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Zum journalistischen Leitbild von t-online.G20-Gipfel in Rom Pass gut auf, Olaf
Angela Merkel bringt ihren wahrscheinlichen Nachfolger mit zum G20-Gipfel. Obwohl er noch nicht Kanzler ist, bekommt Olaf Scholz in Rom eine Menge Aufmerksamkeit. Eine überraschende Einigung spielt ihm in die Karten.
Angela Merkel hat in Rom einen Schatten. Die Kanzlerin hat bei ihrem letzten G20-Gipfel im Amt ihren voraussichtlichen Nachfolger Olaf Scholz eingeladen, sie zu begleiten. Der Finanzminister weicht Merkel nicht von der Seite, sitzt bei den Gesprächen in der großen Runde direkt hinter ihr und ist auch bei allen Gesprächen Merkels mit anderen Staats- und Regierungschefs dabei.
Damit will die Bundesregierung den ausländischen Partnern vor allem eines demonstrieren: Nach 16 Jahren mit Merkel als Kanzlerin geht nun in der Bundesrepublik eine Ära zu Ende, aber die deutsche Außenpolitik bleibt in der Spur. Oder anders: Deutschland verspricht der Welt Kontinuität.
Selbstverständlich ist die Reisegemeinschaft von Scholz und Merkel dagegen nicht. Immerhin sind beide in unterschiedlichen Parteien, immerhin wird Merkels CDU nun wahrscheinlich in der Opposition sitzen – eine Opposition gegen Scholz und die SPD. Doch mit der Staffelstabübergabe in Rom zeigt die Kanzlerin, dass ihr das Land wichtiger ist als die Partei – und Scholz bekommt seine Momente im internationalen Rampenlicht.
Großes Lob für Scholz
So manche Einigung auf diesem G20-Gipfel ist eine faustdicke Überraschung – die Zolleinigung zwischen den USA und Deutschland oder die Einführung der internationalen Mindeststeuer für Unternehmen etwa hätte lange niemand für möglich gehalten.
Sollten die Koalitionsverhandlungen in Deutschland erfolgreich sein und Scholz Kanzler werden, hat er beim G20-Gipfel schon mal einen erfolgreichen Start auf der großen Bühne hingelegt, obwohl er noch nicht im Amt ist. Das sorgt international für Beachtung und lässt vor allem Menschen in Deutschland und in der Europäischen Union hoffen, dass das Machtvakuum, das Merkel hinterlässt, doch nicht so groß sein wird, wie von vielen befürchtet.
In der politischen Blase ist Scholz natürlich bekannt, immerhin war er schon in der letzten Bundesregierung Finanzminister. Doch der Bevölkerung vieler Länder ist sein Name weitgehend nicht geläufig. In Rom erhält er als Begleitung nun auch in der internationalen Presse Beachtung. "Sie sind wie Bonnie und Clyde, nur langweiliger", witzelte ein britischer Journalist mit einem italienischen Kollegen. Zuvor war Scholz, der auch bei einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron an Merkels Seite war, auf den großen Bildschirmen im internationalen Pressecenter zu sehen.
Aber der Samstag brachte auch große Momente für Scholz. Die globale Mindestbesteuerung für Unternehmen ist ein Baby des deutschen Finanzministers – dass die G20-Staaten diesem Vorhaben nun zugestimmt haben, ist ein Meilenstein in der internationalen Wirtschaftspolitik. Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi sprach von einem geschichtsträchtigen Ereignis, auch US-Präsident Joe Biden bedankte sich bei Scholz für seinen Einsatz. Der G20-Samstag hatte für den SPD-Politiker sehr viel Licht und wenig Schatten.
Biden betreibt Schadensbegrenzung
Merkel und Scholz spielt in Rom aber vor allem eines in die Karten: US-Präsident Biden ist auf seiner Europareise um Schadensbegrenzung bemüht, möchte eine neue Eiszeit zwischen den Vereinigten Staaten und der EU verhindern. Zuletzt hatte der geheim ausgehandelte U-Boot-Deal mit Australien und das Pazifikbündnis der USA mit Australien und Großbritannien ein Zerwürfnis ausgelöst – vor allem mit Frankreich. Macron war wütend, während der UN-Generalversammlung in New York Ende September war die Stimmung extrem angespannt, Frankreich ließ ein Treffen mit den USA platzen.
In Rom fanden diese Gespräche zwischen Frankreich, Deutschland, Großbritannien und den USA jetzt statt. Die Ergebnisse waren überraschend: Die EU und die USA haben sich auf die vorläufige Beilegung ihres jahrelangen Streits um amerikanische Sonderzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte verständigt. US-Angaben zufolge sieht die Grundsatzeinigung vor, dass die EU-Staaten künftig bestimmte Mengen der Werkstoffe zollfrei in die Vereinigten Staaten importieren dürfen. Ein Durchbruch, mit dem eigentlich niemand gerechnet hatte.
Auch beim Atomdeal mit Iran bekräftigte Biden erneut, dass die USA bereit seien, in das Abkommen zurückzukehren. Das Atomabkommen bleibt in den USA hoch umstritten, aber die US-Regierung weiß auch, dass sich die EU – und vor allem Deutschland und Frankreich – für eine Wiederbelebung einsetzen. Auch die aktuelle US-Position ist als Entgegenkommen von Biden zu werten.
Aufräumen mit Trumps Politik
Doch selbstlos sind die Vorstöße des US-Präsidenten nicht. Bei der Abschaffung der Zölle stellen die USA sicher, dass aus der EU kein Stahl eingeführt werden könne, der teils aus China stamme. Biden verpasst damit vor allem Peking einen Schlag und fordert die Europäer auf, sich seiner harten Linie gegenüber der Volksrepublik anzuschließen.
Der US-Präsident nutzte den Gipfelsamstag also, um weiter mit der Politik seines Vorgängers Donald Trump aufzuräumen. Dieser hatte den Handelsstreit mit der EU vom Zaun gebrochen und das Atomabkommen mit Iran aufgekündigt. Biden nutzt es nun auch als innenpolitisches Signal, indem er Trump seine außenpolitischen Versäumnisse um die Ohren haut.
Trump hatte außerdem beschlossen, dass die USA aus dem Pariser Klimaabkommen austreten – das hatte Biden gleich nach seiner Amtsübergabe rückgängig gemacht. Trotzdem nehmen die internationalen Bemühungen im Kampf gegen die Klimakrise kaum Fahrt auf, darüber wollen die G20-Staaten am Sonntag beraten.
Scheitern beim Klimaschutz?
Die Lage ist schon jetzt ernst – die Bemühungen um ein starkes Signal des G20-Gipfels vor dem Weltklimatreffen in Glasgow drohen zu scheitern. Die größten Industriestaaten können sich in Rom offenbar nicht auf konkrete Ziele zum Klimaschutz einigen. Das geht aus einem jüngsten Entwurf des Abschlusskommuniqués hervor. Ursprünglich beabsichtigte Zielvorgaben und konkrete Zusagen zum Kampf gegen die gefährliche Erderwärmung aus früheren Versionen wurden darin wieder gestrichen.
In dem Entwurf für das Abschlusskommuniqué des G20-Gipfels gab es nicht mal mehr eine Einigung auf "sofortiges Handeln", wie es in einem früheren Entwurf noch geheißen hatte. Beim Ziel der Kohlendioxidneutralität gab es auch keine Fortschritte. War ursprünglich 2050 als Zieldatum angestrebt worden, ist jetzt allgemeiner von "Mitte des Jahrhunderts" die Rede.
Das geschah offensichtlich auch aus Rücksicht auf China. Der größte Produzent von Kohlendioxid hatte sich bisher nur bis 2060 dazu verpflichtet. Ein Entgegenkommen Pekings wird schwer zu erreichen sein, vor allem nach dem Zoll-Deal zwischen den USA und der EU.
Schwierige Treffen mit Erdoğan
Neben dem Kampf gegen die Klimakrise stehen am Sonntag die Konflikte mit Recep Tayyip Erdoğan im Fokus. Wenn Biden auf den türkischen Präsidenten trifft, soll es um die Lage in den Krisenländern Libyen und Syrien, aber auch um den umstrittenen Kauf des russischen Raketenabwehrsystems S-400 durch die Türkei gehen. Die USA hatten den Nato-Partner deswegen von einem wichtigen Rüstungsvorhaben, der Entwicklung des Kampfflugzeugs F-35, ausgeschlossen.
Auch das deutsche Duo – Merkel und Scholz – wird am letzten Gipfeltag mit Erdoğan sprechen. In dem Gespräch dürfte es vor allem um den diplomatischen Eklat um den seit vier Jahren inhaftierten Unternehmer und Menschenrechtler Osman Kavala gehen. Die türkische Regierung hatte den Botschaftern Deutschlands, der USA und acht weiterer westlicher Länder Einmischung vorgeworfen und ihnen mit Ausweisung gedroht. Eine von Erdoğan als Einlenken gewertete Erklärung einzelner Botschafter verhinderte den Eklat noch.
Nach einem vergleichsweise konfliktarmen Samstag werden am zweiten Gipfeltag größere Probleme erwartet. In der Klimapolitik werden die G20-Staaten wahrscheinlich viele Aktivisten und Experten enttäuschen. Die Verhandlungen mit Erdoğan, der sich außenpolitische Konflikte sucht, um von der eigenen Umfragemisere und der Wirtschaftskrise in der Türkei abzulenken, werden schwierig.
Scholz wird gut hinhören. Wenn er zum Kanzler gewählt wird, muss er sich bald alleine mit diesen Problemen herumschlagen. Beim nächsten G20-Gipfel im kommenden Jahr wird aus dem Duett wohl ein Solo – dann steht Scholz nicht mehr in Merkels Schatten.
- Beobachtungen vom G20-Gipfel in Rom
- Eigene Analyse
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa