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Die Grünen und der Taliban-Konflikt in Afghanistan: Auch das noch


Die Grünen und Afghanistan
Auch das noch

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 18.08.2021Lesedauer: 5 Min.
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Annalena Baerbock: Die Migrationspolitik drängt in den Wahlkampf – und die Grünen müssen reagieren.Vergrößern des Bildes
Annalena Baerbock: Die Migrationspolitik drängt in den Wahlkampf – und die Grünen müssen reagieren. (Quelle: Patrick Pleul/dpa-bilder)

Mit der Krise in Afghanistan drängt die Migrationspolitik in den Wahlkampf. Die Grünen versuchen mit einer Strategie zu punkten, die sie auch bei der Klimakrise nutzen. Kann das funktionieren?

Annalena Baerbock redet fast zweieinhalb Minuten am Stück und sagt Sätze, die viele Kommas haben und wenige Punkte. Es ist eben alles nicht so einfach mit Afghanistan – gerade für eine grüne Kanzlerkandidatin.

Die Bilder aus Kabul machten deutlich, sagt Baerbock am Montag in die Kameras, wie "dringend Handeln notwendig" sei. Man müsse jetzt mit den Nato-Partnern "klare Kontingente" auflegen, um Menschen in Sicherheit zu bringen. Das betreffe vor allem Ortskräfte, also diejenigen, die die Nato-Truppen unterstützt hätten. Es brauche "Kontingente im fünfstelligen Bereich", sagt Baerbock dann noch. 10.000 Menschen oder auch einige 10.000 mehr.

Das klingt erst mal überschaubar und vor allem: planbar. Doch was ist mit den anderen Afghanen? Den Lehrerinnen, die unter den Taliban nun auch Angst um ihr Leben haben müssen? Den Mädchen, die nicht mehr zur Schule gehen dürfen und zwangsverheiratet werden? Was ist, wenn sie in den nächsten Wochen und Monaten mit ihren Familien dorthin fliehen, wo sie sich ein besseres Leben erhoffen: nach Europa, nach Deutschland?

Über sie spricht Annalena Baerbock nicht, und das hat natürlich Gründe. Sachliche Gründe, aber eben auch strategische.

Die Grünen wollen sich in diesen Zeiten der multiplen Krisen als neue Stabilitätspartei inszenieren. Sie argumentieren deshalb jetzt bei Afghanistan ganz ähnlich wie in der Klimakrise. Und wollen der Union so ausgerechnet bei deren Kernkompetenz zusetzen. Doch in der Migrationspolitik ist das besonders kompliziert für die Grünen.

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Friedrich Merz und sein Albtraum-Best-of

Es ist noch gar nicht lange her, da veröffentlichte der Immer-noch-nicht-so-ganz-CDU-Chef Friedrich Merz auf Twitter so etwas wie ein Best-of konservativer Grünen-Albträume. Die Partei wolle das Land mit "neuen Verhaltensregeln, Steuern und Abgaben" überziehen, behauptete Merz da. Sie wollten allen die "Gender-Sprache" aufzwingen – und: Sie wollten "möglichst viele Einwanderer unabhängig von ihrer Integrationsfähigkeit nach Deutschland einladen".

Merz' Aussagen haben heftige Reaktionen ausgelöst. Das liegt vor allem daran, dass sie in ihrer Zuspitzung nur noch als monströse Karikaturen grüner Programmatik durchgehen und meist schlicht falsch sind. Es liegt aber auch ein bisschen daran, dass sie genau die (Vor-)urteile bedienen und verstärken, die es in Deutschland über die Grünen gibt.

Die Migrationspolitik ist für die Grünen, die in die Mitte der Gesellschaft drängen, ein heikles Thema. Denn natürlich setzen sie sich für einen humanitäreren, liberaleren Umgang mit Migranten ein als etwa die Union. Zugleich wissen sie auch, dass die Erfahrung der Flüchtlingskrise 2015/2016 in Teilen der Bevölkerung nun Abwehrreflexe auslösen könnte, von denen im Zweifel die AfD profitiert.

Es ist deshalb kein Zufall, dass auch die Grünen die Migrationspolitik im Wahlkampf bisher nicht großartig zum Thema gemacht haben, obwohl an den EU-Außengrenzen noch immer Menschen im Dreck leben und die Frage der gerechten Verteilung in Europa so ungelöst ist wie seit jeher.

Und es ist ebenso kein Zufall, dass Grüne jetzt lieber über die akute, überschaubare Hilfe für Ortskräfte in Afghanistan sprechen, als über mögliche neue Flüchtlingsbewegungen nach Deutschland.

Ein Satz von Laschet und zwei weitere

Wer sich dieser Tage bei den Grünen umhört, der kann mit einigen sprechen, die nächtelang durchtelefonieren, um den Menschen in Afghanistan zu helfen. Die akute Nothilfe sei das, was jetzt anstehe, nicht die längerfristigen Fragen nach möglichen Flüchtlingen. So lautet ihre Botschaft.

Bei der Union ist man da schon etwas weiter. Vom Kanzlerkandidaten Armin Laschet war am Montag vor allem ein Satz hängengeblieben, der sich leicht so interpretieren lässt, als wolle er partout keinen Flüchtlingen helfen. "2015 darf sich nicht wiederholen", sagte Laschet da.

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Doch wer Laschet etwas länger zugehört hat, der konnte genau vor diesem Satz noch zwei weitere Sätze vernehmen: "Die Europäische Union muss sich darauf vorbereiten, dass es Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europa geben könnte. Wir müssen diesmal rechtzeitig in der Region, in den Herkunftsländern Hilfe leisten."

Bemerkenswert ist, dass die Analysen führender Grüner hinter vorgehaltener Hand ganz ähnlich ausfallen. Die Flüchtlingskrise hatte 2015 auch damit begonnen, dass dem UN-Flüchtlingshilfswerk das Geld ausgegangen war. Das ist in der Tat kein Geheimnis. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass die meisten Flüchtlinge in der Nähe ihrer Heimat bleiben wollen, also in den Nachbarländern.

Aber eben erfahrungsgemäß längst nicht alle.

Die Fehler der anderen

Doch statt schon jetzt offen über Vorbereitungen für mögliche Flüchtlingsbewegungen zu reden, sprechen Grüne gerade lieber über die Fehler der Bundesregierung bei der akuten Nothilfe. Das bietet sich an, denn davon gibt es ganz offensichtlich genug. Und sie taugen für knallige Schlagzeilen.

"Warum hat man sich nicht vorbereitet auf eine zugespitzte Entwicklung in Afghanistan?", sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt t-online. "Das muss man sich schon fragen." Warnungen habe es genug gegeben, aus der Zivilgesellschaft, sogar aus der Botschaft. Doch die warnenden Stimmen seien ignoriert und kostbare Zeit vergeben worden.

Der Verweis auf die Fehler der anderen ist für die Grünen aber vor allem auch eine willkommene Möglichkeit, ihnen das eigene Bild von zeitgemäßer Politik entgegenzusetzen. "Zögern und Aussitzen bringen Chaos und unfassbares Leid", schrieb Göring-Eckardt auf Twitter. "Es ist das Gegenteil von Ordnung und Stabilität, die sich Laschet und Seehofer so gerne auf die Fahnen schreiben. Wir brauchen endlich eine Politik, die vorausschaut und handelt, bevor es zu spät sein könnte."

In einer Welt der Krisen, so die Argumentation der Grünen, entsteht Stabilität nicht mehr durchs Nichtstun, sondern durchs Tun.

Es ist dieselbe Logik, mit der die Grünen auch den anderen Krisen dieser Zeit begegnen wollen, allen voran der Klimakrise. "Eine Politik, die sich nur darauf beschränkt, den Status quo zu verwalten, die bringt keine Sicherheit", sagte Baerbock vor einigen Wochen in ihrer Rede auf dem Parteitag. "Veränderung, die schafft Halt, und genau dafür wollen wir Verantwortung übernehmen."

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Soll eben auch heißen: Die neue Stabilitätspartei, das sind wir – und nicht mehr die Union.

Anspruch und Wirklichkeit

Um diesen Anspruch auch in der Migrationspolitik glaubhaft zu vertreten, müssten die Grünen allerdings irgendwann beginnen, offen über das zu sprechen, was da noch kommen könnte an Flüchtlingen. Und wie man mit ihnen umgehen sollte. Auch auf die Gefahr hin, dass Friedrich Merz dann wieder behauptet, Baerbock wolle doch eigentlich eh alle nach Deutschland einladen.

Noch gehen führende Grüne nicht davon aus, dass sich schon bald viele Menschen aus Afghanistan nach Europa aufmachen. Schon allein deshalb nicht, weil die Grenzen zu den Nachbarländern gerade offenbar weitgehend dicht sind.

Gut möglich also, dass das Thema vor der Bundestagswahl am 26. September nicht mehr akut wird. Allein darauf zu setzen, wäre für die Grünen und ihre Ansprüche jedoch eine ziemlich fragwürdige Wette.

Verwendete Quellen
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