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Zum journalistischen Leitbild von t-online.USA-Experte Bierling "Das fliegt Trump zurzeit um die Ohren"
Donald Trump ist zurück an der Macht. Die Welt bangt, welche Pläne der unberechenbare Republikaner haben mag. Politologe Stephan Bierling analysiert die Lage.
Die Amerikaner haben entschieden: Für weitere vier Jahre wird Donald Trump nach seiner Amtseinführung am 20. Januar 2025 die USA regieren. Unsicherheit und Aufregung herrschen deswegen nicht erst, seit Trump Interesse an Grönland und Kanada äußerte.
Wie wird Trump in seiner zweiten Amtszeit vorgehen? Wer oder was kann ihm Widerstand leisten? Und was müssen die Demokraten tun, um künftig bei den Wahlen wieder erfolgreicher zu sein? Diese Fragen beantwortet Stephan Bierling, Politologe, USA-Experte und Autor des kürzlich erschienenen Buches "Die Unvereinigten Staaten. Das politische System der USA und die Zukunft der Demokratie", im Gespräch.
t-online: Professor Bierling, Donald Trump feiert sein Comeback im Weißen Haus. Was erwartet die Welt in den nächsten vier Jahren?
Stephan Bierling: Trump wird noch radikaler und skrupelloser auftreten, das betrifft gerade Deutschland und Europa. Aber auch andere Partner der Vereinigten Staaten, wie die Ukraine, werden das zu spüren bekommen. Trump ist niemand, der mit dem Alter milder wird. Er hat sich bereits in seiner ersten Amtszeit zunehmend radikalisiert. Je sicherer er sich im Amt fühlte, desto brutaler ging er vor. Der 6. Januar 2021 war mit dem Sturm auf das Kapitol dann der absolute Höhepunkt seiner damaligen Radikalisierung.
Bereits vor seiner Inauguration löste Trump Entrüstung aus, als er etwa über die Einverleibung Kanadas und Grönland fabulierte, auch nach dem Panamakanal scheint es ihn zu gelüsten. War es ein Bluff oder meint er es ernst?
Trumps imperiale Forderungen an Kanada, Grönland und Panama sind die neueste Wendung. Wir wissen aber einfach nicht, was Trump so durch den Kopf geht: Das ist das Schreckliche an ihm. Ist er auch in dieser Hinsicht einfach ein Possenreißer, der vor sich hin schwadroniert? Oder meint er es tatsächlich ernst? Und was wären die Mittel, um diesen Zielen Nachdruck zu verleihen? Das wird sich zeigen. Grundsätzlich müssen wir davon ausgehen, dass Trump in der Außenpolitik mit wirtschaftlichem Druck und der Drohung, die Ukraine nicht mehr zu unterstützen, arbeiten wird. Dazu kommt auch die Infragestellung der Verteidigungszusage für Partner innerhalb der Nato.
Das Eintreten dieses Falles wurde schon oft befürchtet. Würde Trump im Zweifelsfall so weit gehen?
Trump kann sehr viel Unheil anrichten – er macht sich kaum Gedanken über die großen Probleme der internationalen Politik und der Weltordnung. Stattdessen nutzt er seine Macht für Ziele, die oftmals narzisstisch und auch ökonomisch motiviert sind. Trump ist ein Transaktionalist, er will Deals machen, die ihn als Gewinner dastehen lassen. Er ist sehr auf die Glorifizierung seiner eigenen Person aus. Seit seiner Zeit im Immobiliengeschäft in New York will Trump als starker Mann dastehen.
Zur Person
Stephan Bierling, geboren 1962, lehrt Internationale Politik an der Universität Regensburg. Der Politologe war Gastprofessor in den USA, Israel, Australien und Südafrika. 2013 wurde Bierling von der Zeitschrift "Unicum" zum "Professor des Jahres" gewählt. Regelmäßig analysiert Bierling für große Medienhäuser politische Entwicklungen in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Nach seinem Spiegel-Bestseller "America First. Donald Trump im Weißen Haus. Eine Bilanz" (2020) brachte Bierling im September 2024 sein Buch "Die Unvereinigten Staaten. Das politische System der USA und die Zukunft der Demokratie" heraus. Kürzlich ist es in einer erweiterten Neuauflage erschienen, die Donald Trumps Wahlsieg umfasst.
Wäre Trumps Narzissmus nicht ein Vehikel für Deutschland und Europa, mit ihm ins sprichwörtliche Geschäft zu kommen?
Das gehört zu den wenigen berechenbaren Dingen an Trump, wir können und müssen daran appellieren. Wenn man mit Trump verhandelt, muss man natürlich auch immer etwas in der Hinterhand haben, um sein Interesse zu wecken oder Gegendruck aufbauen zu können.
Wie weit kann Trump aber gegenüber seinen Verbündeten und Partnern gehen? Immerhin basiert Amerikas Stärke nicht zuletzt auf seinem Bündnissystem rund um den Globus.
Das ist tatsächlich Amerikas große Stärke. Seit 1941 haben die USA ein gigantisches Allianzsystem aufgebaut, gepflegt und erweitert. Das ermöglicht es ihnen, rund 750 Militärbasen im Ausland rund um den Erdball zu unterhalten. Selbst ein Trump müsste verstehen, dass dies ein Pfund ist, mit dem man wuchern kann. China, das solche Militärbasen kaum besitzt, ist sich dieser Tatsache selbstverständlich bewusst – und versucht entsprechend, Spaltpilze zu kultivieren. Tatsächlich kapiert Trump den strategischen Clou des US-Bündnissystems aber wohl eher nicht.
Worin besteht dieser strategische Clou?
Die USA haben etwas – so ungerecht die Lastenverteilung bisweilen auch sein mag –, wovon Russland und China nur träumen können. Die Vereinigten Staaten genießen die Gefolgschaft ihrer Partner, und zwar eine freiwillige Gefolgschaft. Russland muss hingegen etwa Belarus militärisch und wirtschaftlich erpressen, China hat Kambodscha und Laos mit ökonomischem Zwang übernommen. So was haben die USA nicht nötig, sie betreiben ein "empire by invitation" ["Imperium auf Einladung", Anmerkung der Redaktion], wie es der Harvard-Historiker Charles S. Maier einmal ausgedrückt hat. Und die Attraktivität einer solchen Einladung ist weiterhin gewaltig.
Zu Deutschland pflegt Trump hingegen offensichtlich ein gespanntes Verhältnis, das bei deutschen Autos anfängt und beim als zu niedrig kritisierten Verteidigungsbudget endet.
Die Bundesrepublik war den Vereinigten Staaten nicht immer ein guter Partner. Deutschland hat die militärische Last nicht wirklich getragen, die es hätte schultern sollen. Ausverkauft wurden durchaus auch westliche Prinzipien und Werte, wie etwa durch den Bau von Nord Stream 1 und 2 und der Kungelei mit China. Barack Obama hat an derartigen Auswüchsen Kritik geäußert, Trump ebenso. Ob Trump nun bereit sein wird, alte Partnerschaften zu beenden, wird sich zeigen.
Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein?
Trumps Verständnis von internationaler Politik ist eigentlich vor 1945 angesiedelt. Für ihn zählen im internationalen Rahmen große Männer und starke Staaten, dazu gehören die Vereinigten Staaten, klar, aber auch vor allem Russland und China. Bei allen Differenzen. Letztgenannte können kleineren und schwächeren Staaten innerhalb ihrer Einflusszonen allerhand aufzwingen, das ist im Falle des amerikanischen Bündnissystems auch deshalb schwieriger, weil die Partner der USA stärker und selbstbewusster sind als zum Beispiel ein Kambodscha. Zugleich gibt es auch innenpolitische Widerstände, die Trump ein solches Durchregieren schwieriger machen als einem Putin, dem in Russland alles unterworfen ist. Aber Trump ist eben ein Kind dieses Geistes – und wird in diese Richtung gehen.
Das freut Russland und China über alle Maßen. Denn das ist genau die Welt, die sie haben wollen.
Stichwort Durchregieren: Gibt es noch Elemente im amerikanischen politischen System, die einem Präsidenten Trump, der auch über Mehrheiten in beiden Kammern des US-Kongresses verfügt, Einhalt gebieten können?
Das wird schwierig. Trump hat das System bereits in seiner ersten Amtszeit weidwund geschossen, nun will er weiter daraus ausbrechen. Zahlreiche unter Trump ernannte konservative Bundesrichter interpretieren die exekutiven Vollmachten des Präsidenten viel weiter, als es früher der Fall gewesen ist. Nehmen Sie nur die Immunität, die vom Supreme Court im letzten Jahr für den Präsidenten mehr oder weniger als nahezu allumfassend interpretiert worden ist. Der Supreme Court ist im System der Checks and Balances schwächer geworden, der Kongress sowieso.
In Senat und Repräsentantenhaus hat die parteipolitische Polarisierung einen neuen Höhepunkt erreicht.
So ist es. Jetzt, wo Trump in beiden Häusern Mehrheiten hat, lässt sich von ihm im Grunde durchregieren. Warum? Weil sich die ganze Fraktion der Republikaner im Repräsentantenhaus und im Senat wohl hinter ihn stellen wird. So etwas gab es in der amerikanischen Geschichte fast nie. Wir werden jetzt den Ernstfall erleben. Nun kann man immer auf ein paar Abweichler im republikanischen Lager hoffen, aber im Moment sieht es nicht so aus, als ob jemand entsprechendes Rückgrat zeigen wird.
Wie steht es um die Medien?
Trump findet natürlich Mittel und Methoden, sich auch die Medien gefügig zu machen. Öffentlich-rechtliche Medien gibt es in den USA eigentlich nicht, an den existierenden Qualitätsmedien regiert er einfach vorbei, indem er per Truth Social und X seine Botschaften an seine Anhänger rausgibt, ohne dass die hinterfragt werden. Dann nimmt er wiederum diejenigen Medien unter Beschuss, die ihn kritisieren.
Der Sender ABC verglich sich kürzlich in einer Verleumdungsklage mit Trump und zahlte Millionen.
Gerichtsprozesse waren bereits während Trumps Zeit als Immobilienhai in New York sein erprobtes Mittel. Er hatte immer reichlich davon am Laufen. Lieferanten oder Handwerker wurden nicht bezahlt, Trump war dann immer auf Nachlässe oder irgendeinen anderen Vorteil aus. Die eher liberale "Washington Post", die Jeff Bezos gehört, der mit Amazon reich wurde, machte zuletzt auch eher damit Schlagzeilen, dass sie nicht so kritisch über Trump schreiben durfte, wie sie eigentlich wollte.
Was ist mit den Bundesstaaten, die von Demokraten regiert werden?
Wenn Trump Widerstand entgegenschlägt, dann wird er aus den demokratisch regierten Bundesstaaten kommen, ja. Es gibt in den USA das Phänomen des "Trifecta", was bedeutet, dass entweder Republikaner oder Demokraten in einem Bundesstaat nicht nur den Gouverneur stellen, sondern auch die Mehrheiten in den Kammern des betreffenden Parlaments innehaben. In Staaten mit einem demokratischen Trifecta – dazu gehört Kalifornien – werden die Menschen weit weniger davon spüren, dass nun die Trumpisten in Washington am Ruder sind. Die Abtreibungsgesetzgebung wird sich dort nicht ändern, auch nicht die Sozialpolitik. Am Ende spielt aber die Zeit gegen Trump.
Inwiefern?
Trump ist erneut für vier Jahre gewählt. Das war es dann aber für Trump auch, denn laut Verfassung kann niemand mehr als zwei Amtszeiten absolvieren. Da kann Trump noch so viel reden, eine entsprechende Verfassungsänderung ist nahezu unmöglich. Er hat also diese vier Jahre, um seine Pläne zu verwirklichen. Wenn wir nun aber schauen, wie viel Zeit etwa ein Victor Orbán in Ungarn innerhalb eines weit instabileren politischen Systems gebraucht hat, um es in seinem Sinne zu manipulieren, dann gibt mir das ein wenig Hoffnung.
Im November 2026 stehen in den Vereinigten Staaten die "Midterms" an, die die republikanische Mehrheit im Kongress beenden könnten.
Trumps Republikaner haben nur eine knappe Mehrheit im Kongress, die sich auch sehr schnell ändern kann, falls es etwa zu Rückzügen oder Todesfällen von Parlamentariern kommen sollte. So oder so: Die Demokraten können schließlich bei den "Midterms" 2026 in einer oder in beiden Kammern des Kongresses wieder die Mehrheit erobern. Aber es gibt tatsächlich eine weitere Einschränkung, die Trump zu schaffen machen wird.
Welche ist das?
Die Realität. Sie gehört zu Trumps größten Gegnern. Trump hat wenig Bezug zur Wirklichkeit, er verleugnet sie immer wieder. Aber die Realität ist brutal, niemand kann ihr entgehen. Schauen wir auf Trumps Pläne: Er hat versprochen, die Inflation runterzubringen, das war einer der wichtigsten Gründe, warum er gewählt wurde. Nun will Trump zwischen elf und 13 Millionen illegale Immigranten – niemand weiß übrigens, wie viele es genau sind – außer Landes schaffen. Wie das bewerkstelligt und bezahlt werden soll, kann keiner sagen. Gleichzeitig droht Trump mit dramatischen Zöllen, während natürlich die Konjunkturprogramme weiterlaufen, die schon von Joe Biden verabschiedet worden sind, während Trump zusätzlich die Steuern senken möchte.
Das wird kaum gutgehen.
Davon ist auszugehen. Denn diese Maßnahmen führen dazu, dass viel mehr Geld in die Wirtschaft gepumpt wird, während zugleich weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, wobei ohnehin schon Vollbeschäftigung in den USA herrscht. Parallel will Trump dann auch noch weniger Güter ins Land hineinlassen. Die Konsequenz daraus kann jeder angehende Ökonom im Erstsemester deklinieren: höhere Inflation. Was tut also Trump? Er rudert bereits etwas zurück, weil ihn Berater, die etwas mehr von Wirtschaft verstehen, bremsen. Das ist die Macht der Realität.
Zugleich kommt es innerhalb des Trump-Lages zu offenen Schlagabtäuschen, wenn sich Elon Musk und Steve Bannon in der Frage der Immigration befehden.
Das fliegt Trump zurzeit auch um die Ohren. Er hat Musk zum Effizienzmanager gekürt, um die Bürokratie zu lichten. Das hat im Prinzip durchaus eine gewisse Berechtigung, ist aber natürlich Teil von Trumps Rachekampagne, die seine zweite Amtszeit anleitet. Sie wird vor allem genutzt werden, um Widerstände gegen seine Politik zu zerschlagen. Musk ist aber zugleich Boss von Unternehmen, die eine Sache dringend brauchen: erstklassig ausgebildete Arbeitskräfte und Experten aus der ganzen Welt. Bannon will, wie ein großer Teil von Trumps MAGA-Anhängern, am liebsten aber jede Immigration in die USA unterbinden.
Die Zeit arbeitet gegen Trump, sagten Sie. Was müssten die Demokraten nun aber tun, um in vier Jahren wieder erfolgreicher an den Wahlurnen zu sein?
Donald Trumps Wahlsieg war klar und deutlich, keine Frage. Aber er war doch von den Prozentzahlen her relativ knapp. Bei den Wählerstimmen, dem "Popular Vote", trennten Trump und Kamala Harris rund 1,5 Prozent. Worauf will ich hinaus? Seit einigen Jahren zieht sich ein Phänomen durch die Politik in den westlichen Demokratien: Die Bevölkerungen werden sehr schnell unzufrieden mit ihren Regierungen, die Amtsinhaber erleiden oft Niederlagen und fliegen dann meist raus. Das ging Trump so 2020, das ging Joe Biden 2024 so. Österreich ist ein weiteres Beispiel, in Frankreich bekam Emmanuel Macron bei den Wahlen zum Parlament letztes Jahr die Quittung. Die Liste lässt sich fortsetzen. Die Zeit ist also tatsächlich keineswegs Trumps Verbündete.
Aber sollten die Demokraten nicht aktiver um die Amerikaner werben?
Selbstverständlich. Für die nächste Präsidentschaftswahl sollten die Demokraten jemanden auswählen, der mehr aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Demokratische Politiker wie Josh Shapiro und Gretchen Whitmer fallen mir dabei ein, die mit Pennsylvania und Michigan Swing States mit hohen konservativen Bevölkerungsteilen regieren, aber trotzdem auf Zustimmungsraten von bis zu 60 Prozent kommen. Dann rate ich den Demokraten dazu, sich zukünftig nicht so sehr auf abgehobene Themen zu konzentrieren, die an den Universitäten populär sind, aber keineswegs in großen Teilen der übrigen Bevölkerung. So etwas wie Wokeness oder "Defund the Police", was in letzter Konsequenz auf die Abschaffung der Polizei hinausliefe.
Die Amerikaner blicken an der Wahlurne auch stark auf ihren Geldbeutel, heißt es. Liegt darin der Schlüssel zum Sieg?
Zumindest ein Schlüssel. Die Demokraten müssen sich um die Themen kümmern, mit denen sie früher assoziiert worden sind. Höhere Mindestlöhne, bessere Vorschulbildung, das sind zwei Beispiele. Wenn man die Mittelschicht, die nicht universitär ausgebildet ist, die keine tertiäre Bildung hat, für sich gewinnen will, dann muss man diesen Menschen auch etwas anbieten.
Professor Bierling, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Stephan Bierling via Videokonferenz