Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Elon Musks Werbefeldzug für die AfD Er hat keinen Schimmer
Elon Musks Werbefeldzug für die AfD bereitet vielen Sorge – zu Recht. Sein Einfluss mag weit reichen. Doch Deutschland ist nicht die USA.
Könnte Alice Weidel heute Abend die Bundestagswahl gewinnen? Das glauben nicht wenige ihrer Anhänger. Etwa eine Stunde und 15 Minuten bekam die AfD-Kanzlerkandidatin eine Bühne, die weltweit im Moment ihresgleichen sucht. Sie sprach mit Elon Musk höchstselbst in einem sogenannten "Space" auf dessen Plattform X über Deutschland. Live. Für Weidel war das ein Heimspiel. Musk hat ihre Partei unlängst als "letzten Funken Hoffnung" für Deutschland gelobt und trompetet: "Nur die AfD kann Deutschland retten." Weidel konnte auf Musks Tsunami-gleicher Reichweiten-Welle surfen können, um Wahlkampf in eigener Sache zu machen.
Dessen Werbefeldzug für die AfD besorgt viele – zu Recht. Doch er kann gebremst werden. Allerdings nicht mit Panik und Empörung aus den Echokammern der Politik- und Medienblase, sondern mit guten Gegenargumenten ohne Alarmismus. Mit Vertrauen in die Vernunft der Wähler und klugen politischen Entscheidungen. Musks Arm mag weit reichen (was nicht umsonst beinahe ein Anagramm zu "Reichweite" ist). Aber Deutschland ist nicht die USA. Hier ist sein Einfluss endlich. Die deutschen Wählerinnen und Wähler können ihm das beweisen.
In den USA verdankt Trump auch Musk seinen Wahlsieg. Der butterte einen dreistelligen Millionen-Dollar-Betrag in dessen Kampagne, mimte Trumps Sidekick und verbreitete auf seiner Fake-News-Schleuder X rund um die Uhr: Nur Trump kann die USA retten.
Diese Rolle schreibt Musk jetzt der AfD für Deutschland zu. Dagegen ist rechtlich nichts zu sagen, wenn man das Recht auf freie Meinungsäußerung ernst nimmt. Keine Norm der Welt verbietet Musk eine Wahlempfehlung.
Wer aber den demokratischen Staat abschaffen will und dafür zum Beispiel Theorien verbreitet, die von einer Herrschaft einiger weniger "Alpha-Männer mit hohem Testosteronspiegel" fabulieren, dessen Eingriffe in gesellschaftliche Willensbildung sind hochgefährlich.
Nur zu gerne würde man vieles ignorieren, was Elon Musk den lieben langen Tag und oft auch mitten in der Nacht postet. Nur: Bei mehr als 210 Millionen Followern hat auch Unsinn Sprengkraft. Musk postet offensichtlich ohne jeden Filter, ohne Korrektiv, dafür über umso perfidere Algorithmen. Man muss ihm nicht folgen, um ihm unentwegt ausgesetzt zu sein. Er schafft es in jede Timeline.
Und sein Einfluss ist nicht nur virtuell. Der reichste Mann der Welt pumpt Geld in Unternehmen rund um den Globus. Er beherrscht mehr als die Hälfte aller gut 10.000 Satelliten, die die Erde umkreisen. Diese Trabanten können den hintersten Winkel der Welt mit Informationen fluten und Kriege entscheiden. Musk verhilft Politikern und Parteien zu Einfluss und macht sie gleichzeitig abhängig von sich. Wer im Weißen Haus künftig die Hosen anhat – Trump oder er – muss sich erst noch zeigen. Musk ist so mächtig, aber gleichzeitig so unkontrollierbar, dass die Welt ihn nicht aus den Augen lassen darf, schrieb auch t-online-Chefredakteur Florian Harms unlängst an dieser Stelle.
Trotzdem: Zu erstarren wie ein Reh auf einer Landstraße im Lichtkegel eines heranrasenden Autos, das wird Musk nicht aufhalten. Sich über seinen Griff nach Deutschland zu empören, seine Theorien zu ächten, treibt Menschen vielleicht erst recht in seine Arme. Sie sind ohnehin auf dem Markt der Meinungen. Ob sie aber den Wettbewerb der Ideen gewinnen, darauf hat Deutschland Einfluss. Es besteht nämlich ein fundamentaler Unterschied zu den USA.
Sein Arm reicht weit, aber nicht überallhin
In den Köpfen vieler Deutscher spielt Elon Musk keine so große Rolle, wie man auf den ersten Blick glauben könnte. Sein Arm reicht weit, aber nicht überallhin. Sein Megafon, die Plattform X, nutzen gerade einmal 16 Millionen Deutsche. Längst nicht alle folgen ihm. Nicht alle, die ihm folgen, befürworten seine Ansichten. Sein berüchtigter AfD-Post wurde keine 200.000-mal geliked. Weltweit. In Deutschland wird die Zahl weit darunter liegen. Den Deutschen, die sich nicht in seiner virtuellen Empörungsbutze bewegen und auch nicht jeden Leitartikel lesen, der gerade über ihn geschrieben wird, sind Musk und seine Spinnereien nicht allzu präsent. Sein Echo überschätzt man leicht, wenn man sich in denselben Blasen bewegt wie er.
Über Social Media hinaus ist Musks Einfluss in Deutschland viel kleiner als in den USA. Er schießt keine Millionen in den Wahlkampf der AfD. Er wird nicht neben Alice Weidel auf den Marktplätzen stehen wie neben Donald Trump in den Swing States. Er bewirbt sich hier nicht für ein Regierungsamt. Er unterstützt in Deutschland nicht einen von zwei Kandidaten für den Einzug in den Regierungssitz wie in den USA, sondern eine Protestpartei.
Hinzu kommt: Musks impulsive Einflüsterungen ins deutsche Wahlkampfgetöse halten keiner Überprüfung stand. Das hat sein dürftiger Aufsatz über die AfD bewiesen, den die "Welt am Sonntag" (WamS) veröffentlicht und so entlarvt hat. Sein möglicherweise mit KI hingekritzelter Gastbeitrag strotzt vor Ahnungslosigkeit. Ein Beispiel: Das Wort "Bürokratie" kommt im Leitantrag der Parteispitze für das künftige AfD-Bundestagswahlprogramm neunmal vor. An keiner Stelle wird dabei ein konkreter Plan entworfen, wie der Abbau denn vonstattengehen soll. Den Beweis, dass sie tatsächlich staatliche Überregulierung abbauen können, haben Alice Weidel und ihr Hofstaat niemals erbracht. Entweder Musk lügt ganz bewusst, wenn er die AfD zum Ideengeber für Bürokratieabbau stilisiert, oder er hat nachprüfbar keinen Schimmer.
Ökonomischer Selbstmord
Dass die AfD Deutschland aus der EU in den "Dexit" führen will, ist kein Schritt zu mehr wirtschaftlicher Stabilität, sondern ökonomischer Selbstmord für eine Exportnation, die vom europäischen Binnenmarkt abhängt. Die festgeschriebene Abwendung von den USA scheint Musk entgangen zu sein – interessant für einen hochrangigen Berater des künftigen US-Präsidenten. Und zuletzt nimmt Musk in seinem "WamS"-Textlein mit keiner Silbe Bezug auf den Kuschelkurs, den die AfD gegenüber Russland und China anstrebt.
Unbelehrbare Elon-Fanboys und Hardcore-Rechtsradikale werden Weidel und ihm heute an den Lippen kleben. Allen anderen Wählern darf man durchaus zutrauen, zu erkennen, dass dieser Möchtegern-Kaiser intellektuell fast nackt dasteht.
Den Wählerinnen und Wählern wenig gesunden Menschenverstand zuzutrauen, ist einer der großen Fehler der deutschen Politik der vergangenen Jahre gewesen. Flüchtlingskrise, Klimawandel, Wärmepumpe, Ukraine-Krieg: Zu oft hat die Politik ihnen Entscheidungen als "alternativlos" vorgekaut. Wer Elon Musks Alternative für Deutschland verhindern will, der muss den Wähler davon überzeugen, dass weder Musk noch die AfD Alternativen sind. Inhaltlich. Mit Argumenten. Wenn die Politik dazu nicht die Kraft, den Mut und die Kompetenz hat, ist sie die größte Gefahr für die Demokratie. Nicht Elon Musk.