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Volker Wissing: Wer ist der abtrünnige FDP-Verkehrsminster?


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Volker Wissing bleibt Minister
Ein harter Schlag für die FDP


07.11.2024Lesedauer: 5 Min.
Ampelkoalition in der KriseVergrößern des Bildes
Da war noch alles in Ordnung: Volker Wissing, Annalena Baerbock, Christian Lindner und Robert Habeck starteten optimistisch samt Selfie in die Ampelkoalition. (Archivbild) (Quelle: Volker Wissing/FDP/instagram/dpa/dpa-bilder)
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Volker Wissing stellt sich gegen seine Partei und übernimmt neben dem Verkehrsressort auch das Justizministerium. Seine Haltung hatte sich bereits angedeutet. Was treibt den Mann?

Es war ein passendes Bild. Als Christian Lindner nach seiner Entlassung als Minister am Mittwochabend vor die Presse trat, waren seine FDP-Minister an seiner Seite. Sie sollten ebenfalls ihre Posten in der Bundesregierung aufgeben. Nur einer fehlte: Volker Wissing. Später wurde klar, warum. Der Verkehrsminister widersetzte sich seinem Parteichef. Er tritt aus der FDP aus und will in der Regierung bleiben. Dafür übernimmt der Jurist nun zusätzlich noch das Justizministerium.

Zusammenhalt der Ampel stand für ihn im Fokus

Schon Ende vergangener Woche deutete sich sein Bruch mit der eigenen Parteiführung an. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erschien ein Gastbeitrag von ihm, in dem er sich klar für einen Verbleib der FDP in der Regierung aussprach. "Man kann sich zurückziehen und sagen: Da mache ich nicht mehr mit. Doch das wäre respektlos", schrieb er.

Er forderte mehr Kompromissbereitschaft und "auch unter schwierigen Bedingungen zu einem guten Ergebnis zu kommen". Sein Fazit: "Wir tragen die Verantwortung dafür, dass es gemeinsam gelingt."

Nicht nur seine Worte, auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung legten nahe, dass er sich zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr auf einer Linie mit Parteichef Lindner befand. Am selben Tag wurde dessen "Wirtschaftswende"-Papier bekannt, in dem er eine grundlegende Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik forderte. Dass SPD und Grüne auf diese Forderungen nicht eingehen würden, war dabei von Anfang an klar.

Schon längst nicht mehr auf Lindners Linie?

Für diese Koinzidenz gab es nur zwei Lesarten: Entweder Wissing war in die Pläne Lindners nicht eingeweiht oder die Meinungsverschiedenheiten waren zu dem Zeitpunkt schon so ausgeprägt, dass sie den Diskurs öffentlich austrugen. Wissing betonte jedenfalls bei der Ankündigung seines Parteiaustritts: "Parteiintern war meine Haltung allen seit Langem bekannt."

Offenbar war das auch zu den anderen Parteien durchgedrungen. Ohnehin war Wissing als Mensch beliebt bei den Koalitionspartnern. Persönlich schätzen ihn viele, heißt es aus Grünen-Kreisen. Kaum einer im Kabinett ließ in der Vergangenheit ein schlechtes Wort über Wissing fallen. Das Vertrauen war offenbar da: Schließlich habe Kanzler Olaf Scholz ihn in einem persönlichen Gespräch gefragt, ob er sein Amt als Verkehrsminister auch ohne die FDP-Kollegen fortführen wolle, erklärte Wissing in seinem Pressestatement.

Er betonte allerdings auch: "Ich distanziere mich damit nicht von den Grundwerten meiner Partei und möchte auch nicht in eine andere Partei eintreten." Er wolle keine Belastung für seine Partei sein. Lesen Sie Wissings Begründung hier im Wortlaut. Nun fragen sich viele: Wie konnte es so weit kommen?

Die Bindung zu Lindner war eng

Ursprünglich hatte Wissing eine sehr enge Bindung zu Lindner. Zusammen erlebten sie den vorläufigen Tiefpunkt der Partei, als diese 2013 aus dem Bundestag ausschied. Lindner berief ihn 2020 zum Generalsekretär, nachdem dessen Zusammenarbeit mit Linda Teuteberg gescheitert war. Für die Entscheidung, das Amt zu übernehmen, sei auch ausschlaggebend gewesen, dass er die Zusammenarbeit mit Christian Lindner "wirklich schätze", sagte Wissing damals dem "Tagesspiegel".

Doch das wandelte sich offenbar während der gemeinsamen Zeit im Kabinett, heißt es aus Regierungskreisen. Lindner räumte Wissing demnach keine Steine aus dem Weg, sondern im Gegenteil legte ihm eher welche auf diesen. Bestimmte EU-Vorhaben blockierte Wissing wohl auch auf Druck von Lindner.

2021 war Wissing noch einer der führenden Köpfe bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und der FDP. Sein Selfie mit Lindner und den damaligen Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck wurde zum Symbol für die neue Harmonie zwischen FDP und Grünen.

Wissing hatte Ampel-Erfahrung. 2016 ermöglichte er als Fraktionsvorsitzender in Rheinland-Pfalz eine solche Koalition. Im Vorfeld des Wahlkampfes soll er sich damals überlegt haben, wo man an die SPD anknüpfen könne. Er wollte die FDP anschlussfähiger machen. Für die Verhandlungen sei auch die Arbeit auf dem Weingut seiner Familie prägend gewesen, erzählte er damals: Durchhalten, Dinge zu Ende bringen – das habe er von zu Hause mitgenommen, sagte Wissing.

Rücksichtnahme als wichtiger Grundsatz

Später nannte er als Rezept für den erfolgreichen Zusammenhalt der rheinland-pfälzischen Koalition: "Rücksichtnahme ist sehr wichtig. Man sollte nicht sagen: Da haben wir uns durchgesetzt." Er mahnte: "So begeistert man vielleicht die eigenen Leute, produziert aber gleichzeitig einen Verlierer in den anderen Reihen."

Darin unterschied er sich offenbar von seinem Parteivorsitzenden, der in den vergangenen Monaten immer weniger Rücksicht nehmen wollte auf SPD und Grüne – sei es in der Wirtschaftspolitik oder bei Fragen um Rente und Bürgergeld.

Im Gegensatz zu dem Bündnis auf Bundesebene hatte die Ampel in Rheinland-Pfalz Bestand, sodass sich die drei Parteien nach der Landtagswahl 2021 auf eine Verlängerung einigten. Wissing verwies stets auf den Erfolg der dortigen Regierung. Er war bis zuletzt auch Landeschef in Rheinland-Pfalz.

Dort ist er nach wie vor verwurzelt. Noch heute wohnt er mit seiner Frau und seiner Tochter im ländlichen Rheinland-Pfalz. Seine wohlhabende Familie besitzt dort neben einem Weingut mehrere Immobilien, er selbst ist Mitinhaber einer Anwaltskanzlei.

Nun endet also eine nahezu mustergültige Parteilaufbahn. Schon als 28-Jähriger trat der Jurist 1998 in die Partei ein, 2004 rückte er in den Bundestag nach. Später wurde er Mitglied des Bundesvorstands und Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz.

2013 führte er die rheinland-pfälzische FDP als Spitzenkandidat in den Landtag. Er wurde Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident, bevor er in die Bundespolitik zurückwechselte.

Erfolgreiche Zeit als Landesminister

Als Landesminister war Wissing beliebt. Er sei inhaltlich qualifiziert, in Unternehmerkreisen geschätzt und ein guter Redner. Das sagte sogar die Opposition über ihn. Wissing ist jemand, der sich schnell und tief in Themen einarbeitet, auf seinem Gebiet stets fachkundig ist.

Sein Problem war vielmehr sein oft kühles Auftreten. Die Herzen der Menschen habe er nie erreicht, hieß es in Mainz. Das war auch in Berlin nicht viel anders. Seine Beliebtheit in der Bevölkerung war in Umfragen stets gering.

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Von seiner bisherigen Amtszeit bleibt vor allem die Einführung des Deutschlandtickets. Auch wenn das Angebot bei den Bürgern beliebt ist, kritisieren Länder und Verkehrsverbände häufig die unzureichende Finanzierung. Der Preis wird deswegen Anfang des Jahres um neun Euro auf 58 Euro ansteigen.

Wissings Umweltbilanz in der Kritik

Wissing hatte sich zudem die Sanierung der Bahn zum Ziel gesetzt und will diese Aufgabe nun noch weiterführen. Bis 2030 sollen besonders belastete Strecken grundlegend saniert werden. Seine bisherige Erfolgsbilanz in diesem Bereich ist allerdings durchwachsen. Der Bundesrechnungshof hielt ihm vor, beim Steuern der Bahn AG gescheitert zu sein.

Zu Kritik führte sein Umgang mit dem Klimaschutz. So verfehlte sein Ministerium die jährlichen Ziele deutlich. Auch deshalb musste die Regierung die verpflichtenden Ziele für die einzelnen Ressorts aufweichen. Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer attestierte ihm gar "Arbeitsverweigerung" in diesem Bereich.

Er geriet auch in die Kritik, weil er zwischenzeitlich mit Fahrverboten am Wochenende drohte, um seine Ziele einzuhalten. Für diese Einstellung zum Klima kritisierten ihn die Grünen. Er sei der Bremser für eine Verkehrswende, hieß es aus Parteikreisen.

Auch wenn er seine Arbeit als Minister nun fortsetzen darf, ist fraglich, was er in der wenigen verbleibenden Zeit noch umsetzen kann. Schließlich will sich die Bundesregierung auf die wichtigsten Gesetzesvorhaben beschränken. Und er betreut nun gleich zwei Ministerien, von seinem Ex-Parteikollegen Marco Buschmann übernahm er noch das Justizressort. Es werden allerdings Wissings letzte Wochen als Minister sein, will er sich nicht doch noch einer anderen Partei anschließen.

Verwendete Quellen
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