Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Trump und die Corona-Infektion Warum sollte man ihm jetzt glauben?
Er ist berüchtigt für seine Lügen. Nun sagt Donald Trump, er sei mit dem Coronavirus infiziert. Stimmt das jetzt ausnahmsweise mal – oder kann es nicht auch eine weitere seiner Lügen sein?
Donald Trump ist der größte Verbreiter von "Fake News" über das Coronavirus. Das hat gerade eine Studie der Cornell University herausgefunden, die 38 Millionen Artikel über die Pandemie im englischsprachigen Raum ausgewertet hat. 38 Prozent der Falschinformationen waren demnach vom US-Präsidenten getrieben.
Wirklich überraschend ist das nicht, Trump ist berüchtigt für sein zweifelhaftes Verhältnis zur Wahrheit. Nicht nur beim Coronavirus. Doch gerade dessen Gefahr spielte er lange Zeit herunter. Wissentlich, wie die Enthüllungen des renommierten US-Journalisten Bob Woodward gezeigt haben.
Warum also sollte man ihm jetzt glauben, wenn er sagt, dass er sich mit Corona infiziert hat?
Es ist wichtig, jede Aussage des US-Präsidenten zu hinterfragen. Wichtiger als ohnehin in der Politik. Aber wenn man etwas relativ sicher sagen kann über Trump und die Wahrheit, dann das: Im Zweifel sagt er Dinge, von denen er glaubt, dass sie ihm nützen. Was also hätte er durch eine Corona-Lüge zu gewinnen, was zu verlieren?
Was für eine Lüge spricht:
Die TV-Duelle: Die erste Debatte zwischen Donald Trump und seinem Herausforderer Joe Biden war ein wildes Durcheinander – provoziert vom US-Präsidenten. Selbst Trump-Unterstützer sagten anschließend, dass der Präsident an einigen Stellen übertrieben habe. Umfragen zeigten nachher, dass Trump auch beim Publikum mit seinen heftigen Attacken und ewigem Dazwischenreden nicht punkten konnte. Sie sahen Biden vorne. Eigentlich sollte es noch zwei weitere TV-Duelle geben, am 15. und 22. Oktober. Sie könnten nun ausfallen. Trump könnte eine Erkrankung herbeigelogen haben, um sich vor ihnen zu drücken. Und so auf der größten Bühne im Wahlkampf nicht noch einmal als Verlierer dazustehen.
Die Comeback-Story: Donald Trump, der Präsident, dem nicht einmal das Coronavirus etwas anhaben kann: Es wäre eine Story nach Trumps Geschmack. Trump könnte fälschlich behauptet haben, infiziert zu sein, um sich als asymptomatisch und eigentlich-trotzdem-gesund zu präsentieren. Es würde gut in seine Erzählung passen, dass das Virus ja gar nicht so schlimm sei. Und er könnte hoffen, als "Corona-Bezwinger" seine Chancen auf die Wiederwahl zu steigern.
Die Exit-Strategie: Die Umfragen sprechen seit Wochen gegen ihn. Biden liegt nicht nur insgesamt, sondern auch in wichtigen Swing States konstant vor dem Präsidenten. Trump könnte die Nerven und die Hoffnung verloren haben, seinen Rückstand bis zum Wahltag in einem Monat noch herumzureißen. Seine Corona-Infektion könnte ihm als Ausrede gelegen kommen. Entweder, um eine Niederlage allein seiner Infektion und damit höherer Macht anzulasten. Oder sogar, um selbst noch aus dem Rennen auszusteigen.
Was gegen eine Lüge spricht:
Die Diagnose: Es sind nicht nur Donald Trump und seine Frau Melania selbst, die behaupten, infiziert zu sein. Der Arzt des Weißen Hauses, Sean Conley, hat die Diagnose in einem Brief bestätigt. Er müsste bei einer solch gewaltigen Lüge wie einer Fake-Infektion also mitspielen.
Der starke Mann: Politiker zeigen ungern körperliche Schwäche, weil sie schnell zu politischer Schwäche werden kann. Das gilt für Donald Trump ganz besonders. Trump ist ein Egozentriker, er zelebriert Macht und Männlichkeit. Eine Krankheit passt nicht in sein Selbstbild. Es ist deshalb kein Zufall, dass er seine Gesundheit in der Vergangenheit eher schöner zeichnete, als sie wirklich war.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Die Wirtschaft: "It's the economy, stupid!", sagte Bill Clintons Stratege im Jahr 1992 – die Wirtschaft entscheidet wesentlich darüber, wie die Präsidentschaftswahl ausgeht. Das war bisher schon etwas, das gegen Trumps Erfolg am 3. November sprach – auch wegen der Corona-Krise. Nun stürzen die Börsen allein durch die Nachricht seiner Infektion ab. Konzerne, Geschäfte, Cafés dürften ihre Hygienekonzepte erneut hinterfragen. Im Zweifel auf Kosten von Umsatz und Gewinn.
Die Kampagne: Donald Trumps Wahlkampagne lebt von seinen Auftritten vor Publikum. Er ist dann ein guter Wahlkämpfer, wenn er den Entertainer geben kann. Trump hat deshalb zuletzt viele solcher Auftritte absolviert, obwohl die Corona-Krise es auch für ihn komplizierter und heikler gemacht hat. Seine Infektion so kurz vor der Wahl führt nun unweigerlich dazu, dass nun Auftritte abgesagt werden müssen – und er seine Stärke nicht mehr ausspielen kann.
Das ungeliebte Thema: Die Corona-Krise ist ein Thema, das Trump eigentlich kleinhalten will im Wahlkampf. Die Mehrheit der Amerikaner findet, dass er die Krise nicht gut managt. Wird über Corona geredet, steht Trump schlecht da. Deshalb hat er immer wieder versucht, die Rassismus- und Polizeigewalt-Debatte in eine Debatte über marodierende Linksextreme in den Städten umzudeuten. Mit Law & Order hoffte er zu punkten, was ihm tendenziell gelingt, weil simple Härte einfacher zu vermitteln ist als die differenzierte Position Bidens. Mit einem infizierten Präsidenten dürfte nun über wenig anderes gesprochen werden als: Corona.
- Eigene Recherchen
- "New York Times": Study Finds ‘Single Largest Driver’ of Coronavirus Misinformation: Trump