Chinas Machthunger "Unternehmen machen sich extreme Sorgen"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Konflikt zwischen China und Taiwan eskaliert immer weiter, die Bundesregierung will deshalb unabhängiger von dieser Region werden. Doch wie schwer das ist, zeigt eine Branche, in der ausgerechnet Taiwan führend ist.
Andreas Jahn verfolgt die Nachrichten zum Konflikt zwischen China und Taiwan aus seinem Berliner Büro ganz genau. Der Politikchef des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft sagt: "Viele mittelständische Unternehmen machen sich extreme Sorgen." Fast täglich tauchen chinesische Militärschiffe rund um die Insel auf. Dazu jagen Kampfjets durch die Luft. China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz, Staatspräsident Xi Jinpings erklärtes Ziel ist es, die Insel wieder unter chinesische Kontrolle zu bringen.
Die jüngst erfolgte Wahl des chinakritischen William Lai zum Präsidenten Taiwans hat die Sorgenfalten auf der Stirn deutscher Unternehmen noch tiefer gemacht. Viele befürchten eine weitere Eskalation. Was, wenn China die Taiwanstraße, eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt, blockiert? Oder, noch schlimmer, eine Invasion der Insel startet?
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Unternehmen suchen nach Alternativen
Die wirtschaftliche Abhängigkeit von China ist für Deutschland längst zu einer geostrategischen Gefahr geworden. Die Bundesregierung versucht seit Jahren, die deutschen Unternehmen aus der "China-Falle", wie manche Experten sagen, zu befreien. Wie schwierig das ist, zeigt sich in kaum einer Branche so eklatant wie in der, für die ausgerechnet Taiwan eine entscheidende Rolle spielt: Halbleiter.
Die deutsche Wirtschaft ächzt nach den Bauteilen, aus denen Computerchips hergestellt werden. Ohne sie fährt heutzutage kein Auto, dreht kein Windrad und läuft kein Smartphone. Andreas Jahn bezeichnet Halbleiter deshalb als die "Lebensader unserer Wirtschaft". Umso mehr suchen hiesige Unternehmen nun nach Alternativen zu Taiwan. Doch gibt es die überhaupt?
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Mulfingen im Nordosten Baden-Württembergs. Hier, mitten in der Provinz, sitzt EBM Papst, ein weltweit führender Hersteller von Ventilatoren, die etwa in Computern oder Wärmepumpen verbaut werden. Das Unternehmen versucht seit Jahren, sich durch lokale Lieferketten unabhängiger von Weltlagen zu machen.
"Wir sind extrem von Taiwan abhängig"
Die Idee ist simpel: Fabriken in Deutschland sollen möglichst mit deutschen Produkten, Fabriken in den USA möglichst mit US-amerikanischen Produkten beliefert werden. Doch bei Halbleitern, räumt Geschäftsführer Klaus Geißdörfer ein, ist das kaum realisierbar. "Die extreme globale Vernetzung der Halbleiterfabriken bleibt ein Risiko", sagt er.
Die größten und fortgeschrittensten dieser Fabriken sitzen in Taiwan. Laut der deutschen Außenhandelskammer stammen 60 Prozent der weltweit produzierten Halbleiter von der Insel zwischen dem süd- und ostchinesischen Meer. Im Bereich hochleistungsfähiger Chips, wie sie etwa KI-Modelle benötigen, liegt der Anteil demnach sogar bei 90 Prozent. "Wir sind massiv von Taiwan abhängig", sagt Jahn vom Mittelstandsverband. "Für alle Produktionen mit Spitzentechnologie brauchen wir leistungsfähige Chips. Gerade auch im Bereich des autonomen Fahrens."
"Ein Chip durchläuft 20 Stationen in der Welt, bis er verbaut wird"
Wie viele seiner Chips das betrifft, kann er nicht sagen. Die Lieferanten, so Geißdörfer, würden ihre Lieferketten nicht vollständig offenlegen. Aber ein Hersteller habe ihm mal gesagt: "Ein Computerchip, wie er bei uns auf den Ventilatoren sitzt, hat 20 Stationen auf der Weltkarte durchlaufen, bis er verbaut wird."
Zwar gibt es auch deutsche Halbleiterhersteller, die deutsche Firmen beliefern. Zu den größten zählen Infineon und der Automobilzulieferer Bosch. Auch EBM Papst versucht, Halbleiter lokal in der Nähe seiner Fabriken zu kaufen. "Das Problem", sagt Unternehmenschef Geißdörfer, "sind die Lieferketten der Vorprodukte: Unsere Lieferanten haben Lieferketten, die möglicherweise durch Taiwan gehen."
Die wirtschaftlichen Folgen wären drastisch
Schon jetzt macht der schwelende Konflikt zwischen China und Taiwan wirtschaftliche Probleme: In einer Umfrage der Außenhandelskammer hatte 2023 ein Drittel der deutschen Unternehmen vor Ort Probleme in ihren Lieferketten aufgrund der Spannungen in der Taiwan-Straße. Die genauen wirtschaftlichen Folgen, sollte Taiwan aufgrund eines chinesischen Angriffs oder einer Blockade als Lieferant ausfallen, sind schwer absehbar. Doch dass sie drastisch wären, da sind sich Experten einig. Infineon-Chef Jochen Hanebeck nannte eine Eskalation zwischen China und Taiwan einst "den größtmöglichen Unfall".
Einen Vorgeschmack darauf gab es erst kürzlich, als im Zuge der Corona-Pandemie, des Taiwan-Konflikts und des Ukraine-Kriegs weltweit die Chips knapp wurden. Vor allem die Automobilbranche war damals betroffen. Auch bei deutschen Herstellern ging die Produktion zurück, die Absatzzahlen brachen ein. Die Beratungsfirma Alix Partners schätzt, dass der Chipmangel die weltweite Autobranche 2021 179 Milliarden Euro kostete.
Der Wettlauf hat begonnen
Der weltweite Wettlauf um Chips hat längst begonnen. Deutschland hat mit Milliardensubventionen zwei große Chip-Fabriken auf den Weg gebracht: In Magdeburg baut der US-Computerhersteller Intel ein Werk. In Dresden entsteht eine Fabrik des taiwanesischen Branchenführers TSMC, auch Bosch und Infineon sind daran beteiligt. Doch es wird noch Jahre dauern, bis diese Fabriken ihre Produktion starten können.
Und selbst dann wird Deutschland die Chips nicht autark produzieren können. Das liegt auch daran, dass viele Chips noch immer in Asien getestet und verpackt werden. Hoffnungen deutscher Unternehmen ruhen auch auf den USA. Dort investiert die Regierung von Präsident Joe Biden ebenfalls fleißig in die Halbleiter-Infrastruktur.
Eine weitere Möglichkeit, die von Experten und Unternehmern immer wieder genannt wird, ist der Ausbau von Lagerkapazitäten. Das hat auch Ventilatorenhersteller EBM Papst getan. "Aber wenn eine Lieferkette nachhaltig gestört wird, kann man vielleicht ein halbes Jahr oder ein Jahr von den Beständen leben", sagt Geschäftsführer Geißdörfer. "Dann muss es irgendwie eine Lösung geben."
Hält Taiwans Schutzschild?
Der Handlungsspielraum deutscher Unternehmen bleibt also stark begrenzt. Und an Taiwan, da sind sich Branchenexperten einig, führt in naher Zukunft kein Weg vorbei. Der deutschen Wirtschaft bleibt derzeit nicht viel mehr übrig als zu hoffen, dass sich der Konflikt mit China nicht weiter verschärft. Bisher galt Taiwans Vormachtstellung in der Halbleiterbranche als Schutzschild der Insel: China, so die Hoffnung, könne es sich nicht leisten, Taiwan anzugreifen, da es selbst auf taiwanesische Chips angewiesen ist.
Doch es gibt keine Garantie, dass das so bleibt. China tut selbst alles dafür, um eigene Halbleiterkapazitäten aufzubauen. Im vergangenen Jahr hat die kommunistische Regierung dazu ein 40-Milliarden-Paket geschnürt. Doch nicht nur das: China hat weltweit nahezu ein Monopol auf die Gewinnung von Elementen wie Silizium oder Lithium. Also die Metalle, aus denen Halbleiter gemacht werden. Deshalb, sagt Andreas Jahn vom Mittelstandsverband, "müssen wir uns besser mit Ländern mit großem Lithium-Vorkommen stellen, wie der Demokratischen Republik Kongo oder Bolivien."
Während die deutsche Wirtschaft mit Bangen auf Taiwan blickt, lauert auf der anderen Seite des Pazifiks eine weitere Gefahr auf sie: die Präsidentschaftswahl in den USA, Taiwans wichtigstem Verbündeten. Sollte Donald Trump, der China zu seinem persönlichen Feind erklärt hat, ins Weiße Haus zurückkehren, rechnen viele Beobachter mit einer weiteren Eskalation. Auch hier bleibt den Unternehmen in Deutschland nicht viel mehr, als auf das Beste zu hoffen.
- Interviews mit Andreas Jahn und Klaus Geißdörfer
- Schriftliche Antwort der deutschen Außenhandelskammer in Taiwan
- Eigene Recherche