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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kampagne gegen US-Präsidenten Trumps Freunde werden zu Feinden
Sie stellen mit bösen Videos Trump zur Schau, rufen zur Wahl von Joe Biden auf. Doch hinter dem "Lincoln Project" stecken rebellische Republikaner – ein Drahtzieher ist mit einer engen Beraterin Trumps verheiratet.
Donald Trump wirkt müde und überfordert. Er steigt vor dem Weißen Haus aus seinem Hubschrauber, seine Schultern und Mundwinkel hängen tief nach unten – alberne Musik ertönt im Hintergrund. Den kurzen Clip haben auf Twitter Millionen Menschen gesehen.
Er ist nur eines von mittlerweile zahlreichen Videos, die Trump politisch zerstören sollen. Sie legen die politischen Fehler des US-Präsidenten bloß und zeigen seine menschlichen Schwächen. Aber was auf den ersten Blick aussieht, wie eine aufwendige Kampagne der Opposition in den USA, kommt ausgerechnet von rebellischen Republikanern.
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Das "Lincoln Project" ist eine Lobby-Gruppe, die die Wiederwahl von Donald Trump verhindern möchte. Mithilfe von populistischen Videos werden die Schwächen von Donald Trump aufgezeigt – die Clips sollen vor allem die Inkompetenz des US-Präsidenten im Amt zeigen. Auf eine Art und Weise, wie es Trump sonst selbst mit seinen Tweets tut: Provokant, persönlich und überzogen.
Damit gerät der US-Präsident im Wahlkampf auch aus den eigenen Reihen unter Beschuss, zum Ärger des Trump-Lagers. Die Videos gehen vor allem in den sozialen Netzwerken viral, werden dort teilweise millionenfach angesehen. Ziel der Satire ist immer ein persönlicher Angriff auf Trump.
Das "Lincoln Project" ist ein Symptom für Umwälzungen in den USA durch die Präsidentschaft von Trump. Die Gräben zwischen Demokraten und Republikanern sind immer noch tief, aber die politischen Lager sind durchlässiger geworden, weil auch viele Republikaner in Trump eine Gefahr für die Würde des Präsidentenamtes sehen und die protektionistische Außenpolitik der derzeitigen US-Regierung für verantwortungslos halten. Das "Lincoln Project" ist ein gezielter Angriff auf Trump, der auf eben diese Schwachpunkte zielt.
Bekannte republikanische Strategen beteiligt
Für Trump ist die Initiative ein besonderes Ärgernis, weil seine Amtsführung aus der eigenen Partei infrage gestellt wird. Hinter dem "Lincoln Project" stecken erfahrene Republikaner, die bereits frühere Wahlkampagnen führend begleitet haben. Rick Wilson, einer der Gründer der Lobby-Gruppe, hat bereits für beide Kampagnen der Bush-Präsidenten gearbeitet. Auch George Conway ist Teil des Gründerteams. Er ist Ehemann von Kellyanne Conway, die 2016 von Trump zu seiner Beraterin ernannt wurde. Ende 2019 startete die Gruppe mit dem Projekt – ihre Beiträge verbreiteten sich rasant in den sozialen Netzwerken und wurden von nationalen und internationalen Medien aufgegriffen.
Dabei arbeiten sie in ihren Videos mit Darstellungsformen, die Trump als verantwortungslos und unfähig zeigen. Ein Beispiel: Vor zwei Monaten veröffentlichte das "Lincoln Project" ein Video mit dem Namen "Mourning in America" (Trauer in Amerika), das sich auf die Coronavirus-Pandemie bezieht. Darin zu sehen sind Menschen in Krankenhäusern, in Warteschlangen mit Masken, ausgestorbene Straßen. Zu den Bildern wird gesagt: "Es sind 60.000 Menschen gestorben, weil Donald Trump das Coronavirus ignoriert hat." Leere Spielplätze werden gezeigt, Menschen auf Krankenliegen. Und am Ende heißt es, "Amerika fragt sich: Wenn wir weitere vier Jahre wie diese haben, wird es dann überhaupt noch ein Amerika geben?".
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Das Video ist aufwendig produziert, zielt auf die emotionale Ebene der Zuschauer ab und kontrastiert eine Kampagne von Ronald Reagan aus dem Jahr 1984 mit dem Titel "Morning in America" (Morgens in Amerika). Im Gegensatz zu dem Video der Lobby-Gruppe ging es in Reagans Werbespot um die schönen Seiten des Landes, die unter dem Präsidenten aufgeblüht sind. Das Video der Trump-Gegner hat genau das gegenteilige Ziel, es zeigt, wie das Land unter Trump während der Corona-Krise gelitten hat und soll dem Zuschauer verdeutlichen, wie wenig sich der US-Präsident für sein Land interessiert.
Trump-Gegner haben 16,8 Millionen Dollar gesammelt
Auf Twitter hat das Projekt bereits 1,4 Millionen Follower. Trump selbst hat zum Erfolg beigetragen, als er nach Erscheinen von "Mourning in America" Hass-Tweets gegen die Republikaner veröffentlichte und sie als "Loser" bezeichnete, gegen sie ätzte. Zudem hat jedes einzelne Mitglied der Initiative selbst eine hohe Reichweite in den sozialen Netzwerken. Reagiert Trump, reagieren auch die Medien. Eine Marketing-Kampagne brauchte die Initiative demnach nicht.
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Zu unterschätzen sind die Trump-Gegner alleine aus finanziellen Gründen nicht. Offiziell gelten sie als "PAC", ein "Political Action Commitee" und sind somit eine Lobby-Gruppe. Alleine in diesem Quartal haben die Trump-Gegner 16,8 Millionen Dollar an Spenden gesammelt, wie ein Berater des Projekts der "Washington Post" gesagt hat. Sie unterstützen mit den Einnahmen Politiker, Parteien oder andere Initiativen. Bei 59 Prozent der Spenden handelt es sich um Beträge unter 200 Dollar.
Conway-Familie ist Sinnbild der Spaltung
Die Revolte aus den Reihen der Republikaner hatte sich im letzten halben Jahr immer mehr zugespitzt. Zuletzt gab es aus der Partei immer wieder kritische Töne zu Trumps Umgang mit den "Black Lives Matter"-Protesten nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd. Doch auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie in den USA und Trumps Krisenmanagement haben einige Republikaner empört. Erst am vergangenen Sonntag trug der Präsident erstmals öffentlich eine Maske, als er ein Krankenhaus besuchte. Davor lehnte er diese strikt ab.
Für zusätzlichen Ärger sorgten Trumps Wahlkampfveranstaltungen. So wollen einige republikanische Senatoren aus Angst vor dem Virus nicht an einem Auftritt des US-Präsidenten in Jacksonville teilnehmen. Dort will Trump im August in Florida seine "Convention Speech" halten, vor 15.000 Menschen in einer Halle. Die Einhaltung von Hygiene-Bestimmungen und Corona-Maßnahmen spalten aktuell das konservative Lager.
Das "Lincoln Project" ist allgemein Sinnbild dieser Spaltung unter den Republikanern, die durch die Familie Conway besonders verkörpert wird. Während Kellyanne eine enge und bekannte Beraterin von Trump ist, ist ihr Mann George Teil des "Lincoln Projects" und nutzt somit viele Gelegenheiten, um den US-Präsidenten zu diskreditieren.
Als George aggressiv über Trump schrieb und ihn einen "Rassisten", "Kriminellen" und "zutiefst psychisch krank" nannte, schrieb der US-Präsident über George Conway wiederum "SEHR eifersüchtig auf seine Frau". Die Ehe ist mittlerweile zur politischen Soap-Opera in den USA geworden.
Angst der Konservativen vor ungelösten Problemen
Trotz der der großen öffentlichen Sichtbarkeit des "Lincoln Projects" und der giftigen Reaktionen von Trump, ist jedoch unklar, wie sehr die Lobby-Gruppe die Republikaner spalten kann. Fest steht nur, dass die Angriffe auf den US-Präsidenten gezielt auch die Wähler im republikanischen Lager erreicht, die Trump kritisch gegenüberstehen. Laut Recherchen des US-Magazins "Politico" könnten die Videos einen Effekt auf republikanische Wähler haben. Auch, weil diese anfällig für Angst sind.
Das Phänomen schildert Dannagal Young, Professor der Universität von Delaware, in seinem Buch "Ironie und Empörung". Er zeigt auf, dass konservative Wähler anders auf Unterhaltungs-Rhetorik reagieren, weil sie eine geringere Toleranz für Doppeldeutigkeiten haben, als zum Beispiel Liberale. Die Videos vom "Lincoln Project" zeigen demnach ungelöste Probleme auf und gerade darauf reagieren konservative Wähler empfindlich ablehnend.
Gegenwind für Trump aus der eigenen Partei
Trump nimmt dagegen den Widerstand aus den eigenen Reihen ernst, denn er sieht darin eine Gefahr für seine Wiederwahl im November. Im Wahlkampf 2016 und während seiner Amtszeit stand meist eine größtenteils geschlossene republikanische Partei hinter ihm, das ist nun anders. Dieses Bollwerk bekommt nun Risse, neben dem "Lincoln Project" sprachen sich auch prominente Republikaner gegen die Wahl von Trump aus – die Opposition und die Lobby-Gruppe der Republikaner greift den US-Präsidenten in ähnlichen Punkten an.
So gab beispielsweise der frühere republikanische US-Außenminister Colin Powell bekannt, dass er bei den Präsidentschaftswahlen für den demokratischen Kandidaten Joe Biden stimmen wird. Er habe Trump schon beim letzten Mal nicht gewählt und werde ihn "in diesem Jahr sicherlich nicht unterstützen", sagte Powell im Fernsehsender CNN. Stattdessen werde er seine Stimme für Trumps Rivalen abgeben.
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Bereits im Jahr 2016 hatte Powell angekündigt, dass er für die damalige demokratische Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton stimmen werde, die gegen Trump angetreten war.
"Wir haben eine Verfassung, wir müssen die Verfassung respektieren. Und der Präsident hat sich davon abgewandt", kritisierte Powell und sagte, Trump lüge "die ganze Zeit". "Ich hätte dieses Wort niemals für einen der vier Präsidenten, für die ich gearbeitet habe, benutzt", sagte er. Zudem warf er Trump vor, sowohl national wie international zu spalten.
"Ist das gut für mein Land?"
Powell rief die Amerikaner dazu auf, über Trumps Einfluss auf die US-Gesellschaft sowie über die internationale Rolle der USA zu reflektieren. "Denken Sie darüber nach, benutzen Sie Ihren gesunden Menschenverstand und fragen Sie sich: Ist das gut für mein Land?", appellierte er.
Trump reagierte verschnupft auf die Äußerungen Powells. "Der Spießer Colin Powell, der für die katastrophalen Nahostkriege verantwortlich war, hat angekündigt, dass er einen anderen Spießer, den 'Schläfrigen Joe Biden', wählen wird", schrieb der US-Präsident. "Hat Powell nicht gesagt, dass der Irak Massenvernichtungswaffen hat? Sie hatten keine, aber wir zogen in den Krieg."
Doch auch wenn es Widerstand aus den Reihen der Republikaner vereinzelt 2016 schon gab, ist der Gegenwind für Trump nach seiner ersten Amtszeit ungleich stärker. Der frühere US-Präsident George W. Bush wird die Wiederwahl von Trump nicht unterstützen, berichtet die "New York Times". Jeb Bush sei noch nicht sicher, wen er wählen wird, und Senator Mitt Romney werde Trump ebenfalls nicht unterstützen, berichtet die Zeitung. Cindy McCain, die Witwe des verstorbenen Senators John McCain, wird laut "New York Times" mit ziemlicher Sicherheit Biden wählen.
Trump steht unter Dauerbeschuss
Die früheren Spitzenpolitiker sehen in Trump vor allem die Würde des Präsidentenamtes bedroht und sehen die Position der USA international geschwächt. In dieses Gemengelage sticht das "Lincoln Project", die Lobby-Gruppe versucht diesen Eindruck bei den Anhängern der Republikaner zu vertiefen. Deshalb hat sie zwar nicht das Potential, die Partei zu sprengen, aber sie vergrößert vor allem die Risse in der Partei, für die Trump mit seiner Politik gesorgt hat.
Die Lobby-Gruppe gibt aber vor allem einen Ausblick darauf, wie der Endspurt im US-Wahlkampf verlaufen wird. Es geht nicht um politische Inhalte, sondern um die Diskreditierung des politischen Gegenübers. Das ist nicht untypisch in den USA und wird als "Negative Campaining" bezeichnet. Der politische Kontrahent soll dabei mit einer Schmutzkampagne in ein schlechtes Licht gerückt werden. Auf der einen Seite ist Trump, der Biden vorzugsweise als "Sleepy Joe" bezeichnet, um seine Amtstauglichkeit in Frage zu stellen.
Interessieren Sie sich für US-Politik? Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über seine Arbeit im Weißen Haus und seine Eindrücke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.
Die Demokraten hatten in den letzten Wahlkämpfen dem Populismus Trumps wenig entgegenzusetzen. Deshalb freut man sich nun auch unter anderem über das "Lincoln Project". "Wir können einiges von ihnen lernen. Sie sind fies, sie kämpfen mit allen Mitteln. Wir tun das nicht", sagte James Carville, ein Wahlkampfstratege der Demokraten in einem Interview.
Empfindliche Nadelstiche
In einem sehr personifizierten Wahlkampf wird Trump nun an empfindlichen Stellen getroffen. Die Kompetenz des US-Präsidenten steht momentan unter Dauerbeschuss durch Demokraten, das "Lincoln Project" und auch beispielsweise durch das Buch von John Bolton. Neben dem Angriff auf Trumps Kompetenz im Amt ringen beide Lager aktuell auch um das Vereinnahmen des Patriotismus in den USA.
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Im Hinblick auf die Wahl ist das für Trump ein zentrales Instrument seiner Politik. Er selbst wird aber nun vom "Lincoln Project" attackiert, zum Beispiel in dem man ihn mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zeigt, der dem "Genossen Trump" seinen Segen für die Wahl gibt.
Diese Satire kann, besonders bei einer knappen Wahl, erhebliche Wirkung erzielen und empfindliche Nadelstiche setzen. Aber trotz der Schmutzkampagnen und der fehlenden politischen Inhalte im Wahlkampf ist das Aufkommen der republikanischen Lobby-Gruppe auch ein Hoffnungsschimmer für die USA: Demokraten und Republikanern können im Notfall zusammenarbeiten – das ist nach den Jahrzehnten voller Feinschaft und Polarisierungen nicht selbstverständlich.
Die umstrittene Politik Trumps hat nun dazu geführt, dass sich Teile beider Parteien mehr Vernunft in der US-Politik wünschen. Wenn sich Republikaner für die Wahl eines Demokraten einsetzen, ist das ein Zeichen für einen sehr polarisierenden Präsidenten – es ist aber auch ein Schritt in eine Richtung, die in Teilen die gesellschaftliche Spaltung in den USA überwinden kann.
- Eigene Recherche
- "NY Times": Trump wählen? Diese Republikaner schwimmen gegen den Strom (Englisch)
- "Politico": "Was das Lincoln Project über Wähler aussagt" (Englisch)
- "Tagesspiegel": Eine Ehe symbolisiert die Spaltung Amerikas
- "Opensecrets": Das Lincoln Projekt nimmt Trumps Ausgaben unter die Lupe
- "Stern": Widerstand gegen Trump aus den eigenen Reihen
- "AXIOS": "Lincoln Project" sammelte 16,8 Millionen
- "SRF": Den "Trumpismus" mit seinen eigenen Waffen schlagen