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Zum journalistischen Leitbild von t-online.TikTok-Verbot oder -Verkauf "Es ist fast eine Wahl zwischen Pest und Cholera"
Steht die umstrittene Plattform TikTok in den USA vor dem Aus? Am Sonntag endet eine entsprechende Frist: Findet sich kein Käufer, wird die App verboten. Ein Experte erklärt, was das bedeuten könnte.
Der Verkauf des vom Aus bedrohten US-Geschäfts von TikTok an den Tech-Milliardär Elon Musk wird in der chinesischen Regierung erwogen. Das berichtet der Finanzdienst Bloomberg unter Berufung auf informierte Kreise. Demnach soll die Option diskutiert worden sein, dass Musks Online-Plattform X (ehemals Twitter) die Kontrolle über TikTok US übernimmt und beide Dienste zusammen betreibt. Ein Sprecher von TikTok dementierte jedoch jegliche Verkaufsabsichten vehement.
TikTok steht in den USA wegen seiner Nähe zur chinesischen Regierung unter Spionageverdacht. Obwohl das Unternehmen und seine Muttergesellschaft ByteDance die Vorwürfe wiederholt zurückgewiesen haben, verlangt ein US-Gesetz, dass ByteDance das US-Geschäft bis zum 20. Januar 2025 verkauft. Andernfalls droht eine landesweite Sperrung der App, was rund 170 Millionen Nutzer betreffen würde – etwa die Hälfte der US-Bevölkerung.
TikTok hat gegen das Gesetz geklagt, der Fall wird derzeit vor dem Obersten Gerichtshof der USA verhandelt. Die Plattform bereitet sich aber auf ein mögliches Verbot in den USA vor. Doch was heißt das nun? Und könnte Elon Musk TikTok übernehmen?
t-online: Herr Beckedahl, am Sonntag läuft die Frist aus, bis zu der TikTok in den USA verkauft werden muss – sonst wird es verboten. Weshalb ist die Plattform eine Bedrohung für die westliche Demokratie?
Markus Beckedahl: Die USA hatten bis zum Aufstieg von TikTok das globale Informationsmonopol bei sozialen Netzwerken. Plattformen wie Instagram, YouTube oder LinkedIn sind fest in amerikanischer Hand und dienen auch dazu, die Interessen der USA weltweit zu vertreten. TikTok hat dieses Monopol gebrochen und ist ein ernst zu nehmender Konkurrent geworden. Es kontrolliert, welche Inhalte bevorzugt verbreitet werden – oder eben nicht. Das birgt große Gefahren.
Welche genau?
Wir wissen nicht, nach welchen Mechanismen solche Plattformen Inhalte priorisieren. Im Extremfall kann TikTok gezielt zur Destabilisierung westlicher Gesellschaften eingesetzt werden. Das betrifft nicht nur die Inhalte, sondern auch die Algorithmen, die das Nutzerverhalten analysieren und beeinflussen können.
Erläutern Sie das bitte.
TikTok sammelt eine enorme Menge an Daten: Metadaten, Kommunikationsdaten, Vorlieben und tiefergehende Einblicke in die Bedürfnisse der Nutzer. Eine uns feindlich gesinnte Macht wie China kann diese gegen uns nutzen. China könnte die gesammelten Daten missbrauchen, sei es zur Überwachung der Bevölkerung oder zur gezielten Verbreitung von Desinformation. Daher gibt es in Europa bereits Anweisungen, dass Regierungsmitarbeiter TikTok nicht nutzen sollen. Nun geht es für die USA darum, die Kontrolle über Informations- und Werbemonopole zurückzugewinnen.
Zur Person
Markus Beckedahl, geboren 1976, ist ein deutscher Journalist und Netzaktivist. Er gründete den Blog netzpolitik.org und war bis 2024 dessen Chefredakteur. Er rief die re:publica ins Leben, eine der führenden Konferenzen zur digitalen Gesellschaft in Europa, und ist deren kuratorischer Leiter. Zudem bietet er auf digitalpolitik.de Vorträge, Beratung und Workshops an und schreibt einen Newsletter zu digitalen Themen. Beckedahl beschäftigt sich mit Netzpolitik, Datenschutz und digitalen Grundrechten.
Wie kann ein Verbot denn in der Praxis aussehen?
Ein Verbot könnte bedeuten, dass TikTok aus den App-Stores verschwindet und keine Updates mehr erhält. Zudem wären Netzsperren denkbar, die den Zugriff auf TikToks Server verhindern. In Kombination würden diese Maßnahmen die Nutzung der Plattform stark einschränken.
Wäre denn ein Verbot oder ein Verkauf von TikTok die bessere Lösung?
Das ist schwer zu sagen, weil noch viele Fragen offen sind. Ein Verbot hätte auch in Europa massive Folgen. Denn viele Inhalte von TikTok-Stars stammen aus den USA. Bei einem Verkauf stellt sich die Frage: Was genau würde verkauft? Die Nutzerbasis, nur die von US-Amerikanern? Die Daten? Oder der Algorithmus? Letzteres ist unwahrscheinlich, da China diesen kaum herausgeben würde. Ohne den Algorithmus wäre TikTok jedoch deutlich weniger wertvoll.
Laut einem Bericht gehört Elon Musk zu den Bietern auf TikTok. Für wie realistisch halten Sie einen Kauf durch Musk?
Durch seine Geschäfte in China hat er vermutlich ein Interesse daran, weiterhin gute Beziehungen zur chinesischen Regierung zu pflegen. China wiederum hat ein Interesse daran, den Algorithmus und wichtige Nutzerdaten weiterhin unter Kontrolle zu behalten. Musk wäre da ein strategischer Käufer, den man bereits kennt. Ein Verkauf an ihn könnte China möglicherweise erlauben, weiterhin Einfluss zu bewahren, ohne TikTok offiziell zu betreiben. Doch Musk muss am Ende gar nicht der Käufer sein.
Sondern?
Es gibt zahlreiche rechtsgerichtete Milliardäre aus dem Silicon Valley, die ein großes Interesse daran haben, sich durch den Kauf von TikTok mit einer Trump-Administration gut zu stellen oder Einfluss zu nehmen. Solche Akteure könnten die Plattform gezielt nutzen, um die Öffentlichkeit zu manipulieren.
Sie meinen jemanden wie den libertären Investor Peter Thiel?
Ihn oder andere Gleichgesinnte. Ein Verkauf an ihn könnte die Diskurslandschaft weiter nach rechts verschieben. Aus europäischer Sicht ist es fast eine Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder landet TikTok in den Händen eines Milliardärs mit politischen Interessen oder die Plattform bleibt unter chinesischer Kontrolle. Nicht auszuschließen ist aber, dass die Trump-Familie noch in letzter Sekunde einen Deal einfädelt.
Wie, meinen Sie?
Trump könnte das TikTok-Verbot noch verhindern. Ein Deal könnte dann so aussehen: Ein Spross der Trump-Familie wird in eine neue Seifenoper auf TikTok integriert, die Familie Trump bekommt eine ordentliche Zahlung dafür. Und China muss doch nicht verkaufen.
Ist ein solches Szenario tatsächlich realistisch?
Womöglich ja. Es mag übertrieben klingen. Doch in den USA haben wir ähnlich fragwürdige Vorgänge gesehen. Amazon Prime hat etwa 40 Millionen Dollar an Melania Trump gezahlt, um eine Dokumentation über sie zu produzieren. So etwas hat ein Geschmäckle.
Lassen Sie uns auf Deutschland und die EU blicken. Könnte TikTok auch verboten werden?
Das wäre theoretisch möglich, wenn TikTok systemische Risiken birgt.
Sie spielen auf den "Digital Services Act" an.
Ja. Die EU könnte Plattformen wie TikTok, aber auch X sperren – zum Beispiel bei einer Invasion Taiwans und dem gleichzeitig gezielten Einsatz von Desinformation. Oder wenn sich TikTok nicht an Auflagen hält und sich Strafzahlungen verweigert. Allerdings ist die EU-Kommission oft zögerlich. In der EU gibt es Anzeichen dafür, dass die Kommission aus Angst vor einem Handelskrieg mit den USA zurückhaltend agiert.
Steile These.
Das ist nicht unrealistisch. Viele in der EU fürchten die Reaktion der USA im Falle eines Durchgreifens gegen X, Facebook und Co. Es ist möglich, dass ein scharfes Vorgehen gegen US-Dienste etwa Zölle für die deutsche Autoindustrie nach sich ziehen könnte. Mark Zuckerberg hat zudem signalisiert, dass er sich unter den Schutz einer möglichen Trump-Administration stellt, um gegen EU-Regulierungen gewappnet zu sein.
Was braucht es jetzt?
Die EU darf ihre demokratischen Werte nicht aus Angst aufgeben. Es wäre ein Armutszeugnis, wenn die Kommission davor kuscht, klare Regeln durchzusetzen. Europa muss unabhängiger von den Informationsmonopolen der USA und China werden. Das haben wir über Jahre verschlafen. Jetzt fällt uns das auf die Füße.
Vielen Dank für das Gespräch!
- Telefongespräch mit Markus Beckedahl
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters