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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Spezialeinheiten in Russland und den USA Delfine und Wale als Waffen? – "Es ist widerlich"
Russland soll einen Wal für den Kriegseinsatz ausgebildet haben. Auch andere Länder setzen beim Militär auf tierische Unterstützung. Vor allem Delfine werden für militärische Zwecke eingesetzt.
Ein Weißwal (Beluga) sorgt weltweit für Schlagzeilen. Der Meeressäuger wurde letzte Woche von norwegischen Fischern aufgelesen, wobei das Tier offenbar ein Geschirr mit einer Kameravorrichtung getragen hat. Seitdem erheben norwegische Marineexperten Vorwürfe gegenüber Russland.
Die russische Marine soll den Beluga als Kampf- und Spionage-Wal ausgebildet haben. Was sich wie eine Verschwörungstheorie anhört, ist keinesfalls neu, denn auch Nato-Staaten setzen auf Meeressäuger im Unterwasserkampf. Doch deren Ausbildung unterliegt oft höchster Geheimhaltung.
Der Beluga, der in Norwegen aufgelesen wurde, war offenbar an Menschen gewöhnt. Er bedrängte Schiffe, ein ungewöhnliches Verhalten für diese Tierart. Die Fischer nahmen dem Wal ein Geschirr ab. Marineexperten sind überzeugt, dass es für eine Kamera oder für Waffen gedacht war. Es trug die Aufschrift "Equipment of St. Petersburg" (Ausrüstung St. Petersburgs). Norwegische Experten vermuten daher die russische Marine hinter dem Kampf-Wal. Russland wiegelt jedoch ab und beschuldigt Schmuggler, die Meerestiere einzusetzen.
Meeressäuger im Kriegseinsatz
"Die Idee, dass die Russen ein so schönes und intelligentes Tier einsetzen, um ihre militärischen Ziele voranzutreiben, ist ekelhaft", kommentierte Zoologe und Autor Jules Howard den Vorfall für die englische Tageszeitung "The Guardian". "Ich muss Ihnen allerdings sagen, dass viele Länder, insbesondere die USA, Programme zur Ausbildung von Delfinen, Seelöwen und anderen Tierarten für militärische Zwecke haben."
Die Tiere sind im Kriegseinsatz für Spionage, Minenräumung und Rettungseinsätze zuständig. Vor allem Delfine sollen auch feindliche Taucher attackieren und ausschalten können. Laut Howard gab die US-Marine noch im Jahr 2007 14 Millionen Dollar pro Jahr für Delfine aus, die nach offiziellen Angaben zur Spionage und für die Minenräumung eingesetzt werden.
Doch die Einsätze sind umstritten – und vor allem in der Öffentlichkeit nicht beliebt. Außerdem ist die Ausbildung der Delfine langwierig und teuer. Trotzdem macht die US Navy kein Geheimnis aus ihren tierischen Spezialeinheiten. Manche Tiere werden sogar zum Star, wie der Große Tümmler "K-Dog", der für Spionage ausgebildet wurde.
Delfine im Vietnamkrieg
Die USA und die Sowjetunion sollen in den Sechzigern im Kalten Krieg angefangen haben, Meeressäuger einzusetzen. Zu dieser Zeit setzte zwischen den Großmächten ein wahres Delfin-Wettrüsten ein. Die USA setzten die Meeressäuger laut Angaben des Vereins "Gesellschaft zur Rettung der Delfine" (GRD) im Vietnamkrieg ein. Die Tiere sollen dort mit speziellen Nasenwaffen ausgerüstet gewesen sein, um feindliche Taucher zu töten.
Die US Navy bildet die Tiere in San Diego aus, dort ist noch heute die US-Delfinstaffel stationiert. Um sie ranken sich viele Legenden. Das US-Militär bestätigt zwar die Ausbildung von Delfinen und Seelöwen, Berichte über tatsächliche Einsätze sind allerdings rar. Sie sollen laut Berichten Minen legen und auch für Kamikaze-Einsätze trainiert worden sein.
Im Golf-Krieg sorgte 1991 ein Delfin der US Navy für Aufsehen. Für den 22-jährigen Takoma war der Kriegseinsatz offenbar schnell wieder vorbei. Er verschwand laut Angaben des GRD gleich bei seinem ersten Einsatz. Dabei ist unklar, ob Takoma einfach flüchtete oder getötet wurde. Die militärisch aufgebildeten Delfine haben in freier Wildbahn kaum Überlebenschancen. Das US-Militär bestreitet den Vorfall.
Aber auch nach Ende des Kalten Krieges gibt es immer wieder Spekulationen über den Einsatz von Delfinen. So soll die US-Delfinstaffel auch an Nato-Manövern, wie beispielsweise im Jahr 2013 in der Ostsee, teilgenommen haben. Neben den USA sollen auch Indien, Israel und eben Russland Delfine, Seelöwen, spezielle Seevogelarten und Wale einsetzen.
Russische Spezialeinheiten
Die Sichtung eines Wales vom russischen Militär wäre also keine Überraschung, auch wenn man in Russland die militärische Nutzung von Meeressäugern stärker unter Verschluss hält, als in den USA. Bereits die Sowjetunion bildete in den Achtzigern Delfine für die Aufklärung aus. In den Neunzigern wurde das Programm eingestellt, doch ein Bericht des russischen Fernsehsenders TV Zvezda aus dem Jahr 2017 dokumentiert, dass Seelöwen, Beluga-Wale und Tümmler für militärische Zwecke im Polarmeer trainiert werden.
Der russische Präsident Wladimir Putin reaktivierte in den letzten drei Jahren drei ehemalige sowjetische Militärbasen an der arktischen Küste. Dabei spielen vor allem Streitigkeiten um die Ressourcen im Polarmeer eine Rolle. Beluga-Wale sollen insbesondere dafür eingesetzt werden, die Eingänge zu den Marinestützpunkten zu bewachen, berichtet der "Guardian".
Die Tiere sind sehr territorial veranlagt und können Fremde töten, die in ihr Territorium eindringen. Dagegen sollen Delfine und Robben unter anderem geschult worden sein, Werkzeuge für Taucher zu transportieren und Torpedos, Minen und andere Munition zu entdecken. Beluga-Wale gelten als kälteempfindlich und können sich nicht an so viele Kommandos durch Menschen erinnern, wie beispielsweise Robben.
Kampfdelfine auf der Krim
Russland nutze zwar Delfine für Kriegszwecke, sagte der Militärvertreter Wiktor Baranez dem Moskauer Radiosender "Goworit Moskwa". Beluga-Wale im Dienste der russischen Marine halte er aber für Unsinn. Die "Kampfdelfine" befinden sich in einem Militärzentrum in Sewastopol auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Dort ist das russische Pendant zu der US-Einrichtung in San Diego.
"Daraus machen wir aber auch kein Geheimnis", sagte der Experte. Sie seien trainiert, den Meeresboden zu untersuchen oder Minen an Kriegsschiffen aufzuspüren. Auch andere Länder nutzten Delfine auf diese Weise. "Das ist absolut nichts Ungewöhnliches." Nach der Annexion der Krim sollen auch mehr als 40 Delfine vom ukrainischen Militär von Russland übernommen worden sein.
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Tierschützer und Wissenschaftler kritisieren den militärischen Einsatz der Tiere scharf. "Ich würde fast sagen, ich bin davon angewidert. Ja, es ist widerlich", schreibt auch Howard im "Guardian". Und weiter: "Man muss über ein dramatisch verarmtes Gewissen verfügen, um einen Delfin oder einen Wal zu betrachten und seine einzigartige Schönheit, seinen kraftvollen Verstand, seine komplexe Kommunikation und seine kulturellen Glanzleistungen nicht zu bemerken. Die Menschheit ist auf dem falschen Weg, wenn sie Wale bewaffnet."
- Eigene Recherchen
- "The Guardian": "Humanity has truly lost its way if we’re weaponising beluga whales" (engl.)
- Delfin-Schutz: Kampf-Delfine im Irak-Krieg
- "Tagesspiegel": Kampf-Delfine der Ukraine von Russen übernommen
- "SWR": Spion mit Flossen
- "n-tv": Nutzt die Nato Kampf-Delfine?
- "The Guardian": "Whale with harness could be Russian weapon, say Norwegian experts" (engl.)
- Mit Material der dpa