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Ukraine-Krieg: So verzweifelt sucht Russland nach Soldaten


Kolumne "Russendisko"
So verzweifelt sucht Russland nach Soldaten

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

26.01.2025 - 12:22 UhrLesedauer: 4 Min.
Wladimir Putin: Russlands Präsident muss die gewaltigen Verluste im Krieg ausgleichen, meint Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Russlands Präsident muss die gewaltigen Verluste im Krieg ausgleichen, meint Wladimir Kaminer. (Quelle: Kremlin Pool(AP/dpa)
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Russlands Krieg verschlingt Soldaten, neue Männer für die Front sind schwer zu finden. Das russische Regime verfällt auf immer neue Methoden, meint Wladimir Kaminer.

Während die Politik sich bemüht, den Frieden wiederherzustellen, entwickelt der Krieg eine Eigendynamik, die Dynamik des Todes. Der russische Staat betreibt eine Nekropolitik, er entscheidet, wer schnell stirbt und wer vorläufig leben soll. Dieser Krieg war eine Überraschung auch für den Kreml. Geplant war die Einnahme Kiews in drei Tagen. Nun ist der russische Krieg gegen die Ukraine fast drei Jahre alt und steckt in einer Sackgasse. Es geht nicht recht vorwärts und nicht rückwärts.

Sollte Trump auch erfolgreich sein, wird die eingefrorene Frontlinie kein Ende der Kriegshandlungen mit sich bringen. Die Wahrheit der Generäle auf beiden Seiten lautet: Die einzige Möglichkeit, den Krieg aus der Sackgasse zu bekommen, ist eine radikale Eskalation. Dafür fehlen aber auf beiden Seiten die Soldaten. Während die ukrainische Regierung sich vergeblich bemüht, ihre "europäischen Partner" aufs Schlachtfeld zu ziehen, suchen die russischen Behörden nach immer neuen Möglichkeiten, diesen Krieg der Bevölkerung irgendwie schmackhaft zu machen.

(Quelle: Frank May)

Zur Person

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein neuestes Buch "Mahlzeit! Geschichten von Europas Tischen" erschien am 28. August 2024.

Russland zeigte sich oft als größtes Experimentierfeld der Geschichte, nun werden vor den Augen der erstaunten Welt neue Anwerbungsmethoden ausprobiert, die die Welt so noch nicht unbedingt kannte. Angefangen hat die Mobilisierung – fast schon banal – mit einem patriotischen Weckruf, der aufdringlich durch alle Medien verbreitet wurde: Die Souveränität der Heimat sei in Gefahr, die Welt möchte Mütterchen Russland zerstören, die Bevölkerung solle ihre eigenen Interessen den Interessen des Landes hintanstellen und in den Krieg ziehen. Die Tatsache, dass der Kampf um die eigene Souveränität auf dem Territorium eines Nachbarlandes stattfindet, wird dabei schlicht ausgeblendet.

Die Zahl der Patrioten reichte dann jedoch nicht einmal für zwei Brigaden, und diese wurden schnell aufgerieben. Der zweite propagandistische Einsatz erfolgte sofort, vom Präsidenten persönlich orchestriert: Er und seine Minister redeten plötzlich über genderneutrale Toiletten. Auf der Suche nach dem wunden Punkt der Bevölkerung brachte der Präsident die Rolle der Geschlechter ins Spiel. Während die liberale westliche Welt sich immer weiter "verschwulen" würde und auf genderneutralen Toiletten sitze, sei Russland das letzte Bollwerk wahrer Männlichkeit.

Selbst Geld zieht nicht immer

Ein Land, in dem die Männer noch Männer seien, so lautete die Botschaft. Die Städte und Dörfer, überall, wo eine freie Fläche war, wurden mit riesigen Plakatwänden bedeckt. Auf diesen Plakaten forderten junge, gut gekleidete Männer mit Stahl im Blick die Passanten auf: "Sei ein Mann! Geh an die Front." Erstaunlicherweise hat diese Aktion am wenigsten gebracht. Die Bevölkerung fand zwar genderneutrale Toiletten widerwärtig, aber nicht widerwärtig genug, um im Kampf gegen diese Toiletten zu sterben. Die Bevölkerung wollte unter diesen Umständen lieber kein Mann sein.

Danach kamen die Knastinsassen ins Spiel, sie wurden mit der Möglichkeit schneller Freiheit geködert und konnten ein Jahr lang die Flamme des Krieges in Gang halten und die Frontlinie stärken. Auch sie wurden aufgebraucht. Die Suche ging weiter. Anstelle der Freiheit traten nun die großen Gagen in Kraft: Das Geld für einen Kontrakt mit der Armee war mehr als das, als Menschen in wirtschaftsschwachen Regionen zu Friedenszeiten in ihrem ganzen Leben verdienen.

Es gibt in Russland zwar viele arme Leute, aber anscheinend nicht genug für diesen Krieg. Außerdem ist in den armen Gegenden Russlands die demografische Situation nicht zugunsten der Männer ausgelegt, der Bedarf der Armee konnte deswegen nicht gedeckt werden. Als Nächstes kamen die mit Hypotheken Belasteten an die Front, die ihre Schulden nicht zurückzahlen konnten. Für eine Unterschrift übernahm der Staat dann ihre Hypotheken in Höhe von bis zu elf Millionen Rubel, eine Menge Geld. Auch die Unterhaltszahlungsverweigerer mussten schließlich ebenfalls in den Kampf ziehen.

Eine weitere große Aktion startete dann letztes Jahr: "Bring deinen Freund zum Einberufungspunkt." Sprich: Jeder, der einen Soldaten für die Front anwirbt, bekommt eine fünfstellige Prämie. Leute, die juristisch angeklagt sind, aber noch nicht rechtskräftig verurteiltet, konnten gleichfalls sofort eine saubere Weste bekommen, wenn sie den Kontrakt mit der Armee unterschrieben. Und nun passierte Folgendes: Plötzlich verzeichnete die russische Kriminalstatistik einen riesigen Anstieg von Fällen häuslicher Gewalt.

Putins nächste Volte?

Die Soziologen und Kriminologen rieben sich die Augen. Häusliche Gewalt? Sie war in Russland nie als wirkliches Verbrechen angesehen worden. Die Polizei nahm die Anzeigen von geschlagenen Frauen sehr ungern auf. "Die Liebenden schlagen sich nur der Liebe wegen", lautet ein altes russisches Sprichwort. Die Ordnungshüter wussten, dass Frauen, die ihre Männer wegen häuslicher Gewalt anzeigen, meistens schon am nächsten Tag ihre Anzeige zurückziehen, woraufhin die ganze Polizeiarbeit umsonst war.

Also war die gängige Antwort auf Frauenanrufe in der Polizeistation "Rufen Sie uns noch mal an, wenn er sie totschlägt". Erst vor Kurzem hat das russische Parlament das Strafmaß für häusliche Gewalt heruntergesetzt. Und jetzt auf einmal ein so großer Anstieg? Wie war das zu erklären?

Na, Sie ahnen es schon, meine lieben Leserinnen und Leser. Dahinter steckt eine gewiefte Maßnahme, um neue Soldaten "anzuwerben". Die Polizei reagiert plötzlich auf jede Anzeige und kommt sofort: "Der Mann hat Sie geschlagen? Sie haben ein blaues Auge? Schwere Körperverletzung, dafür muss er bis zu zwölf Jahre im Gefängnis schmoren." Aber: "Es sei denn, er unterschreibt für die Front." Und alle sind im Trockenen: Der Mann, quasi zu Hause erwischt, unterschreibt, die Frau ist den Schläger los und der Polizist kassiert die Belohnung. Ein guter Zusatzverdienst zum Gehalt. Der Staat kratzt am Boden, wer mag als Nächstes dran sein? Die Schwarzfahrer oder diejenigen, die bei Rot über die Ampel fahren?

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