Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kolumne "Russendisko" Die US-Wahl machte die Russen ganz perplex
Die USA haben gewählt, auch Russland war gespannt auf das Ergebnis. Doch Wladimir Putins Lieblingskandidat war weder Donald Trump noch Kamala Harris, meint Wladimir Kaminer.
Der Sieg von Donald Trump kam zeitnah mit dem Verschwinden von Butter in russischen Lebensmittelgeschäften. Die Wege des Herrn sind unergründlich, der alte Nazi-Spruch "Kanonen statt Butter" ist plötzlich viele Jahrzehnte später in Putins Russland Realität geworden: Die Butter war weg, plötzlich und ohne Vorwarnung. Die letzten Reste wurden in speziellen Schränken für besonders wertvolle Produkte aufbewahrt, geschützt vor Dieben, neben dem Whiskey und dem Kaviar.
Zum Glück für die Konsumenten leben wir heute in einer globalisierten Welt, für jede Sanktion kennt irgendein schlauer Geschäftsmann einen Umweg. Also haben die Russen Butter in den Arabischen Emiraten und in der Türkei bestellt, die Türkei kaufte diese wiederum in der Ukraine. Prompt hatten die Russen also ukrainische Butter, obwohl sie gleichzeitig Krieg gegen die Ukraine führen. Die blutrünstigen Patrioten forderten sofort einen Butterboykott, die gemäßigten Konsumenten schwiegen und legten Vorräte an.
Zur Person
Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein neuestes Buch "Mahlzeit! Geschichten von Europas Tischen" erschien im August 2024.
Der Butterskandal wurde in der russischen Presse nur von der amerikanischen Präsidentschaftswahl überlagert. "Trump statt Butter!", lautete die Parole. Wird nun alles schlecht oder alles gut werden? Der Mann ist unberechenbar. Umso spannender war diese Wahl für die Russen. Überhaupt, eine Wahl, bei der bis zum Ende der Ausgang unklar ist und niemand weiß, wer gewinnt, macht die Russen perplex. Anders als bei den eigenen Wahlen war es den Medien in Russland erlaubt, die Vor- und Nachteile beider Kandidaten offen zu diskutieren, ihre Programme zu vergleichen. Wie gern hätten die Russen mitgewählt, das durften sie aber nicht.
Die am häufigsten abgedruckte Karikatur in diesen Tagen zeigte zwei russische Omas auf einer Parkbank sitzend: "Pennsylvania hat schon ausgezählt, Jekaterinburg und Sibirien schwanken noch", sagt die eine zu der anderen. Putin äußerte sich bereits im Vorfeld der amerikanischen Wahl, ihm seien die Demokraten lieber, weil weniger überraschend. Die Medien vermuteten dahinter sofort einen faulen Trick, der Wladimir habe mit dem Donald doch bestimmt schon längst alles per Handschlag geregelt – und möchte ihm bei seiner Wiederwahl nicht in die Quere kommen.
Wahl als Abrechnung?
Ich glaube, Putins Kandidat hieß in Wahrheit eigentlich gar nicht Harris und auch nicht Trump. Nein, Putin setzte dieses Jahr auf Mr. Chaos. Die USA sind zerstritten wie eh und je, in einer solchen Situation bringt ein Wahlsieg keine Antwort auf die große Frage: Wie weiter? Die kulturelle Konterrevolution ist in den USA in vollem Gang. Lange Zeit galt Bildung in Amerika als klarer gesellschaftlicher Vorteil, unabdingbar für Erfolg und Karriere. Die "Analphabeten" waren entmündigt und als nicht qualifiziert für die postindustrielle Ära verschmäht.
Sie wurden von den Gebildeten verachtet und als "White Trash" beschimpft oder noch schlimmer als "einfache Menschen". Als solche hatten sie keine entscheidende Stimme, sie wurden von der sozialen Oberfläche weggewischt. Wie soll der sogenannte "einfache Amerikaner" mit einem Harvard-Absolventen reden oder gar streiten? Noch vor Kurzem war es unvorstellbar. Doch Donald Trump hat es vorgemacht, er hat gezeigt, wie es geht, und forderte: Ein solches Gespräch kann und muss sogar stattfinden. Der einfache Amerikaner kann den Harvard-Absolventen in die Schranken weisen.
Diese kulturelle Konterrevolution brachte Donald Trump nun zum zweiten Mal ins Amt des Präsidenten. Aber eine Auflösung des globalen Konflikts ist durch seinen Sieg nicht zu erwarten. Diese Wahl war keine Wahl. Es ging eigentlich nicht um Migration, Gesundheitsreformen und Steuersenkungen. Solche Fragen können die Menschen nicht derart auf die Barrikaden treiben. Dieses Mal ging es um mehr, um existenzielle Werte, darum, was wirklich grundlegend wichtig und richtig fürs Leben sein soll.
Das hat den Wahlkampf auf Äußerste radikalisiert, die Kandidaten beschimpften sich heftigst, sie sei "geistig behindert", er ein "Faschist", sie sagten, sollte der Gegner an die Macht kommen, wäre Amerika vernichtet. Es ging also nicht mehr um den Wahlsieg, sondern um die Vernichtung des Feindes und die "Rettung" Amerikas. Wer so hoch pokert, der kann nicht aufgeben, nur weil die Wahlergebnisse nicht für ihn stehen.
Jetzt tut Eile not
Der Riss mitten durch die amerikanische Gesellschaft ist mit dieser Wahl nicht zu kitten. Der Wahlsieg Trumps wird nicht zu einer Auflösung des gesellschaftlichen Konflikts führen, sondern zu seiner weiteren Verschärfung beitragen. Für Putin und seinen Krieg bedeutet das eine Erleichterung: Mindestens für drei Monate, mit etwas Glück für Russland noch länger, wird Amerika vom internationalen politischen Parkett verschwinden und nur mit sich selbst beschäftigt sein.
Den Demokratien Europas tut die amerikanische Wahl weh. Deutschland als größter europäischer Unterstützer der Ukraine wird noch heftiger von inneren politischen Turbulenzen erschüttert, in Schmerzen wird eine neue Politik geboren. Es bleibt uns nur zu hoffen, dass dieser Schmerz "ein positives Ziel hat", wie die Hebammen sagen, die Geburt einer neuen Welt, die trotzdem lebenswürdig bleibt.