Suizid eines Kriegsverbrechers Staatsanwaltschaft nimmt die Spur des Gifts auf
Ein Gerichtssaal als Tatort: "Slobodan Praljak ist kein Kriegsverbrecher!", ruft der Angeklagte, führt ein kleines Gefäß zum Mund. Er behauptet, sich vergiftet zu haben. Wenig später stirbt er im Krankenhaus. Wie konnte er an das Gift gelangen?
Von Jonas Mueller-Töwe
Der kroatische Kriegsverbrecher Slobodan Praljak ist tot. Der Internationale Strafgerichtshof in den Haag hat soeben die 20-jährige Haftstrafe gegen den ehemaligen Chef des bosnisch-kroatischen Militärs bestätigt. Sekunden später schluckt Praljak vor laufenden Kameras eine noch unbekannte Flüssigkeit – offenbar ein schnell wirkendes Gift. Jemand muss es dem 72-Jährigen zugesteckt haben.
Anwalt: "Absolut möglich", Gift ins Gericht zu bringen
Nach dem Suizidversuch lässt Richter Carmel Agius den Saal räumen – er sei nun ein Tatort. Sicherheitskräfte riegeln den Saal ab. Sanitäter stürmen hinein, über dem Gebäude kreist ein Hubschrauber. Die Polizei will den Fall gegenüber t-online.de nicht kommentieren. Die Staatsanwaltschaft Den Haag hat die Ermittlungen übernommen.
Es sei "absolut möglich", sogar "einfach", Gift in das Gericht zu bringen, sagt nun der prominente serbische Anwalt Toma Fila. Er hat schon häufig Angeklagte vor dem Tribunal verteidigt. Die Kontrollen seien "genau wie an einem Flughafen" – das heißt: "Tabletten und kleine Mengen von Flüssigkeit" würden nicht registriert.
"Noch bin ich nicht vollständig über den Fall informiert", sagt Staatsanwalt Vincent Veenman gegenüber t-online.de. Der Internationale Strafgerichtshof habe um Ermittlungen zum Tode Praljaks gebeten. Zunächst werde die Behörde wegen des Verdachts der Beihilfe zum Suizid und Verstoß gegen das Medikamentengesetz ermitteln. Weitere Auskünfte könne die Behörde aufgrund laufender Ermittlungen nicht geben, heißt es später in einer Stellungnahme.
Das Urteil der Berufungsrichter war eindeutig: Praljak und seine fünf Mitangeklagten seien schuldig an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Tausende von Muslimen waren im bosnischen Krieg 1992 bis 1995 Opfer von Mord, Vergewaltigung, Vertreibung und Terror geworden.
Deportationen für den rein kroatischen Staat
Praljak war im Bosnienkrieg laut Urteil unter anderem mitverantwortlich für die Deportation von Tausenden Muslimen, der menschenrechtswidrigen Belagerung des östlichen Teils der Stadt Mostar in Herzegowina und Granatenbeschuss von Wohnhäusern in weiteren Dörfern. Er sei über systematische Kriegsverbrechen informiert gewesen, darunter auch Morde.
Die Attacken hätten in ihrer Gesamtheit zum Ziel gehabt, den muslimischen Teil der Bevölkerung mittels "ethnischer Säuberung" zu vertreiben und einen rein kroatischen Staat zu errichten. So hätten bosnisch-kroatische Soldaten Häuser von Muslimen in Brand gesteckt und ihre Bewohner vertrieben. Praljak hatte seine Verstrickung in Kriegsverbrechen stets bestritten. Seit 2004 saß er in Haft. Er hatte sich gestellt, nachdem die Anklage veröffentlicht wurde. Er wäre trotz des Urteils vermutlich bald freigekommen.
Kroatiens Regierungschef Andrej Plenkovic kritisierte die Urteile scharf. Sie seien "unbegründet und ungerecht". Praljak habe mit seinem Suizid "tiefe moralische Ungerechtigkeit" gegenüber seiner Person und seinen Mitangeklagten zum Ausdruck bringen wollen. Schon 2006 hatte sich der kroatische Serbe Milan Babic als Häftling des Internationalen Strafgerichtshofs das Leben genommen. Acht Jahre zuvor beging sein Landsmann Slavko Dokmanovic dort Suizid. Der Militärchef der bosnischen Serben, Ratko Mladic, wurde vergangene Woche zu lebenslanger Haft verurteilt.