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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Reaktionen in Washington Erst Einmischen, dann Schweigen
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Wochenlang mischten sich Elon Musk und Donald Trumps Vize J. D. Vance in den deutschen Wahlkampf ein. Doch nach der Wahl herrscht in Washington eine auffällige Stille. Was steckt dahinter?
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Noch nie spielten Deutschland und seine politischen Verhältnisse für die amerikanische Regierung eine so große Rolle wie dieses Mal. Nicht nur Elon Musk, Donald Trumps rechte Hand beim Umbau der US-Regierung, sondern auch US-Vizepräsident J. D. Vance hatte sich in den vergangenen Wochen in den Bundestagswahlkampf eingemischt. Selbst der Präsident wirbelte mit Aussagen zu Deutschland und den angeblich unfairen Handelspraktiken zumindest indirekt mit.
Kaum ein Tag verging, an dem Elon Musk auf seiner eigenen Plattform X nicht aggressiv Werbung für die Alternative für Deutschland, Alice Weidel und zuletzt sogar für Björn Höcke machte. In einer historischen Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz hatte J. D. Vance eindeutige Hinweise gegeben. Seine Botschaft: Die Trump-Regierung in Washington erwartet eine Beteiligung der AfD an einer nächsten Regierung. Brandmauern müssten aufgegeben werden, sagte Vance.
Ruhe nach der Einflussnahme
Trotz dieses bislang ungewöhnlichen Maßes an Aufmerksamkeit blieb es in Washington an diesem Sonntagabend nach dem deutschen Wahlergebnis bemerkenswert still. Daran änderte auch das inoffizielle Glückwunschschreiben von Donald Trump wenig, welches er gewohnt ausschließlich in Großbuchstaben verfasste. "Es sieht so aus, als habe die konservative Partei die große und mit Spannung erwartete Wahl gewonnen", schrieb Trump. Weder den Parteinamen der CDU noch den Wahlsieger Friedrich Merz erwähnte er.
Das ließ zumindest bei einigen Lesern offen, ob damit nicht vielleicht die AfD gemeint sein könnte. Als konservativ bezeichnen sich Trump und die Anhänger der tatsächlich in weiten Teilen erzkonservativen bis rechtsextremen MAGA-Bewegung auch selbst. Zuletzt traten zahlreiche Figuren aus dem Trump-Universum, inklusive Elon Musk, J. D. Vance und Donald Trump bei der sogenannten "Conservative Political Action Conference" (CPAC) nahe Washington auf. Gäste aus Deutschland, wie AfD-Mitglieder oder Hans-Georg Maaßen (Werteunion) kamen fast ausschließlich aus dem rechts-nationalen Spektrum.
Trumps Vizepräsident J. D. Vance schwieg hingegen nach der Wahl. Auch der reichste Mann der Welt verbrachte den deutschen Wahltag mit anderen Dingen. Lediglich den Beitrag eines rechtsextremen Accounts verbreitete Elon Musk weiter. Und dieser zeigte Wahlkreiskarten, die den beträchtlichen Zuwachs der AfD insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern im Vergleich zu den Ergebnissen von 2021 darstellten. Was in dem Post nicht erklärt wurde: dass in Ostdeutschland nur rund 16 Prozent der Deutschen leben. Spät in der Nacht kommentierte Musk dann noch anerkennend, dass in Deutschland 100 Prozent der Stimmen innerhalb weniger Stunden ausgezählt worden seien. "So sollte es auch in Amerika sein", schrieb Musk.
Auch unter anderen führenden amerikanischen Politikern blieb es angesichts des deutschen Wahlergebnisses reichlich still. Das ist nicht ungewöhnlich. Immerhin finden immer wieder Wahlen in der Welt statt. Und Amerika ist aktuell mehr denn je vor allem mit sich selbst beschäftigt. Selbst der US-Präsident fragte vor einigen Tagen auf Nachfrage von Reportern im Oval Office lieber noch einmal nach: "Wer hat Wahlen? Deutschland?" Dann sagte Trump knapp: "Ich wünsche ihnen Glück. Wir haben unsere eigenen Probleme" – und verabschiedete sich ins Wochenende.
US-Experten blicken auf den AfD-Erfolg
Und so blieb es den Experten fürs weltpolitische Detail überlassen, den Ausgang der Wahl in Deutschland zu kommentieren. Der renommierte Politikwissenschaftler und frühere US-Botschafter in Russland, Michael McFaul, schrieb etwa auf X: "Vielleicht werden Vance und Musk es sich in Zukunft zweimal überlegen, bevor sie sich in die inneren Angelegenheiten demokratischer Verbündeter einmischen." Dazu teilte er ein Balkendiagramm des Wahlergebnisses.
Experten der in Washington ansässigen Denkfabrik "Atlantic Council" meldeten sich mit gemischten Äußerungen in einer Kurzanalyse zu Wort. Außenpolitikexpertin Rachel Rizzo teilte mit: "Dies ist ein großer Tag für die AfD, die ihr Ergebnis seit der letzten Wahl im Jahr 2021 mehr als verdoppelt und bisher am politischen Rand gestanden hat." Weil die Partei jedoch wegen der Brandmauer nicht in der Regierung sein werde, erwarte sie einen "Aufschrei der AfD-Spitze und ebenso von Trumps Team. "Sie werden sagen, der Wille des Volkes werde ignoriert und dies sei ein weiterer Beweis für den antidemokratischen Abstieg Deutschlands (und Europas)", so Rizzo.
Jacob Heilbrunn, ebenfalls vom "Atlantic Council", glaubt: "Unter Merz, der große moralische Klarheit an den Tag legt, wird Trump ein entschlosseneres Deutschland vorfinden, das versuchen wird, die Schlagkraft der Europäischen Union (EU) gegen die Vereinigten Staaten zu maximieren, wann und wo immer der CDU-Vorsitzende es für nötig hält."
In der "New York Times" schrieben die Autoren einer längeren Wahlbeobachtung: "Die Deutschen haben am Sonntag für einen Führungswechsel gestimmt und dabei den zentristischen Konservativen die meisten Stimmen bei einer Parlamentswahl gegeben, während die extreme Rechte auf dem zweiten Platz landete." Abgestraft hätten die Deutschen hingegen die "linksgerichtete Regierung des Landes" für ihren Umgang mit der Wirtschaft und der Einwanderung.
Unter der Überschrift "Neues Gesicht, gleiches Problem" verfasste Jackson Janes von der ebenfalls in Washington ansässigen Denkfabrik "German Marshall Fund" seine Analyse. Und die lautete: Friedrich Merz stünde zwar nun kurz davor, sich einen Lebenstraum zu erfüllen. Doch jetzt bekomme er es als Kanzler trotzdem mit "schwächelnder Wirtschaft, Krieg in der Ukraine, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Bedrohungen durch die USA und Russland sowie Forderungen nach mehr Führung in Europa zu tun". Die historisch hohe Wahlbeteiligung würde Erwartungen wecken, schrieb Janes und warnte vor Enttäuschungen: "Sollte das passieren, könnten Randparteien, vor allem der AfD, noch bessere Tage bevorstehen."
Doch ein Wahlsieg für Trump
So bleibt in Washington an diesem für Deutschland und Europa so wichtigen Tag, einmal mehr die Erkenntnis: In den USA galt schon vor Donald Trump viel mehr "Amerika zuerst", als man es sich auf der anderen Seite des Atlantiks vorstellen mag. Immerhin schien es Trump aber nicht vollkommen egal zu sein. Das sei ein "großartiger Tag" für Deutschland, schrieb er ebenfalls in seinem einzigen Beitrag. Denn die Deutschen hätten angeblich, wie in den USA, schlicht genug von einer Politik, die nicht "dem gesunden Menschenverstand" entspricht.
In Wahrheit wollte Trump damit wohl zeigen: Er und nur er ist das Maß der Dinge. Seine Politik überzeugt sogar die Deutschen von einem Regierungswechsel. Darum schloss er seine Botschaft auch mit den Worten: "Weitere Siege werden folgen!!!" Der US-Präsident scheint von sich selbst und seiner Agenda so überzeugt, dass selbst der Ausgang der deutschen Wahl im Grunde sein Wahlsieg sein soll. Es passt zumindest in sein Muster: Trump nutzt jedes Ereignis für seine eigene Kampagne, auch wenn es gar nichts oder fast nichts mit ihm zu tun hat.
Deutliche Merz-Ansagen nach Washington
Es dürften spannungsreiche Jahre für die deutsch-amerikanischen Beziehungen werden. Friedrich Merz wurde jedenfalls noch am Abend in der sogenannten Elefantenrunde überdeutlich: "Für mich wird die absolute Priorität sein, Europa so schnell wie möglich zu stärken, um Schritt für Schritt eine echte Unabhängigkeit von den USA zu erreichen." Er hätte nie gedacht, so etwas mal in einer Fernsehsendung sagen zu müssen. "Aber aus den Äußerungen Donald Trumps in der vergangenen Woche geht klar hervor, dass der amerikanischen Regierung das Schicksal Europas weitgehend gleichgültig ist", so Merz.
Auch das Bestehen der Nato in ihrer jetzigen Form zog er deswegen in Zweifel. Es könne sein, dass man viel schneller eine unabhängige europäische Verteidigungsfähigkeit aufbauen müsse. "Ich mache mir keinerlei Illusionen darüber, was in Amerika passiert", sagte Merz und hob ab auf die Einflussnahme von Elon Musk in den deutschen Wahlkampf ab:
"Das ist ein einmaliges Ereignis. Die Interventionen aus Washington waren nicht weniger dramatisch und drastisch und letztlich empörend als die Interventionen, die wir aus Moskau erlebt haben." Deutschland und Europa stünden darum von "zwei Seiten so massiv unter Druck", dass seine absolute Priorität jetzt darin bestehe, die Einheit Europas zu erreichen, sagte Merz.
Es sind Worte, die man in dieser Form von einem baldigen deutschen Kanzler wohl früher nie vernommen hätte. Im Weißen Haus wird man sie mit hoher Wahrscheinlichkeit notiert haben, zumal Merz’ Äußerungen auch in den US-Medien umgehend aufgegriffen wurden. Aber auch noch nie gab es so unverhohlene Einflussversuche auf eine deutsche Wahl wie von der aktuellen US-Regierung.
- Eigene Beobachtungen und Schlussfolgerungen
- Truth-Social-Profil von Donald Trump (English)
- atlanticcouncil.org: "Germany shifts rightward: Our experts answer the big questions about the country’s election" (English)
- X-Profil von Michael McFaul (englisch)
- nytimes.com: "Friedrich Merz, a Conservative, Is Poised to Be Germany’s Next Chancellor" (English)
- Livestream der ARD: Berliner Runde