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Türkei blockiert Nato-Beitritt von Finnland und Schweden: Erdogan macht Ernst


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Beitritt von Schweden und Finnland blockiert
Erpressung der Nato: Jetzt macht Erdoğan Ernst


Aktualisiert am 17.05.2022Lesedauer: 6 Min.
Recep Tayyip Erdoğan: Der türkische Präsident droht bei der Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato mit seinem Veto.Vergrößern des Bildes
Recep Tayyip Erdoğan: Der türkische Präsident droht bei der Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato mit seinem Veto. (Quelle: imago-images-bilder)
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Die Türkei lehnt den Nato-Beitritt von Schweden und Finnland ab. Mit der schnellen Aufnahme wollte das Militärbündnis Geschlossenheit gegenüber Russland demonstrieren. Doch Präsident Erdoğan geht auf die Barrikaden.

Eigentlich sollte alles ganz schnell gehen, immerhin tobt aktuell ein russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine. Deshalb hatten viele Nato-Mitglieder mit einer schnellen Aufnahme von Schweden und Finnland in das Bündnis gerechnet – die skandinavischen Länder sind bereits Mitglieder in der Europäischen Union und würden die Nato militärisch stärken. Doch nun droht die "Hängepartie", vor der die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock gewarnt hatte.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan lehnt die Nato-Norderweiterung ab und stellte wiederholt klar, dass es ihm mit der Blockade ernst ist. Für ihre Zustimmung fordert die Türkei Zugeständnisse – vor allem von Finnland und Schweden. Mit Blick auf die türkische Präsidentschaftswahl 2023 wird Erdoğan auf die Bremse treten, bis er einen außenpolitischen Erfolg errungen hat. Das hat er bitter nötig, denn durch die wirtschaftlichen Probleme der Türkei ist auch der Präsident immer noch ziemlich angeschlagen.

Die anderen Nato-Partner scheinen von der türkischen Blockade überrascht zu sein. Dem Militärbündnis wird durch die nun drohende diplomatische Krise bewusst, dass die Probleme mit der Türkei in den vergangenen Jahren beschwichtigt, aber nicht gelöst wurden.

Was sind Erdoğans Probleme?

Der Konflikt zwischen der Türkei und dem Rest der Nato schwelt schon seit vielen Jahren, die erneute Eskalation im Zuge der geplanten Nato-Norderweiterung kommt eigentlich wenig überraschend.

Dabei kommen vier zentrale Probleme zusammen:

1. Der Krieg gegen kurdische Milizen

Seit über 40 Jahren kämpft die türkische Armee gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Der Konflikt kostete in dieser Zeit über 40.000 Menschenleben und die PKK verübte viele Anschläge in der Türkei. Deshalb wird sie auch in Deutschland als Terrororganisation eingestuft.

Immer wieder gab es Friedensverhandlungen. Als Erdoğans AKP im Jahr 2015 die absolute Mehrheit verlor, weil die prokurdische HDP erstarkte, ließ der türkische Präsident den Konflikt mit der PKK jedoch erneut eskalieren. Ein wenig erfolgreicher Versuch, das innenpolitische Kräfteverhältnis in der Türkei wieder zu seinen Gunsten zu verändern – die HDP zog trotzdem ins türkische Parlament ein.

Mittlerweile hat die türkische Armee die militärische Auseinandersetzung zwar größtenteils gewonnen, die PKK hat sich aus der Türkei zurückgezogen. Doch Erdoğan wollte auch autonome kurdische Gebiete und bewaffnete Milizen an der türkischen Grenze verhindern und griff deshalb die kurdische Miliz YPG in Syrien und die PKK im Nordirak an. Die Kämpfe toben bis heute.

Der türkische Präsident wirft vielen westlichen Staaten vor, dass sie nicht gegen Organisationen vorgehen, die die PKK politisch, logistisch oder finanziell unterstützen. Dazu zählt auch Finnland, und besonders Schweden nennt er "Brutstätte" für terroristische Organisationen.

2. Politische Verfolgungen nach dem Putschversuch 2016

Viele Türkinnen und Türken teilen die Ansicht der türkischen Führung, dass der Westen das Land im Kampf gegen die PKK im Stich lässt. Aber es ist nicht nur das westliche Verhältnis zur PKK, das Erdoğan ein Dorn im Auge ist.

Für den Putschversuch 2016 macht der türkische Präsident den Prediger Fetulah Gülen verantwortlich. Wirkliche Beweise dafür veröffentlichte die türkische Führung bisher nicht, trotzdem gab es in den vergangenen fünf Jahren in der Türkei immer wieder politische Säuberungsaktionen unter dem Denkmantel der Aufklärung des Putschversuchs. Erdoğan nutzte die Chance, um politische Gegner aus dem Verkehr zu ziehen, viele Unschuldige verloren ihren Job und saßen teilweise viele Monate in Untersuchungshaft.

Seither unterstellt die türkische Führung den EU-Staaten, Anhänger der Gülen-Bewegung zu decken und fordert ihre Auslieferung. Dafür braucht es allerdings nicht nur Namenslisten, sondern auch Beweise. Die legte die Türkei bisher nicht vor.

3. Sicherheitspolitische Konflikte

Es sind Konflikte, die auch in der Europäischen Union große Bauchschmerzen auslösen – immerhin geht Erdoğan auch massiv gegen die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei vor. Aber die Liste der Auseinandersetzungen, an denen sich die Türkei und der Rest der Nato in den vergangenen Jahren abgearbeitet haben, ist noch länger.

Erdoğan griff 2018 die kurdische Miliz YPG Syrien an, die ein Verbündeter des Westens im Kampf gegen die Terrormiliz IS ist. Plötzlich rollten türkische Leopard-2-Panzer aus Deutschland nach Syrien, das war ein Schock für den Rest der Nato. Darüber hinaus bewaffnete die türkische Führung verdeckt islamistische Gruppen in Nordsyrien und warf Journalisten wie Can Dündar ins Gefängnis, die darüber berichteten. Danach kaufte die Türkei das Flugabwehrsystem S-400 von Russland, unterstützte Aserbaidschan im Krieg in Berg Karabach und ließ den Konflikt mit Griechenland im Mittelmeer eskalieren.

Als Reaktion auf die militärische Intervention in Syrien sanktionierten viele westliche Staaten – auch Schweden – militärische Exporte in der Türkei. Diese Sanktionen gelten bis heute.

4. Erdoğan bangt um seine Wiederwahl

Aber auch innenpolitisch ist der türkische Präsident schwer angeschlagen. Die türkische Lira ist noch immer im Sinkflug und die Türkei leidet unter einer Mega-Inflation, die sich im Mai bei knapp 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat befand. All das ist auch das Resultat der Fehler des türkischen Präsidenten und seines Einflusses auf die Zinspolitik der türkischen Zentralbank.

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Die Folgen wiegen schwer. Viele Türkinnen und Türken können sich ihre Wohnungen und Lebensmittel nicht mehr leisten oder ihre Kredite nicht mehr bedienen. Das Land leidet außerdem darunter, dass viele Güter importiert werden müssen und diese mittlerweile für einen Großteil der Bevölkerung unbezahlbar sind.

Die aktuelle wirtschaftliche Lage ist weiterhin katastrophal. Das hat natürlich Auswirkungen auf die aktuellen Umfragen: Im Mai schrumpfte der durchschnittliche Abstand zwischen der AKP mit 30,5 Prozent zur CHP mit 29,5 Prozent weiter. Das Oppositionsbündnis liegt in vielen Umfragen momentan sogar in Führung.

Im kommenden Jahr sind Präsidentschaftswahlen in der Türkei und Erdoğan muss um seine Macht fürchten.

Die Zustimmung der Türkei könnte teuer werden

Der türkische Präsident braucht also einen Befreiungsschlag und er spielt innen- wie außenpolitisch ein Machtspiel. In dem aktuellen Nato-Konflikt um die Norderweiterung sieht er wahrscheinlich auch eine Chance, um für sich im Wahlkampf einen Erfolg zu erzielen.

Was fordert die Türkei eigentlich?

  • Die türkische Regierung fordert von den Nato-Partnern allgemein, dass sie gegen die PKK in Europa vorgehen. Erdoğan wirft seinen Verbündeten vor, dass sie Unterstützer der kurdischen Arbeiterpartei in ihren Länder dulden und damit die PKK legitimieren.
  • Zum Beispiel sieht Schweden einige PKK-nahe Gruppierungen nicht als Terrororganisationen, sondern als legitime Thinktanks. Hier fordert Erdoğan ein Umdenken.
  • Erdoğan möchte ein Ende der Sanktionen für Rüstungsimporte aus Europa. Das dürfte für die Türkei nicht verhandelbar sein.
  • Nach Angaben von Diplomaten könnten auch Waffengeschäfte eine Rolle spielen. So will die Regierung in Ankara in den USA F-16-Kampfjets kaufen – in Washington war ein möglicher Deal zuletzt aber politisch umstritten.

In jedem Fall wird es für Schweden und Finnland schwierig, diese Forderungen zu erfüllen.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Natürlich weiß Erdoğan außerdem, dass es in der türkischen Bevölkerung gut ankommt, wenn er sein Land gegenüber den Nato-Partnern mit möglichst breiten Schultern vertritt. Man könne nicht einem Beitritt von Ländern zustimmen, die Sanktionen gegen die Türkei verhängen, drohte er am Montag in Ankara. Mit Blick auf den geplanten Besuch einer finnischen und schwedischen Delegation in der Türkei sagte er, sie sollten sich erst gar nicht bemühen.

Wie Schweden und Finnland ein Veto der Türkei aber verhindern können, ist völlig unklar. Bei der Frage, ob Organisationen in ihren Ländern strafrechtlich verfolgt oder verboten werden können, haben beide Länder ein deutlich liberaleres Verständnis als die Türkei. Es wird nicht einfach sein, bei diesen Problemen einen Kompromiss zu finden.

Erdoğans Sonderweg

Doch der gegenwärtige Konflikt zeigt auch, dass viele Nato-Partner die Türkei noch immer nicht verstehen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ging zunächst am Montag davon aus, dass es kein Veto der Türkei geben wird. Wenige Stunden später stellte er dann klar: "Die Türkei ist ein geschätzter Bündnispartner und alle Sicherheitsbedenken müssen angegangen werden."

Auch der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu meinte, dass die Nato in diesem "historischen Augenblick" zusammenstehen müsse und eigentlich kann sich das Militärbündnis einen längeren Konflikt angesichts der russischen Aggression in der Ukraine nicht leisten. Deswegen wird es wahrscheinlich zu einem Kompromiss kommen – die Fragen sind lediglich, wie dieser aussehen würde und wie lange die Verhandlungen andauern werden.

Erdoğan geht bei der Nato-Norderweiterung einen Sonderweg, aber das ist in der Ukrainekrise kein Einzelfall. Die Türkei möchte in dem Konflikt zwischen Nato und Russland eher als Vermittler auftreten, nicht als Teil eines westlichen Blocks. Einerseits profitiert die Nato von der geostrategischen Lage der Türkei und der türkische Präsident steht auch zur türkischen Nato-Mitgliederschaft, weil Erdoğan seine eigenen Machtinteressen durch Russland im Kaukasus, in Syrien und im Schwarzen Meer bedroht sieht. Andererseits sieht der türkische Präsident seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin auch als wichtigen Partner bei der Versorgung mit Rohstoffen und im militärischen Bereich.

Das ist ein schwieriger Spagat, weil die Türkei sich von der Nato und von Russland abhängig macht. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine zwingt die Weltgemeinschaft allerdings immer mehr dazu, Farbe zu bekennen. Der gegenwärtige Konflikt um Schweden und Finnland könnte Erdoğan auch dabei helfen, den Druck aus der Nato auf die Türkei in dieser Frage abzuschwächen. Doch wenn Erdoğan trotz des Leids der ukrainischen Bevölkerung an der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland festhält, wird die politische Rechnung international teuer werden – und die Nato hätte einen weiteren Konflikt, der ungelöst ist.

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