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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Energie-Experte Vaclav Smil "Globale Schrumpfung in einer unvorstellbaren Größe"
Die Klimakrise spitzt sich zu, erneut soll eine Weltklimakonferenz gegensteuern. Aber ist eine schnelle Reduzierung der fossilen Abhängigkeit überhaupt möglich? Eher nicht, sagt Umweltforscher Vaclav Smil.
Die Menschheit bringt das Klima aus dem Gleichgewicht, es drohen gravierende Folgen. In Baku wird auf einer Weltklimakonferenz gegenwärtig erneut nach Lösungen gesucht. Doch eine schnelle Eindämmung der Klimakrise dürfte utopisch sein, sagt Vaclav Smil, kanadischer Umweltwissenschaftler und Autor des Buches "Wie die Welt wirklich funktioniert. Die fossilen Grundlagen unserer Zivilisation und die Zukunft der Menschheit."
Denn die menschliche Zivilisation sei viel zu abhängig von fossilen Energien. Warum Smil Katastrophendenken gleichwohl für falsch hält und Künstliche Intelligenz als überschätzt erachtet, erklärt er im Gespräch.
t-online: Professor Smil, sind Sie ein Optimist oder ein Pessimist, was die Lösung existenzieller Probleme wie der Klimakrise angeht?
Vaclav Smil: Weder noch. Ich bin Naturwissenschaftler. Daher will ich verstehen und erklären, wie diese Welt und unsere Zivilisation funktionieren.
Und wie funktionieren sie?
Wie viel Zeit haben Sie denn? Beschränken wir uns daher an dieser Stelle auf die vier zentralen Säulen unserer fossilen Zivilisation: Ammoniak, Stahl, Zement und die Kunststoffe. Ja, es gibt noch viele weitere Stoffgruppen, die für uns wichtig sind, doch diese vier sind zentral: Die Welt verbraucht mittlerweile jedes Jahr rund 4,5 Milliarden Tonnen Zement, 1,8 Milliarden Tonnen Stahl, fast 400 Millionen Tonnen Kunststoffe und 150 Millionen Tonnen Ammoniak. Um einmal die Größenordnungen darzulegen.
Ohne diese Stoffe steht unsere Welt also buchstäblich still, wie Sie in Ihrem Buch "Wie die Welt wirklich funktioniert" darlegen.
Ja. Alles andere ist bloße Augenwischerei. Immer wieder wird behauptet, dass sich unsere modernen Volkswirtschaften entmaterialisieren würden durch die zunehmende Dominanz von Dienstleistungen und Mikroelektronik. Das ist ziemlicher Unsinn. Im Gegenteil, der Materialverbrauch steigt selbst in reichsten Überflussgesellschaften an, von den Ländern, die diesen Status erreichen wollen, noch ganz zu schweigen.
Zur Person
Vaclav Smil, geboren 1943, ist emeritierter Professor für Umweltwissenschaften an der kanadischen University of Manitoba. Smil ist Autor von Dutzenden Büchern zu Energie- und Umweltthemen, 2010 wurde er von "Foreign Policy" unter den "Top 100 Global Thinkers" gelistet. Auf Deutsch sind seine Bücher "Wie die Welt wirklich funktioniert. Die fossilen Grundlagen unserer Zivilisation und die Zukunft der Menschheit" (2023) und "Zahlen lügen nicht. 71 Geschichten, um die Welt besser zu verstehen" (2024) bei C.H. Beck erschienen.
Mikroelektronik kann man nicht essen, auf Ammoniak basieren hingegen die Düngemittel, mit denen die Welt einen Großteil ihrer Nahrung erzeugt?
So ist es. Ohne synthetisches Ammoniak könnten wir fast die Hälfte der Weltbevölkerung nicht ernähren, ohne Stahl und Zement gäbe es keine modernen Bauwerke und Infrastrukturen. Kunststoffe wiederum sind in Hinsicht auf Formbarkeit, Langlebigkeit und Leichtigkeit anderen Materialien überlegen. Ohne sie wird es schwierig, denn sie sind allgegenwärtig.
Die vier Materialien haben neben ihrem massenhaften Gebrauch eine weitere Gemeinsamkeit: Ihre Erzeugung ist ungeheuer energieintensiv.
Die Erzeugung dieser vier Materialien steht für rund 17 Prozent des Potenzials an Primärenergie, zugleich für 25 Prozent aller aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe resultierenden CO2-Emissionen. Das ist ziemlich gewaltig, ja.
Kann es gelingen, diese Belastung des Klimas schnell zu verringern?
Jedenfalls nicht schnell. Es gibt durchaus vielversprechende experimentelle Ansätze, wie etwa die wasserstoffbasierte Herstellung von Stahl, aber kommerziell erprobt ist nichts davon. Selbst wenn kohlenstofffreie Lösungen unter Einsatz aller verfügbaren Kräfte entwickelt würden, bräuchte es Jahrzehnte, die bestehenden Kapazitäten zu ersetzen. Bedenken Sie, von welchen Größenordnungen wir hier sprechen. Das geht nicht von heute auf morgen, es muss ja alles bezahlbar sein.
Die Klimakrise verschärft sich, die Folgen könnten dramatisch sein.
Ich bin kein Katastrophist, ich schaue auf die Zahlen. Wir sind ja auch keineswegs wehrlos, nur sehr, sehr langsam. Bemerkenswert ist vor allem, wie wir es weitgehend versäumt haben, frühzeitig geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Langzeitwirkungen des Klimawandels zu begrenzen. Maßnahmen wie die Dämmung von Gebäuden etwa, die langfristig Ersparnis bringen bei gleichzeitig erhöhtem Lebenskomfort. Damit nicht genug, zusätzlich kamen neue Energiewandler auf: Die ganze Welt fährt etwa auf SUVs ab, die die reinsten Energiefresser sind.
Die SUV-Schwemme ließe sich eindämmen, wenn die Politik es wollte.
Das wäre gut, ist aber nur ein Mittel. Es ist hilfreich, sich die Fakten bewusst zu machen. Wir sind eine von fossilen Brennstoffen angetriebene Zivilisation: Unser wissenschaftlicher und technischer Fortschritt, unsere Lebensqualität und unser Wohlstand basieren auf der Verbrennung riesiger Mengen fossilen Kohlenstoffs. Dieser unbequemen Wahrheit müssen wir uns stellen: Wir können uns von den fossilen Brennstoffen in dieser entscheidenden Determinante unserer Laufbahn auf Erden nicht einfach binnen weniger Jahrzehnte, geschweige denn Jahre, verabschieden. Der Blick auf die Zahlen verrät: Das ist schier unmöglich.
Was ist der häufigste Irrglaube in Bezug auf das Klima und die sogenannte grüne Revolution?
Es herrscht die Vorstellung, dass es sich nur um einen Wechsel von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien handelt, während es sich in Wirklichkeit um eine tiefgreifende Umstrukturierung der modernen Zivilisation handelt.
Wenn nun aber die verschiedenen Umweltkrisen genau das erforderlich machen sollten: Sehen Sie keinen Weg?
Es gibt gewisse Stellschrauben. So verschwenden wir viel zu viele Lebensmittel. Laut der Welternährungsorganisation FAO verlieren wir ein Drittel der gesamten Nahrungsmittelproduktion, das Waste and Resource Action Programme aus Großbritannien hat ermittelt, dass rund 70 Prozent der weggeworfenen Nahrung essbar gewesen wären. Warum wurde es aber nicht gegessen? Weil es nicht mehr appetitlich aussah oder schlichtweg zu viel aufgetischt worden ist. Eine andere Möglichkeit bestände darin, dass der Veganismus weiteren Zuspruch findet.
Damit ist ein Abschied von den fossilen Energien aber noch lange nicht erreicht.
Eine vollständige Entkarbonisierung der Weltwirtschaft bis 2050 hätte aus heutiger Sicht einen unvorstellbar hohen Preis: eine globale wirtschaftliche Schrumpfung in einer unvorstellbaren Größenordnung. Oder es könnte das Resultat außerordentlich rapider Transformationen auf der Basis fast märchenhafter technischer Fortschritte sein.
Halten Sie Letzteres für möglich?
Nein.
In Sachen Klimakrise gibt es die beiden Pole der Pessimisten und der Optimisten: Die einen sehen die Apokalypse nahen, die anderen setzen auf technische Fortschritte, die Sie gerade angesprochen haben.
All diese Leute fahren auf die Katastrophenszenarien oder auf die unrealistischen Verheißungen der Technologie ab. Ich kann das ja durchaus nachvollziehen. Beiden Lagern setzt nur die Fantasie Grenzen, aber in Wirklichkeit sind es Zahlen und Naturgesetze. Da kenne ich mich wiederum aus. Die Realität besteht darin, dass alle ausreichend wirksamen Schritte allmählich statt magisch vor sich gehen werden – und es wird kostspielig werden.
Deutschland hat sich von der Atomkraft verabschiedet, andere Staaten setzen auf sie als Lösung. Was halten Sie davon?
Nur wenige Dinge sind jemals "die Lösung". Die Kernkraft könnte aber – wenn sie vorsichtig entwickelt wird – ein kleiner Teil der Lösung sein.
Was ist mit der Kalten Fusion? Ist sie realistisch?
Als routinemäßige kommerzielle Realität? Ja. Aber nicht mehr zu Ihren Lebzeiten. Ganz egal wie alt Sie gerade sind.
Sie beklagen, dass immer weniger Menschen die Grundlagen unserer Zivilisation verstehen: Wie wird Getreide angebaut, woher kommt die Milch, wie stellt man Stahl her – um nur einige Beispiele zu nennen. Warum ist das so?
Das ist keine Beschwerde, sondern eine sachliche Beobachtung. Es handelt sich um das Resultat unserer Besessenheit von der Elektronik und der Vernachlässigung der wissenschaftlichen Grundbildung: Nicht leicht zu ändern in einer Welt, in der die Menschen mehr Zeit mit sozialen Medien als mit dem Lesen von Büchern verbringen.
Sie gelten als Vielleser und Vielschreiber. Um welche Mengen handelt es sich?
In den letzten 48 Jahren habe ich 50 Bücher veröffentlicht. Ich lese jedes Jahr zwischen 60 und 90 Bücher, abgesehen von denen, die ich wiederum zur Vorbereitung auf das Schreiben meiner Bücher studiere.
Was lesen Sie?
Vor allem Bücher zur Geschichte. Denn jeder Fehler, den wir machen, ist schon viele Male gemacht worden.
Besonders seit der Corona-Pandemie nimmt die Feindseligkeit gegenüber der Wissenschaft zu. Wäre das so eine Wiederholung?
Unwissende Geister haben die Wissenschaft schon immer verunglimpft. Aber was machen diese Leute, wenn sie akut krank werden?
Eine letzte Frage: Die Künstliche Intelligenz soll der Menschheit zukünftig bei der Lösung nahezu all ihrer Probleme helfen. Was halten Sie davon?
Das gesamte KI-Versprechen ist lächerlich übertrieben. Schicken Sie mir doch eine E-Mail, wenn die KI alle Angriffskriege beendet und die wirtschaftliche Ungleichheit auf dieser Welt beseitigt haben wird. Dann unterhalten wir uns noch einmal.
Professor Smil, vielen Dank für das Gespräch.
- Schriftliches Interview mit Vaclav Smil