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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Analyse der Wahlkreise Hier holte die AfD fast 50 Prozent der Stimmen
Die Kräfteverhältnisse im Bundestag stehen fest. Klar ist nun auch, wer über die Direktmandate in den Bundestag einzieht. Manche Promis verfehlten den Sieg in ihrem Wahlkreis.
Bis tief in die Nacht wurden in ganz Deutschland noch Stimmen ausgezählt, gegen 1.45 Uhr stand das vorläufige amtliche Endergebnis fest. Dann war auch klar, wie in jedem der 299 Wahlkreise abgestimmt wurde. Dabei gab es mehrere Überraschungen und interessante Werte. t-online gibt einen Überblick.
Zwei Silberlocken erfolgreich
Ein großer Gewinner der Bundestagswahl ist die Linke. Im vergangenen Herbst hatte sie noch die Mission Silberlocke ausgerufen, um mit Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch drei Direktmandate zu gewinnen und über die Grundmandatsklausel auch mit weniger als fünf Prozent in den Bundestag einzuziehen. Nun zeigt sich, dass die Partei mit 8,8 Prozent deutlich den Einzug in den Bundestag geschafft hat – und darüber hinaus gleich sechs Direktmandate gewann.
Vier davon gewann die Partei in Berlin. Bundesvorsitzende Ines Schwerdtner gewann in Lichtenberg, Ferat Koçak in Neukölln und Pascal Meiser in Kreuzberg. Zudem war "Silberlocke" Gregor Gysi in Treptow-Köpenick erfolgreich. Auch Bodo Ramelow gewann wie erhofft seinen Wahlkreis Erfurt – Weimar – Weimarer Land II. Der sechste Sieger war Sören Pellmann (Leipzig II), der bereits bei der vergangenen Wahl dort erfolgreich war. Eine der Silberlocken scheiterte allerdings in seinem Wahlkreis. Dietmar Bartsch unterlag der AfD-Kandidatin Steffi Burmeister. In Rostock – Landkreis Rostock II holte der Linke 25,6 Prozent der Stimmen, die AfD-Siegerin 26,8 Prozent.
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Auffällig war zudem, dass die Linke nicht nur bei den Direktmandaten Wahlkreiserfolge erzielte, sondern auch bei den Zweitstimmen. Neben Leipzig, Berlin-Neukölln, Kreuzberg, Lichtenberg und Treptow-Köpenick war die Partei auch in Pankow und Berlin-Mitte stärkste Kraft, obwohl die Direktmandate dort an die Grünen gingen.
AfD in zahlreichen Kreisen über 46 Prozent
Auch die AfD feierte in vielen Wahlkreisen bisher nie dagewesene Erfolge. Erstmals war sie auch in zwei westdeutschen Wahlkreisen stärkste Partei bei den Zweitstimmen: in Gelsenkirchen (24,7 Prozent) und Kaiserslautern (25,9 Prozent). Zudem kam sie erstmals in allen Wahlkreisen über die Fünfprozenthürde, am schlechtesten schnitt sie in Köln II ab, wo sie 6,3 Prozent holte.
Die AfD errang darüber hinaus auch das beste Wahlkreisergebnis aller Parteien. Im Wahlkreis Görlitz kam sie auf 46,7 Prozent der Zweitstimmen, Parteichef Tino Chrupalla holte bei den Erststimmen sogar 48,9 Prozent. Das Ergebnis war insbesondere in Sachsen aber kein Ausreißer. Auch in den Wahlkreisen Erzgebirgskreis I, Vogtlandkreis, Zwickau, Bautzen I und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge,holte die AfD mindestens 46 Prozent der Zweitstimmen. Im letzten Wahlkreis siegte AfD-Mann Steffen Janich sogar mit 49,1 Prozent der Erstimmen. Zum Vergleich: Das stärkste Ergebnis einer anderen Partei hatte die CDU im Hochsauerlandkreis, der Heimat von Parteichef Friedrich Merz, wo sie 43,6 Prozent der Zweitstimmen holte.
Weidel verliert ihren Wahlkreis deutlich
Persönlich lief es für Merz dort noch besser. Er holte 47,7 Prozent der Stimmen und distanzierte SPD-Mann Dirk Wiese um 26,3 Prozentpunkte. Auch Kanzler Olaf Scholz gewann seinen Wahlkreis, wenn auch deutlich knapper. In Potsdam – Potsdam-Mittelmark II – Teltow-Fläming II versammelte er 21,8 Prozent der Stimmen auf sich, CDU-Frau Tabea Gutschmidt kam auf 20,6 Prozent. Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock holte im selben Wahlkreis ein Ergebnis von 15,9 Prozent. Die meisten Zweitstimmen entfielen hier allerdings auf die CDU.
Derweil verpasste der Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck das Direktmandat. Petra Nicolaisen von der CDU holte sich den Wahlkreis um Flensburg mit 26,5 Prozent. Habeck lag 3,9 Prozentpunkte dahinter. Auch die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel war in ihrem Bodensee-Wahlkreis nicht erfolgreich. Sie holte 20,4 Prozent, Sieger Volker Mayer-Lay (CDU) 40 Prozent.
Wie die Linke wollten auch die Freien Wähler über drei Direktmandate in den Bundestag einziehen, scheiterten aber deutlich. In den Wahlkreisen Rottal-Inn, Augsburg-Stadt, Oberallgäu und Landshut, wo Parteichef Hubert Aiwanger und drei weitere bekannte Lokalpolitiker erfolgreich sein wollten, gewann überall die CSU. Die Freien Wähler kamen in keinem Wahlkreis auf den zweiten Platz.
Streek zieht in den Bundestag ein, Haldenwang verpasst Erfolg
Auch die SPD konnte trotz erheblicher Verluste Erfolge feiern. Verteidigungsminister Boris Pistorius erhielt im Wahlkreis Hannover-Stadt II klar die meisten Stimmen. Er bekam 36,2 Prozent der Erststimmen. Damit landete er deutlich vor der grünen Bundestagsabgeordneten Swantje Michaelsen mit 19,1 Prozent. Parteichef Lars Klingbeil gewann in Rotenburg I – Heidekreis deutlich mit 42,1 Prozent. Seine Co-Chefin Saskia Esken landete in Calw mit 12,9 Prozent jedoch nur auf Rang drei. Der bisherige Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, der erstmals in den Bundestag einziehen wollte, scheiterte in Hamburg-Eimsbüttel am Grünen Till Steffen. Der SPD-Mann erzielte ein Ergebnis von 26 Prozent, der Grüne holte 27,8 Prozent
Ein anderer prominenter Neuling schaffte den Wahlkreissieg hingegen. Der Virologe Hendrik Streeck erhielt als CDU-Kandidat im Wahlkreis Bonn die meisten Erststimmen. Auf ihn entfielen 33,31 Prozent. Über die Landesliste wäre er nicht abgesichert gewesen. Auch Karoline Bosbach, Tochter von Wolfgang Bosbach, zieht erstmals in den Bundestag ein. Im Rheinisch-Bergischen Kreis gewann sie das Direktmandat deutlich mit 42,2 Prozent. Der dort ebenfalls angetretene Noch-FDP-Chef Christian Lindner kam lediglich auf 4,9 Prozent und Rang sechs.
Ein anderer prominenter CDU-Neuling in Nordrhein-Westfalen scheiterte dagegen. Der ehemalige Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang holte in Wuppertal I 24,3 Prozent der Stimmen und lag damit 9,2 Prozentpunkte hinter SPD-Mann Helge Lindh. Derweil gewann der ehemalige CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet das Direktmandat in einem Wahlkreis in Aachen. Er holte 32,3 Prozent, nachdem er bei der vergangenen Wahl gegen die Grünen unterlegen war.
Johannes Volkmann, Enkel des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl, hat in seinem Wahlkreis Lahn-Dill mit 34,3 Prozent die meisten Erststimmen auf sich vereinen können. Auch der Sohn des früheren hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, Frederik Bouffier (beide CDU), hat in seinem Wahlkreis Gießen bei der Bundestagswahl die meisten Stimmen errungen. Er erreichte laut vorläufigem Ergebnis 30,4 Prozent der Erststimmen.
Das knappste Ergebnis gab es in Stuttgart. Mit nur 16 Stimmen Vorsprung haben die Grünen dort ihr Direktmandat für den Bundestag verteidigt. Demnach kamen sowohl die Grünen-Politikerin Simone Fischer als auch Elisabeth Schick-Ebert von der CDU in einem Kopf-an-Kopf-Rennen auf jeweils 28,3 Prozent der Stimmen.
Allerdings zeigt auch die Wahlrechtsreform ihre Auswirkungen: Nicht jedes Direktmandat berechtigt zum Einzug in den Bundestag. 23 Wahlkreissieger werden nicht in den Bundestag einziehen.
- Angaben der Bundeswahlleiterin