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Russland als Diktatur: Dieses Ende wird auch Putin nicht erspart bleiben


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Kolumne "Russendisko"
Dieses Ende wird auch Putin nicht erspart bleiben

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 11.08.2024Lesedauer: 4 Min.
Wladimir Putin: Russlands Präsident plant für die Ewigkeit, meint Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Russlands Präsident plant für die Ewigkeit, meint Wladimir Kaminer. (Quelle: Alexander Zemlianichenko/reuters)

Ist Alt das neue Jung? Dieser Gedanke liegt beim Blick auf die Weltpolitik nicht fern. Wladimir Putin etwa ist Anfang 70 – und denkt noch lange nicht ans Aufhören. Fürchtet Wladimir Kaminer.

Mit der Fortentwicklung der Pharmaindustrie, der Ausweitung der medizinischen Versorgung und Veränderungen unserer Vorstellungen von Hygiene und Gesundheit nimmt unsere Lebensdauer zu. Die Zahl der Hundertjährigen steigt jedes Jahr auf ein neues Rekordniveau. Ein längeres Leben hat viele Folgen für die Gesellschaft, die Überschriften in den Zeitungen werden größer, an schwache Augen angepasst, die Nachrichtensprecher reden etwas langsamer und die Ansagen in der U-Bahn werden lauter abgespielt.

Eine weitere Folge ist, dass die Geschicke der Welt immer öfter von Greisen geleitet werden. In allen Ländern gibt es ein Mindestalter für Führungspositionen, aber nirgends, soweit ich weiß, wird für diese ein Höchstalter festgelegt: Ähnlich wie mit dem Führerschein, als Kind darf man nicht fahren, als Greis aber schon. Meine Tochter, eine enthusiastisch politisch aktive Feministin, meinte neulich, eine pauschale Entmündigungserklärung für Männer ab 70 würde der Welt nur zugutekommen, denn wie sollen die jungen Menschen sich überhaupt entfalten in einer Welt, die von Greisen regiert wird?

(Quelle: Frank May)

Zur Person

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein aktuelles Buch "Gebrauchsanweisung für Nachbarn" (mit Martin Hyun) ist im März 2024 erschienen.

Ich widersprach ihr, denn ich weiß, es geht. Meine alte Heimat, die Sowjetunion, wurde nämlich sehr lange von alten Männern regiert. Die Plakate und Abbildungen unseres Politbüros, der kollektiven Führung des Landes, hingen in den Schulen und Instituten, sie schmückten Zeitungsseiten, Lehrbücher und die sogenannten Agitationsstände, die hier und da in der Stadt aufgestellt wurden. Der Sinn dieser Stände ist mir bis heute verborgen geblieben. Wen sollten sie agitieren? Und wofür? Die zahlreichen Mitglieder des Politbüros waren auf den Plakaten nebeneinander in drei Reihen abgebildet, es gab einen mit Glatze und drei trugen Brillen.

Sonst waren sie nicht auseinanderzuhalten, traurig schauten sie von den Plakaten, ernst und blass wie Leichen. Jedes Gruppenfoto aus einem Altersheim würde mehr Fröhlichkeit und Enthusiasmus ausstrahlen. Unsere Führer waren stets mit dem Fluch des nahen Todes belegt, denn nur die Alten durften regieren, und die haben nichts mehr kapiert. Einmal haben sie versucht, sich dem Fluch zu widersetzen und einen Jüngeren in ihre Reihen aufgenommen, er hieß Gorbatschow und war nicht mal 50 Jahre alt, als er mit aufs Bild durfte.

Krankenschwestern an die Macht?

Er steckte also quasi noch in der Pubertät. Gleich danach ist die Sowjetunion kaputtgegangen. Der heutige Führer Russlands ist erst Anfang 70 und achtet sehr auf seine Gesundheit. Angeblich arbeitet ein ganzes medizinisches Institut an seiner Lebensverlängerung. Denn "ohne Putin kein Russland", so formulierte es bereits vor Jahren der Parlamentschef in seiner wöchentlichen Lobrede auf den Boss. Der plötzliche Abgang des Anführers war schon immer der größte Risikofaktor in undemokratischen Staaten.

Die Dauer autoritärer Regime ist meistens auf die Lebensdauer ihrer Führer beschränkt, die Diktaturen enden mit ihren Diktatoren. Aus irgendeinem Grund gelingt es ihnen nicht, eine gescheite Machtübergabe an eine Vertrauensperson ihrer Wahl zu Lebzeiten zu bewerkstelligen. Das Beispiel Nordkorea beweist nur die Regel. Oft sind die Diktatoren im Alter nur noch von Krankenschwestern und Leibwächtern umzingelt. Es entsteht eine tiefe innige Beziehung des Diktators zu seiner Krankenschwester oder seinem Leibwächter, es hat aber bis jetzt noch keine Krankenschwester geschafft, die Macht zu übernehmen.

Unter heutigen Autokraten und Diktatoren sind Putins 71 Jahre überhaupt kein Alter, der chinesische Kollege ist ebenfalls Anfang 70 und hat ebenfalls nicht vor, in Rente zu gehen. Auch demokratisch gewählte Politiker können unter Umständen in sehr reifem Alter weiter regieren. Bei dem aktuellen Präsidentschaftswahlkampf in Amerika wurde lange Zeit eigentlich nur darüber diskutiert, welcher der beiden Kandidaten seniler ist. Mit wechselndem Erfolg.

Mal stolperte der eine, mal versprach sich der andere. Der Gesundheitszustand des demokratischen Kandidaten erschrak selbst seine Anhänger so sehr, dass er gedrängt wurde, auf seine Kandidatur zu verzichten. Obwohl man bei dem minimalen Altersunterschied dieser Männer von nur drei Jahren ziemlich sicher sein kann, dass der Republikaner ebenfalls bald gemütlich wird. Am ältesten sehen heute für mich die geistigen Führer des Iran aus, die ganzen Ajatollah Chomeneis, sie haben sich seit der Machtübernahme 1979 überhaupt nicht verändert und sind auch eigentlich nicht gealtert. Sie waren nämlich schon damals steinalt.

Unsterbliche an der Macht?

Neulich lernte ich eine Gruppe Iraner in Hamburg kennen. Sie haben mich über die neue russische Migration ausgefragt, was das für Leute sind, die heute vor Putin flüchten. 95 Prozent mit Hochschulabschluss, erzählte ich. Das war im Iran auch so ähnlich, sagten die Iraner. Viele qualifizierte, gebildete Leute haben damals das Land verlassen, sie wollten nicht in einer religiösen Diktatur leben.

"Aber ihr habt viel bessere Karten für einen baldigen Regimewechsel," sagte ich leichtsinnig. "Eure Ajatollahs sind steinalt, sie werden doch nicht hundert Jahre leben, also geht auch ihr Regime ein, schon allein aus biologischen Gründen." Irrtum. "Nein, Wladimir, du verstehst das nicht", meinten die iranischen Freunde. "Die Ajatollahs sind alle längst über hundert, im Land sagt man, sie trinken das Blut des Volkes und werden dadurch unsterblich."

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