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G7, Nato und EU: Der Überlebenskampf des Joe Biden


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Demokratien gegen Diktaturen
Der Überlebenskampf des Joe Biden


12.06.2021Lesedauer: 6 Min.
Abwehrkampf der Demokratien: Premierminister Boris Johnson und Präsident Joe BidenVergrößern des Bildes
Abwehrkampf der Demokratien: Premierminister Boris Johnson und Präsident Joe Biden (Quelle: imago-images-bilder)
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Auf seiner Europareise will der US-Präsident die Verbündeten auf einen Verteidigungsfeldzug der Demokratien gegen die Autokratien einschwören. Auch, weil er zuhause unter großem Druck steht.

Die Welt soll sehen, wie ernst es ihm ist. Das stellte Joe Biden gleich zu Beginn seiner ohnehin schon symbolträchtigen Europareise klar. Und so wählte er einen durchaus gewagten historischen Vergleich: Gemeinsam mit dem britischen Premierminister Boris Johnson veröffentlichte der US-Präsident ein Dokument mit dem Titel "New Atlantic Charter", in dem sie ihre globalpolitische Strategie darlegen. Damit wählte Biden ausgerechnet eine historische Analogie mitten aus dem Zweiten Weltkrieg.

Damals 1941, als die deutsche Wehrmacht gerade die Sowjetunion überfallen hatte, veröffentlichten der damalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt und Großbritanniens Premierminister Winston Churchill die erste "Atlantic Charter". Eine Erklärung, mit der die beiden Regierungschefs ihre internationale Politik anhand von acht Punkten wie etwa dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, aufeinander abstimmten. "In der Hoffnung auf eine bessere Zukunft der Welt”, schrieben sie. Kurz darauf traten die USA selbst in den Krieg ein, nachdem Japan den US-Marinestützpunkt Pearl Harbour überfallen hatte. Diese "Atlantic Charter" gilt als erster symbolischer Baustein für die spätere Gründung der Nato.

Rund 80 Jahre später haben Biden und Johnson nun mit ihrer "New Atlantic Charter" ebenfalls acht Punkte veröffentlicht. Mit ihnen will Biden den inhaltlichen Takt vorgeben für den laufenden G7-Gipfel, das Nato-Treffen, den EU-USA-Gipfel, für das Aufeinandertreffen mit Putin und für nicht weniger als den weiteren Verlauf seiner Präsidentschaft – und zwar innen- und außenpolitisch.

Denn der US-Präsident wird nicht müde zu betonen, dass es in der heutigen Zeit darum gehe, dass die Demokratien der Welt beweisen müssten, handlungsfähig zu sein: nach außen etwa im Umgang mit Diktaturen und Autokratien. Nach innen in der Fähigkeit, effizient und schnell Kompromisse zu schließen, statt sich gegenseitig zu blockieren. Insbesondere bei seinem Billionen schweren Investitionsprogramm argumentiert er gegenüber den blockierenden Republikanern immer wieder, wie wichtig es sei, jetzt zu handeln, sonst werde die Demokratie zurückfallen im weltweiten Wettbewerb.

Ein Kampf ohne Bomben, Panzer und Uboote

Aber denkt der US-Präsident tatsächlich, die weltpolitische Lage sei heute so bedrohlich und zerstörerisch wie im Zweiten Weltkrieg? Ist Situation so gefährlich, dass es erneut ein Militärbündnis braucht, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg die Nato wurde?

Fakt ist, nicht nur aus Sicht der Amerikaner befindet sich die Menschheit in einem Kampf, der nicht unbedingt mit Bomben, Panzern und Ubooten geführt wird. Denn Nationen werden angegriffen, über das Internet. Was das bedeutet, erfahren aber insbesondere die USA derzeit besonders schmerzhaft:

Zum einen fürchten die USA nach wie vor Versuche von außen gesteuerter Desinformationen, wie bei den Präsidentschaftswahlen 2016. Zum anderen greifen Hacker immer häufiger zivile Infrastrukturen an, mit verheerenden Folgen. Die Amerikaner vermuten Russland und auch China hinter solchen Attacken.

Welche Seite auch immer ihn führt, es ist ein Cyber-Krieg, der in den USA die Metro in New York City zum Stehen bringt, der die Colonial-Erdöl-Pipeline an der Ostküste zum Erliegen bringt und zu Benzin-Not führt. Selbst Fleischfabriken legte dieser Krieg kürzlich lahm und gefährdet damit die Nahrungsmittelversorgung. Die betroffenen Firmen kaufen sich für Millionen von Dollar frei, wohlwissend, dass sie damit auch neue Anreize schaffen.

Gefährlich sind die Hackerangriffe auch für Biden

Für eine Nation, wie die USA, die in ihrer Geschichte auf eigenem Boden in Wahrheit nur am 11. September 2001 angegriffen wurden, ist dieser scheinbar unsichtbare Krieg eine kaum zu überschätzende Bedrohung. Und für den US-Präsidenten ist klar: Wenn er es als Commander-in-Chief nicht schafft, wirkungsvolle Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wird das politisch auch für ihn gefährlich. In Bidens und Johnson "New Atlantic Charter" heißt es darum neben Themen wie Klima, Gesundheit oder Freihandel: "Wir wehren uns gegen Einmischung durch Desinformation oder andere bösartige Einflüsse, einschließlich bei Wahlen."

Bidens wichtigstes außenpolitisches Projekt ist es deshalb, die Demokratien dieser Welt enger zusammenzuführen. Als seinen ersten Punkt in der Charter wählte er: "Wir beschließen, die Prinzipien, Werte und Institutionen der Demokratie und offenen Gesellschaften zu verteidigen." Und weiter: "Wir müssen sicherstellen, dass Demokratien – angefangen bei unserer eigenen – die entscheidenden Herausforderungen unserer Zeit lösen können."

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Überlebenskampf der Demokratien

Es sind Sätze wie diese, die Biden schon vor seiner Abreise mitteilen wollte:

Ob bei seiner Rede vor Soldaten auf einem Friedhof in Delaware am US-Gefallenengedenktag "Memorial Day": "Demokratie – das ist die Seele Amerikas, und ich glaube, es lohnt sich, dafür zu kämpfen, und Sie auch; eine Seele, für die es sich zu sterben lohnt. Die Helden, die an diesem schönen Ort, diesem heiligen Ort in ewigem Frieden liegen, sie glaubten das auch."

Oder in seinem Gastbeitrag für die "Washington Post", in der Biden 17 Mal das Wort Demokratie erwähnt – unter anderem in diesem Satz: "Wir werden uns darauf konzentrieren, sicherzustellen, dass marktwirtschaftliche Demokratien, nicht China oder sonst jemand, die Regeln des 21. Jahrhunderts für Handel und Technologie schreiben."

Das Nato-Bündnis nach Asien ausrichten

Statt Russland, das zwar insbesondere durch seine geografische Nähe aus Sicht des Westens noch immer eine Bedrohung darstellt, ist zumindest aus Sicht der Amerikaner längst China der Hauptakteur, dem es gilt, die Stirn zu bieten. Erst zum zweiten Mal überhaupt in der Geschichte der Nato-Treffen, wird China inhaltlich eine Rolle spielen – und zwar eine entscheidende.

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Nicht ohne Grund sind mit Australien, Südkorea, Indien und Südafrika die Demokratien aus dem indopazifischen Raum als Gastländer zum G7-Gipfel nach Cornwall eingeladen worden. Nicht ohne Grund strebt die Nato an, mit diesen Ländern noch viel enger als bisher auch militär-strategisch zu kooperieren, wie es aus Diplomatenkreisen kurz vor dem Gipfel am Montag heißt.

Gespaltene USA bei China geeint

Und nicht ohne Grund hat der US-Senat erst vor wenigen Tagen mit einer überwältigenden Mehrheit von 68 zu 32 aus Demokraten und Republikanern ein 2.400 Seiten langes Gesetz, den "U.S. Innovation and Competition Act" verabschiedet, das die Wettbewerbsfähigkeit der USA gegenüber China stärken soll. Mit 250 Milliarden US-Dollar soll unter anderem eine wettbewerbsfähige, weil industriestrategisch so wichtige Halbleiterindustrie, aufgebaut werden, die von den Chinesen und dem stets von einer Übernahme bedrohten Taiwan dominiert wird.

Diese Einigung in dem parteipolitisch derart polarisierten Senat zeigt, wie wichtig dieser Kampf den Amerikanern, ob Demokraten oder Republikaner, ist. Und ähnlich wie im Falle der Hackerangriffe zeigt es, wie wichtig es für Biden ist, die Verbündeten auf Linie zu bringen, damit er innenpolitisch die überparteilichen Erwartungen erfüllen kann.

Die Interessen der Europäer sind andere

Aber wenn es konkret wird, könnte ein solcher Schulterschluss der weltweiten Demokratien, ob nun gegen Russland oder China sehr viel komplizierter sein, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn eine historisch entlehnte "New Atlantic Charter" wird nicht reichen und auch die malerischen Fotos der Staatschefs an der "rosamundepilcherhaften" Küste von Cornwall können nicht darüber hinwegtäuschen:

Die Interessen der Europäer sind teils deutlich andere. Auch wenn sie heilfroh sein dürften, dass Donald Trump vorerst Geschichte ist. Alle Beteiligten wissen um das enge zeitliche Fenster mit einem so geneigten US-Präsidenten. Aber was danach? Zwar gibt es derzeit in vielen Fragen eine lange nicht mehr wahrnehmbare Einigkeit, etwa beim Klima. Wer hätte vor einigen Jahren gedacht, dass die USA und Boris Johnson eine Charter unterschreiben, in der als siebter Punkt zu lesen ist: "Die Welt hat einen kritischen Punkt erreicht, an dem sie eindringlich und ehrgeizig die Klimakrise anpacken, Biodiversität schützen und die Natur erhalten muss."

Aber insbesondere Deutschland ist wirtschaftlich als Exportnation viel enger mit China und auch mit Russland verbunden, als dass eine mögliche Konfrontation mit diesen Weltmächten so einfach wäre, wie es auf einem Papier erscheinen mag. Ob bei Nord Stream 2 oder bei Huaweis 5G – hier wird deutlich, wie schwer es ist, Worten auch Taten folgen zu lassen.

Glaube an die Kraft von Allianzen

Biden wird nicht locker lassen. Die Demokratien dieser Welt zu bewahren, scheint er als seine ihm selbst gesetzte Aufgabe anzusehen – unabhängig von seinem Amt. Joseph Biden wurde 1942 geboren, ein Jahr nach der ersten "Atlantic Charter". Die Erzählungen vom Zweiten Weltkrieg, die Eindrücke der Nachkriegszeit und der letztlich glimpfliche Ausgang des Kalten Krieges haben ihn geprägt. Er glaubt an die Kraft von Allianzen, wie wohl kaum ein US-Präsident nach Franklin Roosevelt, in dessen Tradition er gerne gesehen wird, auch was seine Investitionspläne angeht.

Biden führte diesen Kampf schon, als er noch gar nicht wissen konnte, dass er 2021 zum US-Präsidenten gewählt werden würde, mit bereits über 70 Jahren seinen Verteidigungskrieg für die Demokratie mit Worten.

Zwei Jahre nach Trumps Wahl etwa sprach er 2018 als Ex-Vizepräsident bei einer Veranstaltung der NGO, die der ehemalige Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen unter dem Namen "Alliance Of Democracies" gegründet hatte. Neben den Probleme in seinem eigenen Land sagte Biden: "Die Bedrohung der Demokratie beschränkt sich nicht nur auf Russland. Autoritarismus ist in allen Regionen auf dem Vormarsch. Repressive Regime von China über den Iran bis Venezuela schwächen die demokratischen Kräfte in ihren Gesellschaften und stärken ihre Machtergreifung."

Sein Lösungsweg war 2018: "Wir sollten nicht vergessen, dass eine unserer größten Kraftquellen das beispiellose System von Allianzen ist, das die Vereinigten Staaten und unsere europäischen Verbündeten nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen haben."

An dieser Strategie hält der US-Präsident eisern fest und er will sie ausbauen – zumindest will er diesen Eindruck auf seiner ersten Reise vermitteln, insbesondere dann, wenn er Waldimir Putin in Genf am Mittwoch kommender Woche gegenübersitzen wird.

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