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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krankenhäuser in der Krise "Das ist grenzwertig"
Seit über zwei Jahren arbeitet der Gesundheitsminister an der Krankenhausreform. Verabschiedet wurde noch nichts. Also müssen die Kliniken die Probleme selbst lösen. Wie machen sie das?
Ein paar Pflegerinnen laufen an diesem Dienstagmorgen über den Gang, sie grüßen die Patienten. Vor sich schieben sie einen kleinen Wagen mit Medikamenten. Da düst plötzlich ein Krankenpfleger mit einem grünen Tretroller über den weiten Gang des Krankenhauses, ein Kollege macht schnell einen Schritt zur Seite. Der Krankenpfleger auf dem Roller bremst vor einer Menschengruppe kurz ab und nimmt noch mal Schwung, als er sie passiert hat. Schon ist er weg – und in Windeseile beim nächsten Patienten.
Marc Bernstädt, der das sieht, schmunzelt. "Die Wege hier sind etwas länger. Da braucht man andere Lösungen", sagt der Geschäftsführer der in den Sana-Kliniken Niederlausitz im brandenburgischen Senftenberg. Ihm ist bewusst, dass die Fortbewegungsart seines Personals für Gäste zunächst ungewöhnlich wirkt. Doch in seiner Stimme schwingt auch ein bisschen Stolz mit. Denn hier in der Niederlausitz finde man häufig unkonventionelle Lösungen, sagt er.
Lauterbachs Vorschläge: Für die Kliniken keine gute Lösung
Das gilt für die weiten Wege auf den Stationen, aber auch für andere Probleme – solche, die in diesen Tagen die ganze Branche betreffen. Denn aktuell schließen Kliniken in ganz Deutschland. Personal fehlt, die Einnahmen sind zu gering, die Bürokratie zu viel, der Investitionsstau zu groß. Die Branche ist sich einig, dass sich etwas ändern muss.
Das will auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Die Krankenhausreform ist eines der wichtigsten Projekte seiner Amtszeit. Allerdings kommt sie seit zwei Jahren kaum voran, der Widerstand ist groß. Die Branche lechzt zwar nach Veränderung, in Lauterbachs Vorschlägen sehen die Kliniken und Verbände aber nicht die Lösung. Also streiten und verhandeln sie weiter mit dem Minister. Für die Kliniken ändert sich bis dahin nichts, außer sie unternehmen selbst etwas – so wie in Senftenberg.
Eine Ausbildungsstation als Antwort auf den Fachkräftemangel
Vor einem kleinen Empfangstresen am Ende des Ganges stapelt Krankenpflegerin Peggy Stark-Paul Kisten. Alles hier wirkt noch unfertig. Der Tresen ist abgesehen von den Kisten leer. Auch das daran angrenzende Patientenzimmer ist verwaist. Ein Bett steht bereits drin, von Patienten fehlt auch in den Nachbarzimmern jede Spur.
Das soll sich bald ändern. Hier entsteht eine neue Station, mit Platz für sechs Patienten. Das Besondere daran: Hier haben Auszubildende das Sagen – zumindest größtenteils. Sechs Nachwuchskräfte aus dem eigenen Ausbildungsprogramm sollen die Station rund um die Uhr betreuen. Sie entscheiden, was gemacht wird, übernehmen Verantwortung. Allerdings bleiben sie nicht komplett sich selbst überlassen. Eine eigens dafür angestellte Führungskraft überwacht die Auszubildenden und greift bei Bedarf ein. Und täglich wird reflektiert, wie die Schicht gelaufen ist.
Es ist die Antwort des Senftenberger Klinikums auf den Fachkräftemangel. Denn wenn es schwer wird, Fachkräfte zu gewinnen, muss man halt selbst ausbilden und sich von der Konkurrenz absetzen. Das Angebot gab es bereits in der Vergangenheit immer wieder für Auszubildende und Studierende, allerdings nur für die Dauer von zwei Wochen. Viele Teilnehmer kamen später wieder, um weitere Erfahrung in der Klinik zu sammeln, berichtet der ärztliche Leiter Volkmar Hanisch.
So will man Personal früh binden, in Senftenberg scheint das zu funktionieren. Und es ist eine Alternative zu der Lösung, die Lauterbachs Reform vorsieht: eine Ausdünnung des Kliniknetzes und eine Reduzierung der angebotenen Leistungen. Für den ländlichen Raum käme eine Schließung der ohnehin schon wenigen Krankenhäuser einer Katastrophe gleich. Doch das will auch Lauterbach in diesen Regionen nicht. Deswegen hat der Minister für die Regionen mit besonders wenigen Krankenhäusern einen anderen Plan.
Seine Idee: Diese Kliniken sollen weniger Leistungen anbieten, und zwar nur noch solche, für die sie bestimmte Qualitätskriterien erfüllen. Damit soll Qualität gewährleistet werden und sich das spezialisierte Personal auf weniger Standorte verteilen. 65 solcher sogenannten Leistungsgruppen gibt es. Die Kliniken Niederlausitz bieten in Senftenberg aktuell 19 davon an, im Zweitstandort Lauchhammer sind es 14.
Voll auf Qualität gesetzt
Das Büro von Geschäftsführer Bernstädt liegt in einem schmucklosen Verwaltungsbau auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Krankenhauses. Er sitzt mit dem ärztlichen Leiter Hanisch, der Pflegedirektorin Saskia Bünger und dem Verantwortlichen für Unternehmenskommunikation, Benjamin Seidemann, an einem runden Tisch und zeigt auf eine Karte der Region. Dort zu sehen sind die Krankenhäuser im Umfeld, umgeben von bunten, runden Symbolen. Sie zeigen an, welche Leistungen die Kliniken anbieten. Im südlichen Brandenburg ist nur das Klinikum in Cottbus ähnlich vielfältig wie das in Senftenberg.
Bernstädt macht das stolz. In seinen beiden Jahren als Klinikdirektor habe er voll auf Qualität gesetzt. Das zahle sich nun aus. Sein Krankenhaus erfüllt die neuen Qualitätskriterien sämtlicher bisher angebotenen Leistungen. Das bedeutet, das Klinikum darf diese wohl auch in Zukunft anbieten, wenn es genehmigt wird.
Vor zwei Jahren war die Not noch größer
Die Erfolgsgeschichte entstand aus der Not. Noch vor zwei Jahren stand die Klinik vor der Pleite. Der Landkreis war gezwungen, das kommunale Krankenhaus zu verkaufen. Als Käufer fand sich die Sana Kliniken AG, Deutschlands drittgrößter Krankenhausbetreiber mit mittlerweile 51 Häusern. "Die Stimmung damals war schlecht", erinnert sich Bernstädt. Die monatelange Hängepartie um die Zukunft des Krankenhauses habe viele verunsichert, der neue private Träger keinen guten Ruf gehabt.
- Was an Lauterbachs Krankenhausreform kritisiert wird: Darum geht es in dem Entwurf
"Wir standen mit dem Rücken zur Wand. Aber dann haben wir es geschafft, richtig gute Leute zu holen", erinnert sich Bernstädt an die Anfangszeit nach der Übernahme. Einer von den "guten Leuten" war der ärztliche Leiter Volkmar Hanisch. Er war es, dem die Qualität der Angebote so wichtig war – nun profitiert das Klinikum davon. Es habe sich zudem ein Teamgeist entwickelt.
Das zeigen auch die Finanzen. Das Krankenhaus trage sich mittlerweile selbst, berichtet Bernstädt. Dennoch sei es schwer, mit der aktuellen Finanzierung auf Dauer zu überleben. Denn die Einnahmen kann das Krankenhaus nicht selbst bestimmen. Pro Patient bekommt es eine festgelegte Summe. Das Problem: "Die Zahlen beruhen auf Berechnungen von vor über zwei Jahren. Das sind historische Daten", beklagt Bernstädt. Seitdem sind die Energiekosten in die Höhe geschossen, neue Tarifabschlüsse treiben die Löhne in die Höhe und auch die Krankenhausmaterialien werden immer teurer.
Auch an dieser Stelle sieht die Krankenhausreform eine Änderung vor. Die Fallpauschale pro Patient soll durch einen festen Betrag ersetzt werden. So soll vermieden werden, dass Krankenhäuser Patienten nur aus finanziellen Gründen behandeln – ohne Notwendigkeit, nur um die Fallkostenpauschale zu kassieren. Bernstädt sieht diese Annahme kritisch: "Ich finde das anrüchig, so etwas zu denken. Das ist grenzwertig."
Er will die Fallkostenpauschale nicht ersetzen, denn auch mit einer festen Summe sei nicht klar, wie die Lücke zwischen Kosten und Einnahmen gesenkt werden soll. "Das konnte mir Herr Lauterbach in einem persönlichen Gespräch auch nicht wirklich erklären."
Eine besondere Strategie in der Notaufnahme
Zurück im Klinikum. Vor der Notaufnahme bildet sich eine kleine Schlange. Ein Mann mit Camouflage-Kappe tritt etwas desorientiert durch eine Glastür in einen Bereich, in den gerade eine Frau auf einer Liege hineingeschoben wird. Im Hintergrund steht noch der Krankenwagen, der sie gerade hergebracht hat. Der Mann mit der Kappe ist hier falsch, schnell führt ihn eine Pflegekraft zurück hinter die Glastür. Es gibt eine klare Trennung. Denn nachdem in den vergangenen Jahren immer mehr Menschen mit Lappalien in der Notaufnahme aufgetaucht sind, hat man in Senftenberg umgedacht und umgebaut.
Patienten, die keine akuten Notfälle sind, aber dennoch nicht weggeschickt werden können, müssen sich an einem anderen Schalter anstellen. Eine neu geschaffene ärztliche Bereitschaftspraxis kümmert sich um sie und stellt Rezepte aus. Die wirklichen Notfälle kommen nicht durch die Glastür, sondern durch einen separaten Eingang. Berührungspunkte soll es keine geben, außer: Ein Patient ignoriert die Beschilderung und tritt wie der Mann mit der Mütze durch die Glastür in den falschen Bereich.
Doch in der Regel funktioniert die Trennung. Auch darauf ist man hier stolz. Denn die Struktur ist noch neu, ein Anbau machte es möglich. Der Investitionsstau, der viele Kliniken belastet, ist in Senftenberg weniger spürbar. Während die deutschen Krankenhäuser mehrere Milliarden Euro in ihre Infrastruktur stecken müssten, die sie nicht haben, ist die Lage in der Niederlausitz entspannter. Man habe in den vergangenen zwei Jahren nachhaltig investiert und insbesondere Strukturen verschlankt. Doch es gibt Probleme, die kann man in Senftenberg nicht selbst lösen. Das zeigt sich bei der täglichen Arbeit der Ärzte.
Digitalisierung? "Ist noch nicht mal geboren"
Ein leises Piepen dringt aus den Zimmern, an jeder Ecke stehen leere Betten. Das gleichmäßige Auf und Ab einer Beatmungsmaschine ist zu hören. Der Geräuschpegel ist hier auf der Intensivstation höher als in anderen Teilen des Krankenhauses. Oberarzt Matthias Hecker nimmt das anders wahr. "Jetzt haben wir einen ruhigen Moment erwischt, sonst piept hier noch mehr." Er sitzt im Bereitschaftszimmer, bespricht die Lage mit einer Medizinstudentin. Sie befindet sich gerade in ihrem sogenannten Praktischen Jahr, dem letzten Teil ihrer Ausbildung.
Solche ruhigen Momente sind wichtig für Hecker. Schließlich verbringt ein Arzt täglich mehr als zwei Stunden mit bürokratischen Aufgaben. Doch dazu bleibt kaum Zeit, wenn ein Notfall auf den nächsten folgt. Auf der Intensivstation kann kein Patient warten. "Die Bürokratie hat mittlerweile überbordende Ausmaße genommen", kritisiert er.
Weniger Bürokratie verspricht auch die Krankenhausreform. Allerdings bleibt bisher unklar, wie genau das Versprechen umgesetzt werden soll. Denn aufgrund zahlreicher neuer Regularien steigt die Masse an Dokumentationen eher noch an. Das Krankenhaussystem müsse endlich mehr auf Digitalisierung setzen, fordert der ärztliche Leiter Hanisch. "Die steckt hier noch in den Kinderschuhen – oder ist eigentlich noch nicht mal geboren." Auf eine ungewisse Klinikreform kann das Klinikum Niederlausitz aber kaum warten. Es müssen also wieder eigene, "Senftenberger Lösungen" her.
- Eindrücke vor Ort
- Eigene Recherche