolgestaaten", heißt es im neuen Bundeslagebericht Waffenkriminalität. Deutschland sei von der "Einfuhr und Durchfuhr" solcher Waffenschmuggel betroffen.
Auch Terroristen nutzen die Waffen
Geschmuggelt wird die scharfe Ware oft im "Ameisenverkehr" auf dem Landweg in Pkw und Lkw, also in kleinen Portionen. Österreichische Medien berichten, oft würden dafür auch die schnell wachsenden internationalen Fernbuslinien genutzt.
Arbeiten Waffenhändler vom Balkan und Terroristen zusammen? Aktuell erkennt das BKA keine Bezüge zwischen Waffenhandel und Terrororganisationen. In der Vergangenheit haben islamistische Attentäter aber mehrfach Schusswaffen aus Balkan-Lagerbeständen bei Anschlägen eingesetzt.
In Deutschland wurde 2015 eine serbische Waffe sichergestellt, die nach Meinung der Bundesanwaltschaft für einen Terrorangriff genutzt werden sollte. Und kurz vor dem Bataclan-Massaker in Paris im November 2015 wurde bei Rosenheim der Fahrer eines Fahrzeugs aus Montenegro gestoppt, der mit acht Kalaschnikows, Handgranaten und 200 Gramm TNT-Sprengstoff wohl unterwegs nach Paris war.
Auch bei einem Überfall in der Karlsruher Nordstadt mit rein kriminellem Hintergrund kamen 2012 eine Pumpgun und eine Kalaschnikow aus Balkan-Beständen zum Einsatz. Damals tötete ein Mann mit diesen Waffen fünf Menschen, darunter einen Gerichtsvollzieher.
Vor allem eigentlich ungefährliche und erlaubnisfreie Deko-Waffen, die vor ihrer Entschärfung ursprünglich aus Beständen vom Balkan stammen, machen den Ermittlern Probleme. Laut Bundeskriminalamt werden sie auch von technisch versierten Tätern erworben, um sie wieder als tödlich wirkende Schusswaffen brauchbar zu machen. "Diese Waffen können Sie mit relativ geringen handwerklichen Mitteln wieder scharf machen", sagt BKA-Mann Christoph Becker. Die Vorschriften seien zwar europaweit verschärft worden. Aber nach wie vor gebe es Rechtslücken vor allem im Ausland.
Eine fünfstellige Zahl solcher rückgebauten Waffen ist in Deutschland bereits im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Strafgesetzbuch aufgefallen. Auch der Amokläufer von München verwendete eine wieder brauchbar gemachte ehemalige Deko-Pistole des Typs "Glock", gekauft im Darknet. Sie stammte zwar nicht aus Balkanbeständen, verdeutlicht aber das Problem. Das BKA will der Lösung nun mithilfe der EU-Kommission zumindest ein Stück näher kommen.
- Eigene Recherchen
- Bundeskriminalamt: Bundeslagebericht Waffenkriminalität 2017
- Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag: Drucksache 18/4916