US-Wahlkampf Trump läuft die Zeit davon
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Knapp drei Wochen vor der Wahl liegt Donald Trump hinten und sucht weiter ein zündendes Thema – während Millionen Amerikaner längst abstimmen. Das treibt den Präsidenten an Orte, an die er nie wollte.
Am Mittwochabend kam Donald Trump nach Iowa. Er begann seine Rede auf dem Flugfeld des Flughafens in Des Moines, indem er sich selbst und seinen dicht gedrängt stehenden Anhängern Mut machte: Es gebe eine Umfrage, so der Präsident, laut der er mit sechs Prozentpunkten in Iowa vorn läge.
Doch wären die Umfragen so gut wie behauptet, wäre der Präsident gar nicht erst aufgetaucht. 2016 hatte er Iowa mit einem Vorsprung von 9,5 Prozentpunkten gewonnen und bis vor kurzem galt der dünn besiedelte Agrarstaat im Mittleren Westen als sichere Bank für ihn. Doch in den neuen dortigen Umfragen liegen er und sein Kontrahent Joe Biden plötzlich auf Augenhöhe – oder der Demokrat liegt gar vor ihm.
Die Entwicklung und der Besuch in Iowa sind typisch für die derzeitige Lage Donald Trumps. Der Amtsinhaber muss derzeit Wahlkampf in Staaten machen, die er sicher geglaubt hätte. Eigentlich müsste er sich auf die klassischen großen umkämpften Bundesstaaten wie Florida und Pennsylvania konzentrieren. Doch auch in anderen Staaten, die er in seiner Tasche wähnte, sind die Umfragen derzeit für ihn so unfreundlich, dass er sich genötigt sieht, persönlich vorbeizuschauen.
Nicht erholt vom Doppelschlag
Am Freitag macht er etwa Halt im Südstaat Georgia. Dort hatte 1992 mit Bill Clinton letztmals ein Demokrat gewonnen, doch auch hier liegt Biden im Schnitt der Umfragen nun knapp vorn.
Die Umfragen sind nur Momentaufnahmen der politischen Stimmung, doch sie verheißen nichts Gutes. Trump hat sich in der Wählergunst bislang nicht erholt von einem Doppelschlag. Erst legte er einen misslungenen Auftritt beim ersten TV-Duell mit Biden hin, kurz darauf fing sich der bestgeschützte Mann der Nation Covid-19 ein – und verharmloste selbst als Patient das Virus weiter. Für all das stellten ihm die Amerikaner schlechte Noten aus.
Und nun liegt Trump, keine drei Wochen vor dem Wahltag am 3. November, deutlich hinten in den Umfragen.
Millionen Amerikaner sind längst außer Reichweite
Er kann sich damit trösten, dass ihm auch bei seinem Überraschungssieg 2016 eine Aufholjagd in letzter Minute gelang. Doch sein Rückstand jetzt ist größer, als damals war – und die Umfragen sind laut Aussagen der Meinungsforscher auch genauer als vor vier Jahren.
Hinzu kommt, dass so viele Amerikaner wie noch nie längst gewählt haben – und damit außer Reichweite sind für einen Kandidaten, der auf den Stimmungsumschwung in letzter Minute setzt.
In der Hälfte der Bundesstaaten hat das sogenannte "in-person early voting" längst begonnen, also die vorzeitige Stimmabgabe in Wahllokalen. Die Briefwahl läuft bereits in noch mehr Staaten. 15 Millionen Stimmen sind schon abgegeben, das sind zehn Mal so viele wie zum ähnlichen Zeitpunkt vor vier Jahren.
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In Georgia, das erst am Montag seine Wahllokale öffnete und wo sich lange Schlangen bildeten, haben bereits nach drei Tagen mehr Wähler frühzeitig abgestimmt als im gesamten dortigen Wahlkampf 2016.
Es sind vor allem Demokraten und unabhängige Wähler, die von der Möglichkeit der frühzeitigen Stimmabgabe Gebrauch machen.
Trump sucht nach einem Hebel, mit dem er die Stimmung so schnell wie möglich ins Kippen bringen kann. Doch einer Möglichkeit beraubte er sich selbst: Aus dem für Donnerstagabend geplanten zweiten TV-Duell mit Biden zog er sich zurück.
Ein TV-Fernduell
Ihm lag das für die Bürgersprechstunde geplante virtuelle Format nicht. Biden organisierte daraufhin seine eigene Town Hall im Fernsehsender ABC. Trump zog nun nach und wird bei NBC zur gleichen Sendezeit ein ähnliches Format abhalten.
Biden bereitete sich am Mittwoch ausgiebig auf den Termin vor Millionenpublikum vor. Trump hatte anderes zu tun. Er verließ um 16 Uhr das Weiße Haus und kehrte erst gegen Mitternacht zurück – für den einen Wahlkampfbesuch in Iowa, einem Staat, auf den er in normalen Umständen keine Zeit verwendet hätte.
- Eigene Recherchen
- Wall Street Journal: Mail Balloting Is Fueling Historic Early Voting in the 2020 Election