Gefängnisausschreitungen im Iran Wärter gehen mit Tränengas gegen Insassen vor
Nach heftigen Auseinandersetzungen und einem Feuer im Ewin-Gefängnis sterben acht Menschen. Nun werden weitere Details bekannt.
Bei schweren Auseinandersetzungen und einem Feuer im berüchtigten Ewin-Gefängnis in der iranischen Hauptstadt Teheran sind acht Menschen ums Leben gekommen. Dutzende weitere Inhaftierte seien verletzt worden, meldeten die staatliche Nachrichtenagentur Irna am Sonntag und die Nachrichtenagentur AFP am Montag. Die Gefangenen starben Irna zufolge an einer Rauchvergiftung. Zuvor war von vier Toten die Rede gewesen.
CNN berichtet zudem von mindestens 61 Verletzten. Am Samstag waren Inhaftierte und Sicherheitspersonal heftig aneinandergeraten und ein Feuer war ausgebrochen. Nun berichten Augenzeugen CNN zufolge, dass Wärter nach dem Feuer Tränengas eingesetzt haben sollen.
Der preisgekrönte Filmregisseur Jafar Panahi (62), der zu in Ewin inhaftierten Dissidenten gehört, sagte nach Angaben seiner Frau Tahereh Saeedi, dass die Wärter das Gas auf die Gefangenen geschossen hätten. In einem Interview mit Radio Farda – dem iranischen Zweig des von der US-Regierung finanzierten Senders Radio Free Europe/Radio Liberty – sagte Saeedi, ihr Mann habe sie aus dem Gefängnis angerufen. Er habe ihr auch mitgeteilt, dass er und der ebenfalls inhaftierte Filmemacher Mohammad Rasoulof bei guter Gesundheit seien.
Explosionen und Schüsse im Gebäude
In mehreren Videos in den sozialen Medien war am Samstagabend eine große, dunkle Rauchwolke in der Nähe des Gefängnisses zu sehen. Das Feuer wurde eingedämmt, und "der Frieden ist gewahrt", sagte der Gouverneur von Teheran, Mohsen Mansouri, gegenüber Irna und fügte hinzu, dass das Feuer von Gefangenen gelegt worden sei.
Augenzeugen berichteten, dass am Samstagabend zunächst laute Explosionen und auch Schüsse in der Haftanstalt zu hören waren. Demnach soll das Feuer bis Mitternacht gebrannt haben, bis in den frühen Morgen stieg Rauch auf.
Das Gefängnis im Norden Teherans gilt landesweit als der Ort für Misshandlung und Folter von insbesondere politischen Gefangenen. Auch Demonstranten sind dort wegen ihrer Teilnahme an den systemkritischen Protesten der vergangenen vier Wochen inhaftiert, ebenso Doppelstaatler, die neben der iranischen auch eine weitere Staatsbürgerschaft haben. Die USA haben das Gefängnis und seine Leitung im Mai 2018 wegen "ernster Menschenrechtsverletzungen" mit Sanktionen belegt.
Iran bestreitet Zusammenhang mit Protesten
Die staatliche Agentur Irna berichtete am Samstagabend zunächst von einer Auseinandersetzung zwischen "Hooligans und Randalierern" mit den Gefängniswärtern. Das Textillager der Anstalt sei in Brand gesteckt worden, hieß es weiter. Die Lage sei jedoch nach kurzer Zeit wieder unter Kontrolle gebracht worden. Die Feuerwehr habe den Brand inzwischen gelöscht.
Doch der Auslöser für die Geschehnisse in der Nacht blieb zunächst offen. Teherans Staatsanwalt bestritt einen Zusammenhang mit den anhaltenden systemkritischen Protesten, die sich im Land ausgebreitet haben. Nach seiner Darstellung handelte es sich um einen internen Konflikt im Gefängnis zwischen verurteilten Dieben.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erklärte, die deutsche Botschaft sei wegen des Brands in ununterbrochenem Kontakt mit den Behörden. Das Feuer möge gelöscht sein, "unsere Aufmerksamkeit für die Menschen, die dort festgehalten werden, und ihre Menschenrechte darf und wird nicht aufhören", schrieb sie auf Twitter.
Amnesty: Pflicht, das Leben der Gefangenen zu schützen
Die Generalsekretärin von Amnesty International, Agnes Callamard, reagierte auf Twitter auf die Videos in den sozialen Medien und erinnerte die iranischen Behörden an ihre "rechtliche Verpflichtung, das Leben der Gefangenen nach dem Brand zu respektieren und zu schützen".
Rund um das Gefängnis kam es auch in der Nacht zu Staus und systemkritischen Protesten, bei denen immer wieder Slogans wie "Tod dem Diktator" zu hören waren. Polizei und Sicherheitskräfte riegelten das Gebiet ab und setzten Tränengas ein. Hupkonzerte wurden in der Gegend vernommen, wie die reformorientierte iranische Tageszeitung "Shargh" berichte. Das dauerhafte Hupen ist dabei ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen, die landesweit demonstrieren.
EU: weitere Sanktionen gegen Iran
Unterdessen will die EU wegen des gewaltsamen Vorgehens gegen Demonstranten im Iran laut einem Medienbericht am Montag 16 regierungsnahe Einzelpersonen und Organisationen auf eine Sanktionsliste setzen.
Dabei gehe es um Vertreter und Zweige der Sicherheitskräfte, die seit Wochen hart gegen die Proteste vorgehen, berichtete das Nachrichtenportal "The Pioneer" am Montag. Darunter ist demnach unter anderem die iranische Sittenpolizei.
Die EU-Außenminister kommen am Montag in Luxemburg zu Beratungen zusammen. Dabei soll es neben der militärischen Ausbildungsmission für die Ukraine auch um verschärfte Sanktionen gegen den Iran gehen.
Raisi will Gesetze überprüfen
Irans Präsident Ebrahim Raisi hat derweil angekündigt, die geltenden Gesetze zu prüfen. "Bei der Überprüfung der kulturellen Strukturen ist es unbedingt erforderlich, die Gesetze zu überprüfen, zu überarbeiten, zu aktualisieren und gegebenenfalls auch zu revidieren", sagte Raisi am Samstag. Dabei sei auch der Dialog notwendig, um bestimmte Themen kontinuierlich zu bewerten und "Zweifel" innerhalb der Gesellschaft auszuräumen. "Wir sollten auch sehen, ob wir die gesetzten Ziele erreicht haben und wenn nicht, wo die Probleme liegen", sagte er laut Nachrichtenagentur Irna.
So sollten laut Raisi auch der Status und die Möglichkeiten von Frauen mehr in den Fokus rücken. Welche Gesetze er konkret meinte und ob seine Forderung etwa den Kopftuchzwang betrifft, sagte Raisi nicht.
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Proteste auf der Straße und im Netz
Beobachter sind der Auffassung, dass Raisi nun auf Dialog setzt, da die gewaltsamen und teilweise brutalen Einsätze der Polizei- und Sicherheitskräfte die Proteste nicht stoppen konnten.
Weil die Proteste nicht nur auf der Straße, sondern auch digital geführt werden, wurde auch das Internet massiv eingeschränkt und einige Webseiten gesperrt. Laut iranischer Handelskammer bedeutet jede Stunde Internetsperre einen Verlust von über 1,5 Millionen Euro für die zahlreichen Online-Unternehmer im Land.
Seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini letzten Monat demonstrieren landesweit Tausende Menschen gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie den Kopftuchzwang. Die junge Frau wurde wegen ihres angeblich "unislamischen Outfits" von der Sittenpolizei festgenommen. Was genau mit Amini danach geschah, ist unklar. Die Frau war ins Koma gefallen und am 16. September in einem Krankenhaus gestorben. Kritiker werfen der Moralpolizei vor, Gewalt angewendet zu haben. Diese weist die Vorwürfe entschieden zurück.
- Nachrichtenagenturen AFP und dpa
- cnn.com: Four prisoners killed, 61 injured in fire at Iran’s notoriously brutal Evin prison, state media reports (englisch)