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Krieg in Syrien: In Idlib drohen Massaker und eine neue Massenflucht


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Syrische Rebellen mit Rücken zur Wand
Großschlacht um Idlib: Endet der Krieg in einem Massaker?


11.08.2018Lesedauer: 5 Min.
Die Innenstadt von Idlib: Die Bewohner der Provinz wurden von Machthaber Assad mit Flugblättern aufgefordert, sich zu ergeben.Vergrößern des Bildes
Die Innenstadt von Idlib: Die Bewohner der Provinz wurden von Machthaber Assad mit Flugblättern aufgefordert, sich zu ergeben. (Quelle: reuters)

Artilleriebeschuss läutet die vielleicht letzte große Schlacht im Syrien-Krieg ein. Assads Angriff auf Idlib ist für Erdogan ein Desaster und bringt Putin in die Zwickmühle

Der Krieg in Syrien steuert auf die nächste große Schlacht zu. Der syrische Machthaber Baschar al-Assad hat angekündigt, die syrische Provinz Idlib einnehmen zu wollen – seine Armee hat den Artilleriebeschuss auf Stellungen der Freien Syrischen Armee (FSA) schon begonnen. Sollte Assad an seinen Plänen festhalten, wird es im Kampf um die Stadt Idlib die nächste humanitäre Katastrophe geben. Zehntausende Flüchtlinge werden versuchen, dem Blutvergießen über die syrisch-türkische Grenze zu entkommen.

Knapp eine Millionen Binnenflüchtlinge

Idlib ist das letzte große Gebiet in den Händen von Rebellen. In der Provinz im Nordwesten Syriens leben aktuell laut Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) knapp 2,5 Millionen Menschen. Bei den vergangenen Großschlachten in Aleppo, Daraa und Ost-Ghuta stellte Assads Armee Dschihadisten, Rebellen und Zivilisten vor eine Wahl, die eigentlich keine war: Sie könnten bleiben und vermutlich sterben oder in die Provinz Idlib abziehen. Viele wurden mit Bussen dorthin gebracht.

Deswegen sind aktuell knapp eine Millionen Flüchtlinge aus anderen Landesteilen in der Provinz – hinzu kommen zehntausende Kämpfer. Die letzte Rebellenhochburg wird von islamistischen Milizen kontrolliert. So ist rund 60 Prozent des Gebietes in der Hand der Islamistenallianz Hajat Tahrir al-Scham (HTS), in dem sich überwiegend Kämpfer der Nusra-Front befinden, die früher zu Al-Qaida gehörte.

Kämpfer könnten in den Untergrund gehen

Die islamistischen Gruppierungen sind jedoch keineswegs homogen. Sie bestehen einerseits aus radikalen Dschihadisten, die zum Teil aus dem Ausland kommen. Andere Kämpfer sind vor allem Assad-Gegner, die sich zu Beginn des Krieges radikalisierten und sich der Gruppierung anschlossen, die in ihrem Gebiet Sicherheit für ihre Familien garantieren konnten und militärisch gut aufgestellt waren. Oftmals waren dies islamistische Gruppen.

Viele dieser Kämpfer könnten nach dem Ende des Krieges wieder in den Untergrund abtauchen. Das plötzliche Aufkommen des sogenannten Islamischen Staates (IS) ist ein mahnendes Beispiel. Um dies zu verhindern wollte Assad möglichst viele gegnerische Kräfte an einem Ort versammeln. Seine Strategie ging auf.

"Mutter aller Schlachten"

In Idlib stehen Kämpfer und Flüchtlinge nun gleichermaßen mit dem Rücken zur Wand. Zivilisten können in das von der syrischen Armee kontrollierte Gebiet fliehen, wo sie den Repressionen von Assads Polizei und Geheimdienst ausgesetzt sind. Ihnen bleibt oft nur der Weg über die türkisch-syrische Grenze, wo Erdogan mittlerweile eine Mauer bauen ließ. Für die bewaffneten Milizen gibt es dagegen keinen Ausweg, denn es gibt kein Gebiet mehr in Syrien, in das sie abziehen könnten. Deshalb bezeichnen Rebellen den Kampf um die Provinz als "Mutter aller Schlachten". Es droht eine humanitäre Katastrophe.

Während Russland, der Iran und die Türkei bei den Astana-Gesprächen eigentlich eine Deeskalationszone in Idlib vereinbart hatten, verfolgte Assad schon immer das Ziel, die Provinz wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Der Angriff des syrischen Machthabers ist vor allem ein strategisches Desaster für die Türkei. Erdogan unterstützt seit seiner Offensive in Afrin verschiedene islamistische Rebellengruppen, die gegen Assad und gegen die Kurden kämpfen. Die Türkei hat rund um Idlib militärische Beobachtungsposten aufgestellt, um ein Protektorat zu errichten und um Konflikte zwischen der syrischen Armee und Rebellen zu verhindern.

Geopolitische Konflikte

In Idlib droht der Konflikt zwischen den Erzfeinden Assad und Erdogan nun zu eskalieren. Greift das Nato-Mitglied Türkei nicht ein, wäre der Afrin-Feldzug umsonst gewesen. Erdogan könnte seine Großmachtbestrebungen begraben und müsste seine Kontrolle über Teile Syriens wieder abgeben. Außerdem hat die Türkei schon 3,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen und durch Assads Offensive würden erneut Hunderttausende über die syrisch-türkische Grenze wollen. Hier hat die Türkei zwar eine Mauer errichtet, aber ob die türkische Regierung wirklich dabei zuschaut, wie auf der syrischen Seite Flüchtlinge sterben, ist zu bezweifeln.

Entschließt sich Erdogan für einen Konflikt mit Assad, hätte dies unabsehbare Folgen für die gesamte Nato. Ein militärisches Eingreifen der Türkei ist allerdings unwahrscheinlich, da den syrischen Rebellen in Idlib eine militärische Übermacht von gleich mehreren Großmächten gegenübersteht.

Im letzten verbliebenen Rebellengebiet entladen sich die geopolitischen Konflikte, die den syrischen Bürgerkrieg von Beginn an geprägt haben. Hinter Assad stehen der Iran, Russland und neuerdings auch die Großmacht China.

Ende des "Astana-Prozesses"

In der Zwickmühle steckt allerdings nicht nur die Türkei, sondern auch Russland. Eigentlich steht der Kreml hinter der Assad-Offensive gegen Idlib: Außenminister Sergej Lawrow drohte bereits damit, den "Terroristen in Idlib den letzten Todesstoß" zu verpassen. In dem Gebiet kämpfen auch rund 300 Islamisten aus dem Kaukasus. Präsident Wladimir Putin möchte den Kampf mit ihnen außerhalb von Russland austragen.

Die Idlib-Offensive könnte auch das Ende des "Astana-Prozesses" bedeuten. In den letzten Jahren hat Putin versucht, die Türkei aus der Nato herauszulösen und baute auf ein gutes Verhältnis zu Ankara. Diese Bestrebungen wären nach einer Schlacht um Idlib vorerst zerstört.

Neben Russland könnten auch die Kurden in der Schlacht eine entscheidende Rolle spielen. Sie sind aktuell in Gesprächen mit dem Assad-Regime. Sollte ihnen der Machthaber mehr Autonomie versprechen, würden sie gegen die Türkei und gegen die Rebellengruppen kämpfen, die sie zuletzt aus Afrin vertrieben haben. Ein Machtzuwachs der Kurden wäre ein zusätzlicher Alptraum für Erdogan.

Chinas gefährliches Kalkül

Überraschend ist auch das plötzliche Auftreten von China im syrischen Bürgerkrieg. Die Chinesen ergriffen in der Vergangenheit aus eigenem innenpolitischen Interesse Partei für Assad, weil China traditionell Rebellionen im eigenen Land fürchtet und die internationale Unterstützung in die innenpolitischen Angelegenheiten eines Landes massiv kritisiert. Doch betonte der chinesische Botschafter in Syrien, Qi Qianjin, zuletzt die "positive militärische Zusammenarbeit zwischen China und Syrien" und versprach Assad militärische Unterstützung.

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Der offizielle Grund dafür sind die Uiguren, eine muslimische Minderheit in China. Einige wenige Uiguren sollen auch in Idlib an der Seite der Rebellen kämpfen. China geht es aber wohl eher darum, seine geostrategische Stellung als Großmacht zu festigen, indem man am Ende auf der Seite des vermeintlichen Siegers Assad steht. Chinesische Firmen stehen außerdem schon in den Startlöchern, um Syrien nach dem Bürgerkriege wieder aufzubauen.

Assads Nachkriegsordnung

Doch ein Ende des Krieges, würde nicht das Ende der Konflikte in Syrien bedeuten – eine Nachkriegsordnung ist kaum absehbar. Assad hat zwar angekündigt, sich mit Rebellen aussöhnen und Flüchtlingen "verzeihen" zu wollen. Für viele Syrer ist es aber unvorstellbar, erneut unter Assad zu leben.

Helikopter warfen in den letzten Tagen Flugblätter über Dörfern im Osten Idlibs ab, in denen die Einwohner aufgerufen wurden, sich zu ergeben. "Der Krieg nähert sich seinem Ende", hieß es darin. "Wir rufen euch auf, euch wie viele Menschen Syriens den örtlichen Versöhnungsvereinbarungen anzuschließen." Von dieser Entscheidung werde "das Schicksal eurer Familie, Kinder und Zukunft abhängen", warnte die Regierung.

Diese Zettel sind ein kleiner Ausblick, wie sich Assad das Syrien nach dem Krieg vorstellt. Repression, Kontrolle und ein massiver Polizeistaat sind die einzige Möglichkeit für ihn, um in Zukunft die Kontrolle über das Land zu behalten. Viele Menschen werden erneut der Folter und den Gräueln der syrischen Gefängnisse ausgesetzt sein, Andersdenkende werden brutal verfolgt.

Die Drohungen des syrischen Diktators sollten nicht nur Assads Feinde, sondern auch seine Verbündeten ernst nehmen. Die Schlacht um Idlib beginnt mit unabsehbaren Folgen für Syrien und für die geostrategische Machtbalance in der Region.

Verwendete Quellen
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