Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Historiker Quinn Slobodian "Nach Musk etwas für Weicheier und Feiglinge"
Donald Trump regiert erneut die USA, Elon Musk ist an seiner Seite. Welche Pläne verfolgt der Multimilliardär? Es könnte gefährlich werden, warnt Historiker Quinn Slobodian.
Mit Drohungen und Ankündigungen hat Donald Trump schon vor seiner Amtseinführung nicht gespart, nun ist der Republikaner wieder Herr im Weißen Haus. Und Trump ist nicht allein. Der Superreiche Elon Musk spielt ebenfalls eine Rolle in der US-Politik. Was will Trump, aber vor allem: Was will Elon Musk? Und wie dramatisch können Trumps Rückkehr und Musks Weltanschauung die Vereinigten Staaten und damit den Rest der Welt verändern?
Diese Fragen beantwortet Quinn Slobodian, Historiker und Autor der Bücher "Globalisten. Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus" und "Kapitalismus ohne Demokratie" im Gespräch.
t-online: Professor Slobodian, Donald Trump ist zurück im Weißen Haus und scheint Landhunger zu verspüren. Fürchten Sie um Ihr Heimatland Kanada?
Quinn Slobodian: Trumps Drohungen sind meist hohl, ich nehme auch seine letzten Äußerungen insbesondere in Bezug auf Kanada so wahr. Er wird von Kanada allein durch wirtschaftlichen Druck bekommen, was er will. Alles andere ist nichts weiter als Getöse und Ablenkung. Es ist doch paradox: Einerseits fordern Trumps Leute eine gesteigerte Effizienz der Regierung und die Kürzung der Bundesausgaben, andererseits träumt er dann von einer territorialen Ausdehnung, die den amerikanischen Staat erweitern und vergrößern würde.
Von den möglichen außenpolitischen Erschütterungen noch ganz abgesehen, die auch Wirtschaft und Aktienkurse in Mitleidenschaften ziehen könnten? Das würde die Marktradikalen, deren Ziele Sie in Ihrem Buch "Kapitalismus ohne Demokratie" analysieren, wenig erfreuen.
Ja. Allerdings hat er auch genug hartgesottene Leute in seiner Administration – nennen wir sie einmal Kreaturen des Marktes – die ihn wohl stoppen würden, wenn er zu weit geht mit derartigen Vorhaben.
"It's the economy, stupid!", brachte es Ex-US-Präsident Bill Clinton 1992 auf den Punkt. In der Gegenwart kann Trump also poltern und drohen, solange das wirtschaftliche Wohlbefinden der Amerikaner nicht gefährdet ist?
Ja. Zahlreiche Amerikaner neigen dazu, mit ihrer Geldbörse zu denken. Trump hat die Wahl gegen Joe Biden 2020 aus einem Grund verloren: Covid-19. Ohne die Pandemie wäre Trump bereits damals wiedergewählt worden. Während seiner ersten Präsidentschaft hat er die Öl- und Gasförderung ausgeweitet, das entlastete die Portemonnaies vieler Amerikaner, während zugleich die Aktienkurse stiegen. Es herrschte – ungeachtet der enormen Ungleichheit im Lande – ein Gefühl von zunehmendem Wachstum und Wohlstand. Trump ritt damals auf einer Welle der wirtschaftlichen Prosperität und wird auch bis heute damit assoziiert.
Zur Person
Quinn Slobodian, Jahrgang 1978, lehrt Internationale Geschichte an der Boston University. Der kanadische Historiker ist Experte für die Geschichte des Neoliberalismus und veröffentlichte mit "Globalisten. Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus" (2019) und "Kapitalismus ohne Demokratie. Wie Marktradikale die Welt in Mikronationen, Privatstädte und Steueroasen zerlegen wollen" (2023) viel beachtete Bücher zum Thema. Am 15. April 2025 erscheint Slobodians neues Buch "Hayek's Bastards. Race, Gold, IQ, and the Capitalism of the Far Right".
Joe Biden und Kamala Harris mussten hingegen die Folgen von Covid-19 und der dramatisch angestiegenen Inflation ausbaden.
So ist es. Wenn Kamala Harris in den letzten Wochen ihres Wahlkampfs populistischere Botschaften in Sachen Wirtschaft bei den Wählern platziert hätte … Wer weiß, vielleicht hätte sie dann tatsächlich den Sieg errungen.
Womit müssen wir nun in den nächsten Jahren rechnen?
Trump ist in allererster Linie ein Entertainer, basierend auf seiner langjährigen und erfolgreichen Karriere im Reality-TV. Seine inkonsistente Politik wird von den Leuten bestimmt, die es geschafft haben, sein Ohr für ihre eigene politische Idee zu gewinnen.
Wer Zugang zu Trump hat, bestimmt also das Geschick der Supermacht USA mit?
Über Trump wurde schon oft gemutmaßt, dass seine Weltanschauung vollständig von der derjenigen Person bestimmt wird, mit der er gerade vor fünf Minuten gesprochen hat. Ich glaube, das kommt der Wahrheit sehr nahe. So bringt es Trump fertig, in der einen Minute feurig über Massenabschiebungen zu sprechen und sich in der nächsten für die Notwendigkeit von H-1B-Visa für hochqualifizierte Fachkräfte aus Indien auszusprechen. Uns erscheinen derart wilde gedankliche Schwankungen absurd, Trump hat damit überhaupt kein Problem.
Was will Trump aber selbst?
Es gibt keinen inhaltlich kohärenten Trumpismus, weder in politischer noch wirtschaftlicher Hinsicht. Trump ist in gewisser Weise der ideale Populist, eine leere Leinwand, auf die die Menschen ihre eigenen Vorstellungen projizieren können. Stellen Sie sich ihn als eine Lokomotive vor, an die die Leute ihre jeweils eigenen politischen Ideen anhängen. Das macht die Lage so gefährlich. Deshalb sollte jeder, der wissen will, was Trump demnächst tun wird, auf eine Ebene der Administration unter ihm schauen. Denn da sind die Leute, die den Inhalt von Trumps Politik bestimmen.
Elon Musk verfügt im Augenblick über das Ohr von Donald Trump. Der reichste Mann der Welt soll zukünftig die Bürokratie in den USA lichten und die Regierung auf Effizienz trimmen. Was will Musk?
Zunächst stellt sich die Frage, ob Musks neue Institution zur Steigerung der Regierungseffizienz überhaupt irgendeine Autorität haben wird. Denn sie wird kein Teil der regulären Administration sein. Musk wird auf reichlich Widerstand bei regulären Behörden stoßen, die sehr gut wissen, dass es gar nicht so einfach ist, Ausgaben kurzerhand zu streichen, wie Musk sich das wohl vorstellt.
Musk ist zudem kein unabhängiger Akteur, sondern verdient am Staat durch seine Unternehmen wie SpaceX prächtig.
Er hat eine klare Vorstellung davon, was für ihn der Finanzierung wert ist und was nicht. Für Musk ist es kein Widerspruch, das US-Bildungsministerium abzuschaffen und gleichzeitig weitere milliardenschwere Verträge für SpaceX mit der US-Regierung zu schließen. So für den Start von Militärsatelliten. Für Musk gibt es eine Art Hierarchie der Bedürfnisse, die Kernfunktionen des Staates abbildet. Ganz zufällig decken sich diese Bedürfnisse wiederum mit den Bereichen, in denen Musk profitabel aktiv ist.
Während Musk also zahlreiche Ausgaben des US-Staatsapparats rasieren will, plant er weiterhin großzügige Subventionen und Aufträge von Regierungsseite ein?
In letzter Konsequenz will Musk den Mars besiedeln. Was braucht er dazu? Geld, sehr viel Geld. Musk lebt in einer Art Zwischenwelt, es handelt sich um ein mentales Gemisch, basierend auf den sozialdarwinistischen Videospielen, die er zockt, und dem rücksichtslosen Wettbewerb an der Börse. Musk hat eine extreme Weltanschauung, er ist überzeugt, dass sich die Zivilisation im freien Fall befindet und wir Kolonien jenseits der Erde errichten müssen, um als Spezies zu überleben. Wie sollen diese Kolonien dann verwaltet werden? Sicher nicht demokratisch. Musk meint das todernst – und wir sollten ihn ebenso sehr, sehr ernst nehmen.
Musk zieht es zum Mars, ja, was aber plant er bis dahin für die Vereinigten Staaten und die Erde? Nachdem er dabei geholfen hat, Trumps ins Weiße Haus zu befördern, attackiert er nun den britischen Premier Keir Starmer und will die AfD in Deutschland an der Macht sehen.
Liberale Tugenden wie Toleranz oder Mitgefühl sind für Musk nur ein Ausdruck von Schwäche. Niemand kann ihn zur Vernunft bringen, für Musk ist Gier gut …
… "Gier ist gut" ist ein Zitat des aus dem Film "Wall Street" von 1987.
Genau. Gier ist gut, Mitgefühl ist nach Musk etwas für Weicheier und Feiglinge. So einseitig lässt sich sein Weltbild zusammenfassen. Die Unterstützung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen in der Schule oder die Aufklärung der Öffentlichkeit über die Vorteile von Impfungen? Derartige Aufgaben, die der Staat erledigt, betrachtet Musk als frivol, so etwas sollte dem Individuum beziehungsweise dem Verbraucher überlassen werden. Zugleich macht Musk aber gerne Geschäfte mit dem Staat, nimmt Aufträge und Subventionen an.
Wie lässt sich Musks Einstellung gegenüber Staat und Gesellschaft einordnen – ist er ein Neoliberaler, ein Libertärer, ein Anarchokapitalist, wie Argentiniens Präsident Javier Milei? Oder eine Mischung aus allem?
Wir könnten es mit etwas anderem zu tun haben. Zunächst stellt sich eine große Frage: Handelt es sich hier noch um eine klassische Vereinnahmung des Staates in Form eines militärisch-industriellen Komplexes, bei der einige reiche Unternehmer noch reicher werden, indem sie den Staat als Kunden haben? Das ist der entscheidende Punkt: Wenn Musk es ernst meint mit seinen Plänen, dann wird es richtig gefährlich. Denn in diesem Fall wäre die Übernahme des Staates nur Sprungbrett zu seiner Demontage und Auflösung.
Wie könnte ein Versuch Musks aussehen, dieses Szenario in die Realität umzusetzen?
Wer etwas Derartiges plant, könnte eine hohe Position in der Beratung der Regierung übernehmen. Was Musk bereits erreicht hat, er soll die Regierung ja beraten. Ein nächster logischer Schritt wäre es, Situationen zu schaffen, in denen die Menschen das Gefühl bekommen, für sich selbst kämpfen zu müssen. Die Grundlagen dafür sind da, etwa indem die politischen und gesellschaftlichen Haltungen immer weiter auseinanderklaffen, dass Städte sich zum Beispiel immer mehr vom Land entfremden. Das wären einige der ersten Schritte.
Welches Ergebnis könnte am Ende stehen?
Mit seinen chaotischen Interventionen könnte uns Musk am Ende ein mächtiges Problem bescheren. Ich spreche von einer Art Verschmelzung von öffentlicher und privater Macht, die zur Auflösung der Zentralregierung führt.
Musks Wahlempfehlung für die AfD ist eine solche chaotische Intervention?
Musk weiß kaum etwas über die AfD und ihre Ziele, aber er liebt disruptive Akteure, unabhängig von ihrem politischen Programm. Musk hat auch kaum Kenntnis über den britischen Rechtsextremisten Tommy Robinson, was ihn aber nicht davon abhält, für Robinson Partei zu ergreifen und sich damit gegen Nigel Farage zu stellen. Musk betrachtet zahlreiche Dinge als Relikte des 20. Jahrhunderts, dazu gehören in den USA Verbrennerautos von Chevrolet ebenso wie die Washington Post oder die CDU und SPD in Deutschland. Musk sieht sie eher auf dem Müllhaufen der Geschichte.
Ist der 1971 in Südafrika geborene Musk aber nicht auch zu großen Teilen ein Geschöpf des 20. Jahrhunderts?
Das ist er mehr, als man ahnt. Musk verbrachte seine gesamte Kindheit und seine jungen Erwachsenenjahre dort. Er wurde in der späten Zeit der Apartheid sozialisiert und hat danach das Südafrika der Post-Apartheid aus der Ferne beobachtet. Beides prägte Musk ziemlich stark. Einerseits hat er das Gefühl der Unvermeidbarkeit bestimmter Konflikte innerhalb einer sich verändernden Gesellschaft entwickelt, andererseits kam er zu der Überzeugung, dass die Verlässlichkeit staatlicher Behörden in Krisenmomenten, in denen die Menschen sich bewaffnen und sich gegen ihre eigenen Mitbürger zur Wehr setzen müssen, beschränkt ist.
Was folgt daraus?
Zahlreiche weiße Südafrikaner haben eine Bunkermentalität kultiviert, die vor und nach der Apartheid auf Misstrauen gegenüber der schwarzen Mehrheit der Bevölkerung beruht. Es herrscht innerhalb dieser Gesellschaftsgruppe eine ängstliche und stark militarisierte Lebens- und Denkweise. Die Gated Community, die geschlossene Wohnsiedlung, ist für die weiße Mittel- wie Oberschicht und mittlerweile auch für die schwarze Oberschicht Südafrikas ganz normal.
Man wähnt sich also im Belagerungszustand?
In meinem Buch "Kapitalismus ohne Demokratie" berichte ich über die Vision einer völlig zersplitterten Souveränität, in der private Dienstleister und private Sicherheitskräfte von wohlhabenden Einzelpersonen eingesetzt werden, um sich gegen die umliegende Bevölkerung zu verteidigen. Freunde aus Südafrika habe mir später lebhaft versichert, dass dies keineswegs eine nur eine dystopische Vorstellung der Zukunft sei, sondern Wirklichkeit.
Erschreckend …
Das ist es. Aus einer solchen Situation ergeben sich zwei Möglichkeiten. Die eine besteht darin, sich dafür einzusetzen, dass sich die Dinge ändern und man eine andere Zukunft gestaltet, in der man keine Angst vor seinen Nachbarn haben muss. Die andere gründet auf der Annahme, dass die dystopische Zukunft unvermeidlich sei und man sich entsprechend darauf vorzubereiten hat.
Im Falle Musks trifft die zweite Option zu?
Absolut. Ich bin mir unsicher, ob er überhaupt zu anderen Denkweisen in der Lage ist. Musks Erfahrungen aus Südafrika korrespondieren mit den Inhalten der Computerspiele, die er spielt. Sie handeln von zersplitterten Welten und Realitäten, in denen man um des eigenen Überlebens willen sofort auf Bedrohungen reagieren muss. Dazu fehlt es Musk an der nötigen Ernsthaftigkeit, mit der Bedeutung und Verantwortung umzugehen, die seine Stellung mit sich bringt. Schauen Sie, welche Dinge er auf X postet. Wie sich die Dinge nun weiterentwickeln werden, kann nur die Zukunft zeigen.
Trumps zweite Amtszeit hat gerade erst begonnen. Können Sie mehr ins Detail gehen, was die nächsten vier Jahre bringen könnten?
Geplant sind geradezu gewalttätige Akte in der Einwanderungspolitik, die wahrscheinlich auf Widerstand von Teilen der Bevölkerung einerseits und auf rechtliche Hindernisse andererseits stoßen werden. Ohne die rund zwölf Millionen illegalen Immigranten, die Trump abschieben will, wird die Wirtschaft auch kaum gut funktionieren. Das wüsste auch Trump, wenn er ein wenig darüber nachgedacht hätte. Neben diesem nativistischen Theater erwarte ich eine wilde Handelspolitik, die auf Sanktionen und Zölle als Waffen einer aggressiven Diplomatie setzt. Geopolitisch wird Trump mit Belohnung und Bestrafung arbeiten.
Also wird es eine gute Zeit für Neoliberale, Libertäre und Nihilisten?
Daran habe ich keinen Zweifel. Es gab im Kalten Krieg zahlreiche politisch engagierte neoliberale Denker und Intellektuelle, die sich vor allem dafür interessierten, wie Herausforderungen von links besiegt und eingedämmt werden konnten. Mittlerweile hat sich die Definition des Neoliberalismus dahingehend geändert, dass dessen Vertreter nun ihr primäres kollektivistisches Feindbild modifiziert haben.
Die neu gewählten Gegner dürften etwa Klimaschützer sein?
Genau. Es sind nicht mehr die Kommunisten, sondern die Menschen, die sich zum Beispiel für Umweltschutz, Feminismus und Gleichheit einsetzen. Darüber schreibe ich in meinem neuen Buch "Hayek's Bastards", das im April erscheinen wird. Manche Leute sind froh, dass es einen Trump gibt, den sie etwa als Kämpfer gegen einen kulturellen Marxismus und die Ausweitung des Umwelt- und Klimaschutzes sehen, der das Wirtschaftswachstum abwürgen würde.
Nun hat Musk – bei aller berechtigten Kritik – durch das Vorantreiben der Elektromobilität viel für den Klimaschutz getan.
Darin besteht eine gewisse Ironie. Für Progressive gibt es durchaus Grund zu hoffen, dass Musk in Trumps Koalition bleibt. Erstens ist er eine Kraft für die Energiewende, jemand der Elektrifizierung und Dekarbonisierung viel offener gegenübersteht als jeder andere in Trumps Team. Zweitens ist er in der China-Politik mehr Taube denn Falke, denn er will auf dem chinesischen Markt bleiben. Musk könnte als Puffer einige der scharfen Kanten des Trump-Programms abrunden. Allerdings wird es spannend, ob die Konflikte innerhalb von Trumps Koalition weiter eskalieren. Der Hardliner Steve Bannon hat sich ja mit Musk bereits in Sachen Immigration angelegt.
Professor Slobodian, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Quinn Slobodian via Videokonferenz