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Russland, China und Trump setzen Europa unter Druck: Münkler im Gespräch


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Europa unter Druck
"Solche Zeiten verzeihen keine Schwäche"

InterviewVon Marc von Lüpke

04.12.2024 - 15:55 UhrLesedauer: 10 Min.
Wladimir Putin: Ein Erfolg in der Ukraine könnte Russland zu weiteren Aggressionen ermuntern, warnt Herfried Münkler.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Ein Erfolg in der Ukraine könnte Russland zu weiteren Aggressionen ermuntern, warnt Herfried Münkler. (Quelle: Artyom Geodakyan/dpa)

Russland führt Krieg, Chinas Macht wächst und Donald Trump wird die USA umkrempeln: Umbrüche im globalen Machtgefüge erschüttern die alte Ordnung. Politologe Herfried Münkler erklärt, wie sich Europa behaupten kann.

Die alte Weltordnung wankt gewaltig, nicht nur Russland attackiert sie mit seinem Krieg gegen die Ukraine. Derweil kehrt in den USA Donald Trump zurück ins Weiße Haus und hat nur seinen Vorteil im Sinn. Was wird aus Europa, was wird aus Deutschland in diesen unsicheren Zeiten? Herfried Münkler, renommierter Politologe und Autor des Buches "Welt in Aufruhr", prognostiziert, dass zukünftig mehrere große Mächte die globale Ordnung bestimmen werden. Wie Europa zu diesem Kreis gehören könnte, erklärt Münkler im Gespräch.

t-online: Professor Münkler, nehmen Männer wie Wladimir Putin, Xi Jinping und Donald Trump Deutschland und Europa überhaupt ernst?

Herfried Münkler: In gewisser Hinsicht nimmt Wladimir Putin die Europäische Union durchaus ernst. Sonst würde er kaum versuchen, die EU zu zerlegen, indem er mit Desinformationskampagnen in Wahlen eingreift und die Mitgliedstaaten der EU gegeneinander ausspielt. Putin weiß genau, dass die Europäer ihm eigentlich überlegen sind. Das russische Bruttoinlandsprodukt bewegt sich auf dem Niveau Spaniens, mit ihren rund 450 Millionen Menschen verfügt die EU über dreimal so viele Einwohner wie Russland. Deswegen will Putin die EU spalten.

Zugleich dürfte Putin klar sein, dass Europa militärisch am Rockzipfel der Vereinigten Staaten hängt und politisch uneins ist.

Europas militärische Fähigkeiten und der Wille, diese auch zu gebrauchen, sind gering. Gleichwohl ist sich Putin aber über das europäische Potenzial im Klaren. Daraus resultiert seine Politik gegenüber Europa: Putin will Europa für sich nutzbar machen. Im Kern hegt er die Vorstellung, dass Russland mit einem vom transatlantischen Westen abgesetzten Europa unter deutscher und französischer Anleitung gut zusammenarbeiten könne. So hat Putin es bereits 2001 in seiner ausgiebig beklatschten Rede im Bundestag gesagt, bei der die deutschen Parlamentarier nicht gemerkt haben, worauf er tatsächlich hinauswollte: Russland will Macht und Einfluss von Wladiwostok bis Lissabon ausüben, da sollten wir uns keinerlei Illusionen hingeben.

Zur Person

Herfried Münkler, Jahrgang 1951, lehrte bis zu seiner Emeritierung 2018 Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der vielfach ausgezeichnete Politologe ist Autor zahlreicher Bücher, darunter zuletzt "Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert". Am 11. März 2025 erscheint mit "Macht im Umbruch. Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts" Münklers neuestes Buch.

Machen wir uns in Bezug auf das revisionistische China und die USA, die bald erneut von Donald Trump regiert werden, ebenfalls Illusionen?

Trump möchte als erfolgreicher Dealmaker auftreten, der immer am längeren Hebel sitzt. Eine geschlossen auftretende und handlungsfähige EU ist da eher unerwünscht, untereinander zerstrittene europäische Akteure sind ihm lieber. Xi Jinping sieht die Europäer ebenfalls bevorzugt uneinig, er will eine mögliche geschlossene chinakritische Politik etwa in Form weiterer zollpolitischer Maßnahmen verhindern. Mit dem sogenannten China-Mittel-Ost-Europa-Gipfel hat Peking bereits eine Reihe von EU-Staaten erfolgreich ökonomisch abhängig gemacht. Die Strategie der Neuen Seidenstraße geht auf.

Das ohnehin schon fragmentierte Europa wird also von allerlei weiteren Akteuren gemäß der Devise "Teile und Herrsche" weiter gespalten?

Alle großen weltpolitischen Akteure haben die EU auf dem Schirm, ja, aber keiner fürchtet sie als ernst zu nehmenden politischen Gegenspieler. Das ist bedauerlich, aber auch von uns selbst verschuldet.

Sie prognostizieren in Ihrem Buch "Welt in Aufruhr", dass voraussichtlich fünf Mächte zukünftig die Weltordnung bestimmen werden. Die USA, China, Russland und Indien gehören mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, die EU ist eher ein Wackelkandidat. Wie können sich die Europäer die Zugehörigkeit zu diesem "Direktorium der globalen Ordnung" sichern?

Zunächst sollten sich die Europäer auf ihre Stärken besinnen und nicht entzweien lassen. Nehmen wir das Aufkommen rechtspopulistischer Nationalregierungen, die in gewisser Hinsicht die Gehilfen Putins sind, aber auch aus eigenem Antrieb die EU zurückbauen wollen: Sie soll ökonomisch zur Wirtschaftsgemeinschaft schrumpfen. Im politischen Bereich propagieren diese Leute die uralte Geschichte eines Europas der Vaterländer, wo jeder für sich und jeder gegen jeden agiert. Besser wäre es, wenn sich stattdessen ein neuer Kreis von EU-Staaten zusammenfindet, die politischen Willen aufbringen und Veränderungen anstoßen.

Sie spielen auf das sogenannte Weimarer Dreieck aus Frankreich, Deutschland und Polen an?

Das wäre ein Ansatzpunkt. Paris, Berlin, Warschau könnten zusammen mit einem größeren EU-Staat aus dem Süden die Außen- und Sicherheitspolitik an sich ziehen. Denkbar wäre auch, dass die Briten dazustoßen, die zwar nicht mehr Mitglied der EU sind, aber sehr wohl der Nato.

Widerspruch von Russland freundlich gesinnten EU-Regierungen wie Ungarn wäre allerdings garantiert?

Das kann Viktor Orbán gerne versuchen. Wenn diese EU-Staaten eine neue handlungsfähige Runde bilden wollen, dann wird sie niemand daran hindern können. Der Euroraum und der Schengenraum sind ebenso nicht kongruent mit der politischen Gemeinschaft Europas. Beim Aufbau eines solchen neuen sicherheitspolitischen Taktgebers wäre es allerdings wichtig, das Mehrheitsprinzip anstelle des Einstimmigkeitsprinzips zu installieren. Gemeinsam könnten diese Staaten auch eine eigene Komponente der nuklearen Abschreckung aufbauen – mithilfe des französischen und britischen Kernwaffenarsenals, das ausgebaut und europäisiert wird. Dann hätte Europa endlich einmal von Anfang an die Hosen an und wir wären nicht mehr erpressbar.

Das dürfte den Kreis des Widerstands weit über die Russlandfreunde in der EU hinaus erweitern? Teile etwa des linken SPD-Lager in Deutschland würden Sturm laufen.

Wir erleben eine Zeit gewaltiger Umbrüche, solche Zeiten verzeihen keine Schwäche. Der Mittelweg von Olaf Scholz mit dessen Politik des Zuwenig und Zuspät ist gescheitert. Stattdessen braucht es unmissverständliche Entschlossenheit. Europa muss sich glaubhaft verteidigen können. Tatsächlich befinden wir uns in dem Dilemma, dass uns Putin immer wieder mit nuklearen Drohungen ins Bockshorn jagt, die Amerikaner dieses Spiel aber ebenso betreiben. Nur mit anderen Mitteln. Trump weiß sehr wohl, dass die Drohung mit dem Entzug des atomaren Schutzschilds über Europa fruchtet. Europa muss sich aus eigener Fähigkeit selbst behaupten können – und dazu braucht es eine eigene atomare Abschreckung. Das ist die Voraussetzung strategischer Autonomie in Zeiten, in denen die alte Weltordnung zerfällt.

Die Erosion der wertebasierten Weltordnung hat schon vor längerer Zeit begonnen, die deutsche Politik hat diese eklatante Tatsache bislang verharmlost bis ignoriert. Haben Sie eine Erklärung?

Die deutsche Politik ist bevölkert von gewieften Taktikern, die höchstens bis zur nächsten Wahl denken. Es bräuchte aber gerade in der derzeitigen Situation Strategen, die langfristig denken. Die sind hierzulande Mangelware, andernorts in Europa ebenso. Die EU muss eine auf Dauer haltbare politische Gemeinschaft werden, sonst ist man überall erpressbar. So wie es Viktor Orbán praktiziert, der sich eine Kaffeepause beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs letztes Jahr mit zehn Milliarden Euro hat honorieren lassen. Nur so konnten die restlichen 26 EU-Staaten in seiner Abwesenheit die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine beschließen, während Ungarn kurz darauf die bis dahin gesperrten Milliarden freigegeben wurden.

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Nun bekommen es die Europäer mit dem fulminant wiedergewählten Donald Trump zu tun. Wie sollten wir mit ihm umgehen?

Der erste Imperativ besteht darin, die Europäische Union zusammenzuhalten. Gerade die Deutschen sind nun besonders gefragt. Ihre Aufgabe wird darin bestehen, die zentrifugalen Kräfte innerhalb der Europäischen Union zu bändigen. Zweitens müssen die Europäer Trump beweisen, dass sie keine sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer mehr sind. Das bedeutet, dass sie ihm im Bereich der Herstellung eigener Verteidigungsfähigkeiten etwas anbieten müssen.

Trump hat in der Vergangenheit immer wieder auf die Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels bei den Verteidigungshaushalten der Nato-Mitgliedsstaaten gepocht.

Damit wird er sich wohl nicht mehr zufriedengeben, er wird jetzt mindestens 2,5 Prozent oder gar mehr fordern. Damit kommen wir wieder zum Aufbau einer eigenen europäischen nuklearen Abschreckung. Dagegen kann Trump schlecht argumentieren, denn er hat den Europäern immer wieder vorgeworfen, dass sie Trittbrettfahrer der Vereinigten Staaten seien. Europa könnte Trump noch etwas anderes anbieten – und zwar die Erweiterung des transatlantischen Projekts in den indopazifischen Raum.

Wo Trumps Lieblingsgegner China Macht und Einfluss ausbaut?

So ist es. Die Europäer könnten die USA im Pazifik weit stärker unterstützen, die Franzosen etwa verfügen dort über Stützpunkte. Ebenso könnten die europäischen Staaten den Vereinigten Staaten auch im Indischen Ozean, in Afrika und dem Nahen Osten helfen. Als Gegenleistung bliebe dann der amerikanische Nuklearschirm über Europa gespannt.

Die Europäer würden sich den nuklearen Schutz der USA praktisch erkaufen?

In dieser Welt gibt es nichts umsonst. Was auch immer Europa tun wird, es wird uns sehr viel Geld kosten. Ich persönlich präferiere den Aufbau eines eigenen Schutzschildes für Europa, weil uns das mehr "politische Beinfreiheit" verschafft.

Wer aber hätte den Oberbefehl über mögliche europäische Kernwaffen?

Die Nato hat die einfache Lösung, dass immer ein amerikanischer Vier-Sterne-General das Kommando innehat. Die Eifersüchteleien in Europa erschweren natürlich eine Regelung allein unter den Europäern. Die Europäer müssten sich zusammenraufen.

Halten Sie das für wahrscheinlich?

Das geistige Brüderpaar Putin und Trump könnte die Europäer tatsächlich dazu bringen, Schritte zu gehen, die sie sonst nie gemacht hätten. Wenn der Druck aus Ost und West zu stark wird, kann vieles plötzlich möglich werden. Europa sollte sich wirklich bemühen, im Konzert der fünf zukünftigen Weltmächte mitzuspielen. Sonst wird es vom Normgeber zum Normempfänger. Das kann sich niemand wünschen.

Donald Trump ist ein selbsternannter Dealmaker, Wladimir Putin betreibt Geopolitik in großem Maßstab. Zwischen diesen beiden Polen befinden sich die Europäer in einer wenig beneidenswerten Position. Was geschieht, wenn sie sich nicht aufraffen zur Selbstbehauptung?

Dann könnte ein weiteres Szenario zur Realität werden. Falls Trump die europäischen Wirtschaften etwa mittels einer protektionistischen und eskalierenden Zollpolitik schwächt, wird der Kreml diese Gelegenheit nicht ungenutzt lassen. Putin würde uns verlockende Angebote machen, während zugleich die politischen Kräfte in Europa erlahmten, die auf das transatlantische Bündnis setzen. Eine Stärkung würden dann die Gruppierungen in den europäischen Ländern erfahren, die Putin gerne durch die Auflösung des transatlantischen Raumes des Westens entgegenkommen wollen. In Deutschland sind dies die AfD, die den Austritt aus EU und Nato fordert, und das BSW. Womit sie auch die Rückkehr zu russischem Erdgas und Erdöl verbinden. Zu Ende gedacht wäre dies das Ende des transatlantischen Westens und der geopolitische Schwenk Europas in Richtung Russland. Es entstände tatsächlich das geopolitische Konzept eines eurasischen Raumes von Wladiwostok bis Lissabon, in dem wir alle nach Moskaus Pfeife tanzen.

Das kann den Vereinigten Staaten aus geopolitischer Sicht kaum gefallen?

Überhaupt nicht. Aber denkt Trump in geopolitischen Kategorien? Ich fürchte nicht, was ein weiterer Unterschied zu seinen Vorgängern im 20. Jahrhundert ist. Der Historiker Heinrich August Winkler hat die deutsche Geschichte als "langen Weg nach Westen" beschrieben, im 21. Jahrhundert könnte dem der "kurze Weg nach Osten" folgen. Im Augenblick wird sehr viel darüber spekuliert, was Trump alles anrichten könnte. Eine Überlegung kommt mir dabei zu kurz.

Welche?

Trump könnte krachend scheitern. Etwa indem er die Fähigkeiten der USA systematisch ruiniert. Was ein durchaus naheliegender Gedanke ist, wenn wir betrachten, was für Leute Trump für seine Administration aussucht. Wenn Kompetenz keine Rolle mehr spielt, sondern nur Gefolgschaft oder Verwandtschaft, dann bekommt man schnell ein Problem mit einem politischen Personal, das aus Amateuren, Ideologen und Fanatikern besteht. Nehmen wir die harsche Art, in der Trump die Staaten Mittel- und Südamerikas in der Migrationsfrage angeht: Es kann schnell passieren, dass diese Länder in die chinesische Einflusszone überwechseln. China stellt keine lästigen Fragen und agiert wesentlich effektiver.

Im peruanischen Lima hat Xi Jinping kürzlich der Eröffnung eines mittels chinesischer Milliarden gebauten Hafens beigewohnt.

Richtig. Erinnern wir uns auch daran, wie Trump in seiner ersten Amtszeit afrikanische Staaten als "Dreckslöcher" bezeichnet hat. Das hat dort niemand vergessen. Eine solche Haltung kann sehr schnell dazu führen, dass die USA allein und ohne Verbündete dastehen. Das können auch die USA nicht verkraften, denn ihre starke Position basiert nicht zuletzt auf einer klugen Bündnispolitik.

Von der Tatsache abgesehen, dass die Geopolitik kein Vakuum zulässt. Wo die Vereinigten Staaten an Einfluss verlieren, gewinnen andere hinzu.

Genau. Das hat Trump nicht verstanden, weil er strategische Beratung ablehnt. Dazu kommen seine riskanten Pläne für die Wirtschaft. Er steht in der Pflicht der Wähler, die hohen Preise und die Inflation in den Griff zu bekommen. Mit seinen Zollplänen wird ihm das schwerlich gelingen. Nach Trump könnten die USA viel schwächer sein. Was ist denn Trumps Bilanz aus der ersten Amtszeit? Seine Avancen gegenüber Kim Jong Un aus Nordkorea haben kein Ergebnis gezeitigt. Schlimmer noch, Kim hat ihn an der Nase herumgeführt. Der mit den Taliban in Doha verabredete Abzug aus Afghanistan entwickelte sich zur Katastrophe, zu Trumps Glück musste das Joe Biden ausbaden. Dann haben wir die Abraham-Abkommen im Nahen Osten zwischen Israel und arabischen Staaten, was dazu führte, dass sich der Iran herausgefordert fühlte und seine Hilfstruppen, Hamas und Hisbollah, aktivierte.

Nun will Trump den russischen Krieg gegen die Ukraine beenden. Sein designierter Sondergesandter will beide Parteien an den Verhandlungstisch zwingen und wohl ein Einfrieren der Front erreichen. Wie schätzen Sie die Aussichten ein?

Hoffen wir, dass die Ukraine nicht reingelegt wird. Die weitere Entwicklung wird tatsächlich stark davon abhängen, wie sich die Europäer verhalten werden. Werden sie Stellung beziehen? Oder vor der Ansage des großen Meisters aus Washington kuschen?

Annalena Baerbock will einen Friedensprozess in der Ukraine "mit allen Kräften unterstützen", die Bundesaußenministerin kann sich auch Soldaten der Bundeswehr vor Ort vorstellen.

Was "Kräfte" angesichts des desolaten Zustands der Bundeswehr auch immer heißen mag. Falls die Ukraine aber tatsächlich umfangreiche Gebiete einbüßen sollte, werden Akteure rund um den Globus die Ohren spitzen. Denn die Lektion wäre eindeutig: Wer nur schnell, effektiv und rücksichtlos zuschlägt, kann mit großer Beute nach Hause gehen. Mit militärischer Gewalt erzwungene Grenzverschiebungen sind möglich, so wird es heißen. Da fällt einem schnell China in seinem Appetit auf Taiwan ein, aber wir müssen gar nicht so weit in Ferne gehen: Recep Tayyip Erdoğan betreibt trotz Nato-Mitgliedschaft eine neo-osmanische Politik, Stichwort Syrien, und in Serbien gibt Präsident Aleksandar Vučić in Hinsicht auf Bosnien-Herzegowina und das Kosovo Grund zur Sorge.

Russlands Appetit wäre mit den gegenwärtigen Eroberungen in der Ukraine aber ohnehin nicht gestillt?

Russland hat ein großes geostrategisches Interesse am Schwarzen Meer. Das war bereits ein Grund für seinen Griff nach der Krim und später nach weiteren Teilen der Ukraine. Er ist obendrein in Georgien und Rumänien aktiv, zwei Anrainern des Schwarzen Meeres. Wenn es aber am Schwarzen Meer für Putin gut ausgeht, warum sollte er Vergleichbares nicht an der Ostsee probieren? Es liegt im ureigenen Interesse der Europäer, hier wachsam zu sein.

Haben Sie Hoffnung, dass Europa den Willen zur Selbstbehauptung entfaltet?

Wir wären klug beraten, nicht nach Moskaus Pfeife zu tanzen. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hat einmal in Bezug auf den Nahen Osten gesagt, dass die Europäer dort "payer" sind, also "Zahler", aber keine "player", "Akteure". Zumindest auf unserem eigenen Kontinent sollten die Ansprüche an uns selbst doch etwas höher sein.

Professor Münkler, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Herfried Münkler via Videokonferenz
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