t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikBundestagswahl 2025

AfD-Verbotsverfahren: "Der Bundestag muss die letzte Chance nutzen"


AfD-Verbotsverfahren?
"Es ist Zeit, wieder auf die Straße zu gehen"


14.01.2025 - 10:37 UhrLesedauer: 5 Min.
imago images 0788597974Vergrößern des Bildes
AfD-Chefs Tino Chrupalla und Alice Weidel: Die in Teilen rechtsextreme Partei holt in Umfragen auf. (Quelle: IMAGO/Sammy Minkoff)
News folgen

Gehört die AfD verboten? Die Debatte im Bundestag dazu wird wieder lauter. Auch, weil die AfD-Spitze sich am Wochenende so radikal wie nie zeigte.

Nach dem Parteitag der AfD im sächsischen Riesa nimmt die Diskussion über ein Verbotsverfahren wieder Fahrt auf. Mehrere führende Initiatoren werben erneut für ihren Antrag, mit dem der Bundestag das Bundesverfassungsgericht auffordern würde zu überprüfen, ob die AfD gegen die Verfassung verstößt.

"Die AfD radikalisiert sich vor aller Augen weiter", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Till Steffen, zu t-online. "Nach diesem Parteitag kann niemand sagen, die AfD-Pläne zur 'Remigration' seien ein linksgrünes Hirngespinst."

Steffen sagte: "Es ist Zeit, wieder auf die Straße zu gehen. Und es ist dringender denn je, das Verbotsverfahren noch vor der Wahl voranzubringen. Ende Januar wird sich der Bundestag damit befassen müssen."

Nur Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung können die Prüfung auf Verfassungswidrigkeit einer Partei und damit ihr Verbot beim Bundesverfassungsgericht initiieren. Das Gericht fällt die Entscheidung. Das Verfahren gilt als langwierig und kann sich über Jahre ziehen. Bereits Mitte November wurde ein Gruppenantrag im Bundestag eingebracht, um ein Verfahren zu starten.

Renner: "AfD stellt sich unverhohlen in historische Linie mit NS"

Auch Martina Renner von der Linken im Bundestag sieht in dem Auftreten der AfD in Riesa eine neue Qualität: "Die offen völkische Rede von Alice Weidel und ihre geschlossene Wahl belegt: Die AfD hat weder einen gemäßigten noch bürgerlichen Flügel, sie ist in ihrer Gänze eine rechtsextreme Partei", sagte Renner zu t-online. "Sie stellt sich unverhohlen in eine historische Linie mit dem Nationalsozialismus."

Für diese Erkenntnis müsse man nicht das Gutachten des Verfassungsschutzes abwarten, so Renner. "Der Bundestag muss die letzte Chance nutzen, um eine Überprüfung der AfD vor dem Bundesverfassungsgericht in die Wege zu leiten – es gibt keine Zeit zu verlieren."

Renner ist Sprecherin der Linken-Gruppe im Bundestag für antifaschistische Politik und Obfrau im Innenausschuss. Zusammen mit Grünen-Politiker Steffen und CDU-Politiker Marco Wanderwitz zählt sie zu den Initiatoren der parteiübergreifenden Initiative, die fordert, ein Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht gegen die AfD anzustrengen.

Hoher Zeitdruck, bisher zu wenig Unterstützer

Der Antrag der Gruppe hatte bisher zu wenig Unterstützer im Bundestag, um Aussicht auf Erfolg zu haben. Bei seiner Einbringung im November fanden sich nur 113 Erstunterzeichner – 55 Grünen-, 32 SPD-, 18 Linke-, 7 CDU- und ein SSW-Politiker. Um ein Verbotsverfahren zu starten, müsste sich die einfache Mehrheit der 733 Abgeordneten im Bundestag in einer Abstimmung dafür aussprechen, also mehr Ja- als Nein-Stimmen.

Die Initiatoren hoffen nun offensichtlich darauf, dass das radikale Auftreten der AfD bei ihrem Parteitag noch einige Abgeordnete auf ihre Seite zieht. Sie stehen aber unter enormem Zeitdruck. Bis zur Bundestagswahl bleiben nur noch zwei Sitzungswochen im Bundestag.

Im nächsten Bundestag dürften die Mehrheiten anders aussehen, AfD und CDU/CSU wesentlich stärker vertreten sein. Das schmälert die Aussichten auf Erfolg – die AfD lehnt den Antrag naturgemäß ohnehin ab, die große Mehrheit der Union auch.

Die Gruppe der Verbotsverfahren-Unterstützer will sich noch in dieser Woche treffen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Ziel ist es, den Antrag in der vorletzten Sitzungswoche Ende Januar im Bundestag zu diskutieren. Noch hat die Gruppe aber nicht beantragt, ihn auf die Tagesordnung zu setzen.

Einige der Initiatoren wollen sich zudem mit Vertretern eines konkurrierenden Antrags treffen und abstimmen: der Gruppe um die frühere Grünen-Bundesministerin Renate Künast. Deren alternativer Antrag plädiert dafür, zunächst weiter Beweise zu sammeln und den Antrag beim Bundesverfassungsgericht später zu stellen. Einige Vertreter des ursprünglichen Gruppenantrags kritisieren ihn deshalb als Verhinderungstaktik.

AfD übertritt neue Grenzen

Die AfD tritt ohnehin radikal auf. In den vergangenen Tagen aber hat sie neue Grenzen eingerissen, die zumindest ihre Spitze bisher halbwegs wahrte. Sie gab so einen Vorgeschmack darauf, wie ihr Wahlkampf in den nächsten Wochen aussehen dürfte.

Auf dem Parteitag in Riesa verwendete AfD-Chefin Alice Weidel in einer Rede erstmals prominent den rechtsextremen Kampfbegriff der "Remigration", der freiwillige Rückkehr, Abschiebungen, aber auch Vertreibung mit Druck und Gewalt meinen kann. Vertreter des völkischen Flügels in der Partei reagierten begeistert. Weidel sprach in ihrer Rede im Zusammenhang mit Windenergie zudem von "Windmühlen der Schande" und erinnerte so an eine Rede des Thüringer AfD-Landeschefs Björn Höcke. Der hatte 2017 mit Blick auf das Holocaust-Mahnmal in Berlin von einem "Mahnmal der Schande" gesprochen und bundesweiten Protest ausgelöst.

Zum ersten Mal zu Besuch bei einem AfD-Parteitag war außerdem der offiziell außerhalb der AfD stehende prominente Rechtsextremist Götz Kubitschek, enger Berater von Björn Höcke. Zu dessen Szene-Denkschmiede pflegen viele AfD-Funktionäre seit Langem enge Kontakte. Die Parteichefs Alice Weidel und Tino Chrupalla ließen sich dort – zumindest öffentlich dokumentiert – in den vergangenen fünf Jahren aber nicht blicken.

Die 600 AfD-Delegierten in Riesa feierten die AfD-Chefin für ihre Rede immer wieder mit dem Sprechchor "Alice für Deutschland". Auch das ist ein Novum. Der Slogan ist bewusst an die ähnlich klingende Parole von Adolf Hitlers SA angelehnt und wurde bisher im Zusammenhang mit Björn Höcke geprägt. Der Slogan verbreitete sich erstmals unter AfD-Wählern und wurde auf Veranstaltungen der Partei hör- und sichtbar, als Höcke sich 2024 wegen der Verwendung der SA-Parole "Alles für Deutschland" vor Gericht verantworten musste.

Weidel nutzte die Steilvorlage bisher nie – bis zu diesem Samstag. In Riesa wurde die Parole von AfD-Funktionären von der Bühne gerufen, vom Publikum skandiert und bereits vorab auf große blaue Herz-Schilder gedruckt, die an die Delegierten des Parteitags verteilt wurden.

Loading...
Loading...

Unter anderem behauptete Weidel in dem Gespräch fälschlicherweise, Adolf Hitler sei "Kommunist", "Sozialist" und "Linker" gewesen und wiederholte diese Aussage später mehrfach. Das aber ist nicht wahr: Die Nazis ließen Kommunisten verfolgen, verhaften und ermorden. Tausende starben von 1933 bis 1945 in Verhörkellern und Konzentrationslagern. Der Rassenwahn der NSDAP ist außerdem deutlich dem Rechtsextremismus zuzuordnen. Linke Strömungen folgen in der Regel einem Prinzip der Gleichwertigkeit aller Menschen.

Musk teilte am Samstag auch den Livestream zum AfD-Parteitag auf seiner Plattform X. Er hat dort 212 Millionen Follower.

Verfassungsschutz hält Gutachten zurück – Kritik

Die Behörden beobachten diese Entwicklungen genau. "Die Partei hat jetzt auf dem Bundesparteitag gezeigt, dass jede Scheu gefallen ist, sich noch hinter irgendwelchen Worten zu verstecken", sagte der Thüringer Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer im Deutschlandfunk. "Sondern man zeigt ganz deutlich seinen völkischen Nationalismus und auch seine Verfassungsfeindlichkeit, die wir in den Verfassungsschutzämtern ja herausgearbeitet haben."

Ursprünglich wollte das Bundesamt für Verfassungsschutz Ende 2023 ein Gutachten mit einer aktuellen Einschätzung zur AfD herausgeben. Von Experten wurde erwartet, dass die AfD wegen ihrer weiteren Radikalisierung vom rechtsextremen Verdachtsfall zur "gesichert rechtsextremen" Vereinigung hochgestuft würde.

Auch die Gruppe der Verbotsbefürworter im Bundestag wollte ursprünglich auf dieses Gutachten warten. Es galt als zentral, um weitere Unterstützer für den Antrag zu gewinnen – zum Beispiel jene, die die Gefahr sehen, dass ihnen allein egoistische Gründe und der Verbot von Konkurrenz vorgeworfen würde.

Wegen der Ampelkrise und schließlich der Ansetzung von Neuwahlen für diesen Februar will der Verfassungsschutz das Gutachten nun aber bis nach den Wahlen zurückhalten. Man will sich nicht dem Vorwurf der Wahlbeeinflussung aussetzen. Der Thüringer Verfassungsschutzchef Kramer sagte, das Bundesamt stelle die Neutralitätspflicht und die Mäßigung im Wahlkampf in den Vordergrund. "Ich halte das für verkehrt und fatal und für eine falsche Interpretation der aktuellen Rechtslage."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



Telekom