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Wir sind jung und ihr seid alt: Ugandas Zukunft entscheidet sich jetzt


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Geburtenreichstes Land der Welt
Warum sich Uganda eine goldene Zukunft verspricht

Von chrismon-Chefredakteurin Ursula Ott

Aktualisiert am 20.07.2019Lesedauer: 11 Min.
Eine Latrine auf einem Schulgelände: Auf dem Weg auf die Toilette müssen Mädchen und Frauen in Uganda oft Angst haben, vergewaltigt zu werden. Diese ist so gebaut, dass sie vom Schulgebäude aus einsehbar ist – zur Sicherheit.Vergrößern des Bildes
Eine Latrine auf einem Schulgelände: Auf dem Weg auf die Toilette müssen Mädchen und Frauen in Uganda oft Angst haben, vergewaltigt zu werden. Diese ist so gebaut, dass sie vom Schulgebäude aus einsehbar ist – zur Sicherheit. (Quelle: Brian Otieno)
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Uganda ist eines der am schnellsten wachsenden Länder der Erde. So viele Kinder und Jugendliche! Ob sie wirklich eine Chance haben, ihr Land nach vorne zu bringen, entscheidet sich jetzt.

Beim Abflug am Flughafen ein letzter Blick in die Tageszeitung. "Anwohner gegen Grundschule" titelt die "Frankfurter Rundschau" im Lokalteil. Im Stadtteil Eschersheim befürchten die Bürger, eine neue Schule bringe zu viel Verkehr und Lärm. Wohlgemerkt, es geht nicht um ein Windrad oder eine Altöldeponie. Die Bürger wollen keine Grundschule im Viertel, keine Kinder mit aufgeschlagenen Knien und klappernden Skateboards. Altes Deutschland. Nur noch 13 Prozent der Deutschen sind unter 15.

Bye-bye, Frankfurt. Hello, Entebbe in Uganda. Bei der Ankunft am Flughafen ein erster Blick in die regionale Tageszeitung. Der "East African" schreibt: "Fasten your seat belts, Leute! Das ostafrikanische Jahrhundert steht vor der Tür". Jeder zweite Bürger in Uganda ist unter 15, es ist eines der am schnellsten wachsenden Länder der Erde. Hello, junges Uganda.

Im Jahr 2100 wird einer von drei Weltbürgern Afrikaner sein. Was Thilo Sarrazin und anderen alten weißen Männern den Angstschweiß auf die Stirn treibt, sorgt in Uganda für Stolz und Selbstbewusstsein. Wir sind jung! Wir sind dynamisch! So viel Power, so viel Innovation – bald werde man die "demografische Dividende" ernten, frohlockt sogar die Regierung.

Ernte. Dividende. Scheußliche Worte. Aber darin steckt eine große Hoffnung: Während in den überalterten Industrienationen bald auf jeden Rentner nur noch ein Erwerbstätiger kommt, steht in den Ländern Afrikas eine junge, leistungsbereite Generation bereit. Fasten your seat belts! In 35 Jahren wird Afrika die "Lebenskraft der Menschheit" verkörpern, verkündet mit viel Pathos der senegalesische Ökonom Felwine Sarr, Berater von Emmanuel Macron. Mit Lebenskraft meint er: Afrika wird den höchsten Anteil von Einwohnern im Alter zwischen 15 und 45 Jahren aufweisen.

Die Fruchtbarkeitsrate in Uganda liegt bei 5,3 Kindern

Aber die Ernte kann nur eingefahren werden – das gibt auch die Regierung in ihren offiziellen Papieren zu –, wenn sich ein paar Dinge ändern. Wenn die Mädchen nicht mit 13 Jahren schwanger die Schule verlassen. Wenn sie nicht mit HIV infiziert werden. Wenn die Abstände zwischen den Geburten größer werden, man nennt das "pregnancy spacing": den Abstand vergrößern zwischen Kind eins, Kind zwei – und bitte maximal Kind vier.

Die Fruchtbarkeitsrate in Uganda liegt bei 5,3 Kindern – das ist selbst für ostafrikanische Verhältnisse eine sehr hohe Zahl. Zu hoch. Darf man das überhaupt sagen als Europäerin, ohne gleich mit Sarrazin zu sympathisieren? Und wie sind die Chancen, dass die Rate sinkt, die „Ernte“ eingefahren wird?

Zum Beispiel Fiona. Sie ist 17, sie spricht bestes Englisch, und als ihr Lehrer fragt, wer einen Vortrag über Stress halten möchte, geht sie mit geraden Schultern und aufrechtem Kopf, die vielen Zöpfchen akkurat geflochten, nach vorne: "Stress entsteht, wenn ich unter Druck bin. Unter Druck gerate ich, wenn ich nicht gut auf meine Gefühle geachtet habe." Heee, woohoo, Beifall in der Klasse.

Fiona sitzt mit 20 anderen Jugendlichen in einem Klassenzimmer in Lubowa, eine knappe Stunde entfernt von der ugandischen Hauptstadt Kampala. Vor dem Fenster toben kleine Affen durch den Park. An der Stellwand hinter Fiona kleben Karteikarten: „Selbstbewusstsein“, "Achtsamkeit", "Gefühle". Ein monströser Holzpenis steht auf dem Tisch, Pillenpackungen und Hormonpflaster liegen daneben. Im Trainingscenter der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) lernen die Jugendlichen alles über Liebe und Sexualität. Und obwohl es bei 29 Grad ganz schön schwül ist, wird zwischen den Theorieeinheiten getanzt. Ententanz. Dada dudu dadada. Die Stimmung ist ausgelassen. Junges, gut gelauntes Uganda.

Alte Männer bezahlen jungen Mädchen die Schule – zu welchem Preis?

Fiona, denkt die Besucherin, hat gute Chancen. Wird sie ihre Schulausbildung zu Ende bringen? Wird sie „Nein heißt Nein“ sagen? Wird sie weniger Kinder bekommen und die Geburten überleben? Viele Männer werden dabei eine Rolle spielen. Der Papst. Donald Trump. Alte Männer, die jungen Mädchen die Schule bezahlen und dafür Sex ohne Kondom verlangen. Junge Männer, die es künftig besser machen wollen und sagen: "Wir beschützen unsere Schwestern." Ein Versuch der Klärung.

Der Papst. Sein Bild hängt leicht verblichen im Joint Medical Store, einem zentralen Warenlager in Kampala, das von der katholischen, der evangelischen und der orthodoxen Kirche betrieben wird. Ein modernes Gebäude mit einem Kühlraum für Impfstoffe, einem Coffeeshop für die Mitarbeiter und einem klinisch sauberen Showroom mit Sauerstoffgeräten und Gebärbetten. Hier lagern zwei Millionen Moskitonetze, Aidsmedikamente – acht Millionen Packungen – aber auch Kondome, Verhütungspflaster und Dreimonatsspritzen. Der Papst ist gegen Verhütung, klar, aber Rom ist weit weg. Und zum Glück ist das Lager ja ökumenisch. "Wenn eine Kondombestellung eingeht", feixt Lagerdisponentin Joanita, "sagen wir, das wird von der protestantischen Hälfte bezahlt."

Die Kirchen spielen eine wichtige Rolle bei der Familienplanung. Gerade erst scheiterte die Bildungsministerin Janet Museveni, Ehefrau des Ministerpräsidenten, mit ihrem Versuch, einen modernen Sexualkundeunterricht zu etablieren. Der Plan klang sinnvoll, schon kleine Kinder sollten aufgeklärt werden. Aber die "Rahmenrichtlinien" wurden zu früh an die Kirchen durchgestochen, die witterten "Aufforderung zu Kindersex" und „Schlafzimmergeschichten".

"Wie ungeschickt von ihr, an den Kirchen vorbeizuarbeiten", sagt Mona Herbert, Aktivist für Familienplanung in Kampala. Jeden Sonntag singt er im katholischen Kirchenchor, danach wird oft heiß diskutiert. "Wenn der Pfarrer wieder mal gegen Abtreibung hetzt", sagt der überzeugte Katholik Mona, "dann zeige ich ihm die Statistik, wie viele Mädchen nach missglückten Abtreibungen sterben. Und sage ihm: 70 Prozent von ihnen waren katholisch! Ist das Gottes Wille?"

Die katholische Kirche ist weltfremd

Mona macht das wahnsinnig. Die vielen toten Mädchen. Die vielen hoffnungsvollen Jugendlichen, die in die arabischen Golfstaaten zum Arbeiten gehen und dort oft ausgebeutet und misshandelt werden. "Unser Hauptexportgut sind junge Leute!" Es macht ihn so wahnsinnig, dass er gerade einen Burnout hat. Er regt sich einfach zu schnell auf. Über sein Land, das die Jungen einfach nicht ans Ruder lässt. Über seine katholische Kirche, die er viel zu weltfremd findet.

Und die anderen Religionen? Zu Besuch bei Reverend Kaziimba, dem anglikanischen Bischof von Mityana. Ein verschmitzter älterer Herr in purpurnem Gewand und Bischofsmütze, der sich an seinem Schreibtisch so hinsetzt, dass er unentwegt seinem eigenen Konterfei in die Augen sieht: Bischof Kaziimba mit Gattin Ruth auf einem XXL-Poster. "Wir müssen unsere Frauen in guter Gesundheit halten", sagt er und betont voller Inbrunst: "I am a family planning champion." Also ein Botschafter von Pille und Kondomen. Seine vier Söhne sind Pilot, Arzt, Ingenieure. Das neue Uganda, so könnte es aussehen. Er setzt in seinem Sprengel – der immerhin 1,5 Millionen anglikanische Gläubige umfasst – moderne Ideen durch: Ähnlich wie bei deutschen Tauffesten spendiert seine Kirche Traufeiern. Damit junge Leute mit wenig Geld heiraten können, ohne sich für die Party und das Brautgeld zu verschulden. "Dann sehe ich sie im Ehevorbereitungskurs", sagt der Bischof, "sage ihnen, dass sie Kondome benutzen sollen und ihre Frau nicht schlagen."

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Ein echter Champion. Allerdings: "a champion minus abortion". Abtreibung ist das Reizwort. Die evangelikalen Kirchen, die überall in Afrika aus dem Boden schießen, verteufeln Abtreibung als Sünde. Aber auch liberalere Gruppen passen auf, was sie sagen. Das hat nicht nur religiöse Gründe. Sondern auch handfeste finanzielle. Wer zu laut "Abtreibung" sagt, könnte schnell Geldtöpfe verlieren.

Hier kommt Donald Trump ins Spiel. Seit der im Weißen Haus residiert, gilt die "Global Gag Rule": Jede Organisation und jede Gesundheitsstation riskiert, von heute auf morgen kein Geld mehr aus den USA zu bekommen, wenn sie Abtreibungen vornimmt oder auch nur über "reproductive rights" aufklärt. Schon Präsident Bush verfuhr so, unter Trump sind die Folgen verheerend. Kein Geld aus den USA – das heißt dann oft nicht nur: keine Pillen und Kondome. Sondern auch: keine Versorgung von HIV- oder ja, auch Malaria-Patienten.

Jede zweite Schwangerschaft in Uganda ist ungeplant

In 29 Ländern auf der ganzen Welt mussten Vereine dichtmachen, bereits erzielte Fortschritte wurden zunichtegemacht. Uganda trifft es besonders hart, denn es ist eines der größten Empfängerländer der USA. Noch 2015 hatten 38 Nichtregierungsorganisationen 182 Millionen Dollar aus den USA bekommen, 2016 war es nur noch die Hälfte. Eine der größten, Reproductive Health Uganda (RHU), war gerade dabei, seine Dreimonatsspritzen in fünf weitere ugandische Bezirke zu liefern, da kam Trump an die Macht.

Die Folge: 30 Prozent weniger Geld, keine Hilfslieferungen in die Flüchtlingslager, wo Frauen und Mädchen am dringendsten auf Verhütung angewiesen sind. Uganda ist südlich der Sahara das Land, das die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat, vor allem aus Somalia und dem Südsudan. Dass ausgerechnet jetzt die Hilfe aus den USA ausbleibt, ist verheerend. Die HIV-Rate in den Lagern wird weiter steigen, die Teenagerschwangerschaften, die tödlichen Abtreibungsversuche ebenfalls.

Jede zweite Schwangerschaft in Uganda ist ungeplant. Jede vierte Schwangere ist unter 18. Zu Besuch im Muvubuka Agunjuse Gesundheitszentrum, in einem der ärmeren Viertel von Kampala. Muvubuka Agunjuse heißt auf Suaheli "aufgeklärte Jugend", hier gibt es lustige Kondomautomaten in Herzform, junge Leute bekommen umsonst Aidsmedikamente und Pille.

Robert Kiwanuka leitet den angeschlossenen Jugendclub, er ist stolz darauf, wie viele junge Leute er schon zu Multiplikatoren ausgebildet hat. Aber gestern ist er fast verzweifelt an seinem Job. Ein 17-jähriges Mädchen kam mit Blutvergiftung und hohem Fieber in die Einrichtung, schnell stellte sich heraus, sie war schwanger und hatte mit Kräutern und Nadeln versucht, die Schwangerschaft zu beenden. Dabei verletzte sie die Gebärmutter so, dass man ihr im kleinen Muvubuka-Zentrum nicht mehr helfen konnte. In der nächsten Privatklinik stellten sie fest: Nur eine Gebärmutterentfernung würde ihr das Leben retten, doch da erhob die Mutter des Mädchens Einspruch. Am Ende dauerte es 16 Stunden, bis die Mutter überzeugt war, bis eine zweite Privatklinik gefunden und 1,8 Millionen Uganda-Schilling aufgetrieben waren, umgerechnet rund 470 Dollar. "Wir haben sie gerettet, auch weil ich mein eigenes Sparbuch geplündert habe", sagt Robert, "aber es war echt knapp." Ihm laufen die Tränen übers Gesicht.

Eine Frau muss in Uganda Kinder zur Welt bringen – muss sie?

Sein Kummer gilt nicht nur dem armen Mädchen. Sein Kummer gilt auch den Verhältnissen. "Eigentlich war die Mutter meine schwierigste Patientin." Alleinerziehend, zweite Frau eines polygamen Mannes. "Das Schwierigste war, die Mutter davon zu überzeugen, dass eine Tochter auch ohne Gebärmutter ein Recht auf Leben hat." Eine Frau ist nur dann eine Frau, wenn sie viele Kinder auf die Welt bringt – solange das in einer Kultur gilt, hilft es wenig, flächendeckend Kondome abzuwerfen.

Bildung hilft – vielleicht. Zu Besuch im Mityana District, in der Kabayenga Primary School, in einer der ärmsten Gegenden von Uganda. Während in Frankfurt-Eschersheim Bürger gegen Schulen kämpfen, sind die Dorfbewohner in Mityana dankbar. Denn erst seit es die Schule gibt – ein einziger Klassenraum für 70 Kinder – gibt es eine Latrine, die auch vom Rest des Dorfes benutzt werden darf. Sie wurde so von außen einsehbar gebaut, dass die Mädchen auf dem Weg zum Klo nicht vergewaltigt werden.

Also alles gut in Mityana? Eine junge Mutter erhebt sich, Milly Nalule, 28 Jahre alt, ihr Kind ist 15. Sie ist HIV-positiv, alleinerziehend, auch sie wurde "empowered", hat also gelernt, ihre Rechte zu vertreten. Sie erzählt, dass die Mädchen eine Woche im Monat nicht zur Schule gehen, wenn sie ihre Tage haben. Scham. Und schlicht – keine Monatsbinden, oft noch nicht mal Unterhosen. Dass die Schüler morgens mit dem Lehrer 30 Minuten zur einzigen sauberen Wasserstelle gehen, um Wasser für die Latrine zu holen. Dass sie bei ihrem ersten Bewerbungsgespräch sexuell belästigt wurde. Ein weit verbreitetes Phänomen – um das Schulgeld zu bezahlen, um Jobs zu bekommen, lassen sich viele ugandische Mädchen mit älteren Männern ein, die auf ungeschütztem Sex bestehen. Ein Grund, warum sich so viele Mädchen zwischen 14 und 18 mit HIV infizieren.

Es ist komplex. Kondome allein nützen nichts. Schule allein nützt nichts. Monatsbinden allein nützen nichts. Moderne Entwicklungspolitik versucht deshalb, an mehreren Hebeln anzusetzen.

Drei deutsche Stiftungen und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bündeln ihre Aktivitäten in Uganda: Im Mityana District unterstützen sie 50 000 junge Menschen zwischen 15 und 25. Sie bekommen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Anlagen, lernen effektiveren Kaffeeanbau, erhalten Sexualaufklärung und werden in bürgerschaftlichem Engagement trainiert. „Team up“ heißt der Plan, in den das BMZ drei Millionen Euro und die Siemens Stiftung, die Hanns R. Neumann Stiftung und die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung je eine Million Euro investieren.

Und warum bekommen die Frauen dann immer weiter so viele Kinder? Die Frage kommt etwas zu schnell, das merkt die Reporterin, als sie in diesem kleinen stickigen Raum im ersten Stock bei Ruth Nabembezi sitzt. Erstens ist Ruth, 23, selbst gerade schwanger, sehr. Sie kann kaum sitzen auf dem billigen weißen Plastikstuhl. Und zweitens ist es unhöflich. Zu spät: Dabei sind sie das Fragen hier gewöhnt, Ruth betreibt eine Art "Fragen Sie Dr. Sommer"-Start-up.

Erst im Waisenhaus kam Ruth zu Selbstbewusstsein

Sie ist Tochter eines polygamen Vaters, der vier Frauen hatte. Und alle vier mit HIV infizierte. Als Ruth drei war, starb ihre Mutter an Aids, als Ruth sechs war, starb der Vater. Als auch noch ihre Schwester erkrankte, nahmen sich Verwandte der Familie an und vermuteten, sie seien "verhext". Anstatt Ruths Schwester mit antiretroviralen Medikamenten zu versorgen, wurde sie zu traditionellen Heilern gebracht, auch sie starb. Erst im Waisenhaus, in das Ruth letztendlich gebracht wurde, stieß sie auf vernünftige Lehrerinnen. Lernte Englisch, Selbstbewusstsein und erwarb medizinische Grundkenntnisse. Heute betreibt Ruth eines der innovativsten Start-ups in Afrika, "Ask without shame". Ein Notruftelefon für Sexfragen.

An einer holprigen Dirt Road, wo abgeschabte Polstersofas zum Verkauf am staubigen Straßenrand stehen, Marabus im Müll picken und alle paar Minuten ein Straßenverkäufer lautstark seine Samosas anpreist, sitzen Ruth und ihre drei Mitstreiterinnen am Telefon. Die eine war vorher Krankenschwester, die andere Sozialarbeiterin, dicht an dicht sitzen sie in ihren Telefonkabinen. Keine Frage ist zu absurd. "Meine Frau will die Pille nehmen, ich will das nicht." – "Ich habe Rückenschmerzen, stimmt es, dass dagegen Sex mit einer Kleinwüchsigen hilft?" – "Mein Priester sagt, Onanie ist Sünde. Stimmt das?"

200.000 Fragen haben die Frauen bislang beantwortet, per WhatsApp oder Telefon. Sie haben Vergewaltigungsopfer zur Polizei begleitet und ungewollt Schwangeren geholfen. Geld für Werbung haben sie nicht, aber die Aufkleber mit ihrer Telefonnummer verbreiten sich auf den Fenstern von Überlandbussen und Taxis so rasant, dass schon 80.000 Leute angerufen haben.

Aber auf diese eine Frage – Warum kriegt ihr so viele Kinder? – gibt es eben nicht die eine Antwort. Und wer sie stellt, muss sich definitiv die Gegenfrage gefallen lassen: Warum kriegt ihr in Deutschland eigentlich so wenig Kinder? Denn auch in Deutschland wurde ja viel Familienpolitik betrieben, nur in die umgekehrte Richtung. Es wurden Krippenplätze gebaut und Rechtsansprüche gesetzlich verankert. Es wurden die Elternzeit für Väter verbessert und das Elterngeld erhöht, damit auch Akademikerinnen Kinder bekommen. Dennoch stagniert die Fruchtbarkeitsrate bei den deutschen Frauen so störrisch wie bei den ugandischen. Bei 1,5 Kindern pro Frau. Das mit dem Kinderkriegen, es ist eine komplizierte Sache. Schwer zu steuern.

Die wahre freie Wahl

Rückflug nach Deutschland, Ankunft am Frankfurter Hauptbahnhof. "Freedom of choice" steht an Gleis 19, es ist Werbung für Schokolade. Die mit den bunten Quadraten. "Free choice" ist weltweit der Schlachtruf der Frauenbewegung, der etwa "Mein Bauch gehört mir" bedeuten soll. Seither entscheiden sich bei uns sehr viele Frauen gegen Kinder, und das ist nicht nur ihr gutes Recht, sondern offenbar so schokoladig lustig, dass es schon als XXL-Werbeposter funktioniert. Wir machen, was wir wollen, und keiner redet uns rein. Soll das ja wohl heißen.


Natürlich soll Ruth ihr Kind bekommen, es wird hoffentlich gesund auf die Welt kommen. Aber wenn Fiona später keine Kinder möchte, soll sie Astrophysikerin werden dürfen. Kein Pastor, keine Mutter und kein Politiker soll sich dem in den Weg stellen. Das wäre tatsächlich – eine freie Wahl.

Diese Geschichte erscheint in Kooperation mit dem Magazin "chrismon". Die Zeitschrift der evangelischen Kirche liegt jeden Monat mit 1,6 Millionen Exemplaren in großen Tages- und Wochenzeitungen bei – unter anderem "Süddeutsche Zeitung", "Die Zeit", "Die Welt", "Welt kompakt", "Welt am Sonntag" (Norddeutschland), "FAZ" (Frankfurt, Rhein-Main), "Leipziger Volkszeitung" und "Dresdner Neueste Nachrichten". Die erweiterte Ausgabe "chrismon plus" ist im Abonnement sowie im Bahnhofs- und Flughafenbuchhandel erhältlich. Mehr auf: www.chrismon.de

Weiterführende Links auf "chrismon.de":

Ursula Ott, Chefredakteurin von "chrismon", war mit der ehemaligen "chrismon"-Herausgeberin Margot Käßmann und mit Renate Bähr von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung für eine Woche in Ostafrika unterwegs. Im Podcast erzählt sie zudem, warum Journalisten auch mal raus müssen aus Deutschland, welche Fragen man sich besser verkneift und warum "chrismon" keine Pressereisen mitmacht, die von Unternehmen aus der freien Wirtschaft bezahlt werden. Anhören auf "chrismon.de".

Dr. Kommen und Dr. Gehen: Sie hilft Paaren, die ungewollt kinderlos sind, er steht alten und kranken Menschen bei – die Hancke-Denkingers. Und dann haben die auch noch drei Kinder. Weiterlesen auf "chrismon.de".

Das Elternhaus verkaufen: Die Mutter zieht ins betreute Wohnen, die Töchter räumen das Elternhaus aus. Sie finden kitschige Tassen, geliebte Spiele und unerledigte Aufträge. Weiterlesen auf "chrismon.de".

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