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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Geld für Ukraine-Krieg Putin könnte sich verzockt haben

Die USA haben sich mit Russland und der Ukraine auf einen Teil-Waffenstillstand geeinigt. Mitspielen müssten aber auch die Europäer.
Es klingt zunächst nach einem Erfolg für die US-Diplomatie unter Präsident Donald Trump: Bei den von Washington geleiteten Gesprächen in Saudi-Arabien haben sich die Ukraine und Russland auf einen Waffenstillstand im Schwarzen Meer geeinigt, auch Energieanlagen sollen von Angriffen ausgenommen werden. Doch Russland will sich nur unter Bedingungen an die Vereinbarungen halten – Bedingungen, die kaum zu erfüllen sind.
Die wichtigste Forderung des Kremls ist die Rückkehr der staatlichen russischen Landwirtschaftsbank und anderer Geldhäuser zum internationalen Finanztelekommunikationssystem Swift.
Russische Banken waren nach dem Überfall auf die Ukraine 2022 aus dem Swift-System ausgeschlossen worden. Ohne Swift-Zugang sind diese Banken praktisch vom internationalen Geldverkehr abgeschnitten und können weder Zahlungen ins Ausland leisten noch Geld von dort empfangen. Wie Swift genau funktioniert, lesen Sie hier.
Russland will zurück ins Swift-System
Eine Rückkehr ins Swift-System würde Russlands schwächelnde Wirtschaft stabilisieren und dem Regime neue Einkünfte zur Finanzierung des Kriegs gegen die Ukraine bescheren. Dass Kremlchef Putin ausgerechnet die russische Landwirtschaftsbank als erste wieder an Swift anschließen will, dürfte einem strategischen Kalkül folgen.
Russland gehört zu den größten Exporteuren von landwirtschaftlichen Erzeugnissen weltweit. Mit seiner Schattenflotte verschifft es illegalerweise auch Weizen, Gerste und Sonnenblumenkerne aus den besetzen Gebieten in der Ukraine. Eine Lockerung der Sanktionen würde dieser Exporte vereinfachen und die Abhängigkeit des Landes von Öl und Gas verringern. Doch dazu müssten die Europäer mitspielen.
Das Swift-System wird von einer genossenschaftlichen Organisation mit Sitz in der belgischen Hauptstadt Brüssel betrieben. Im Regelfall entscheidet die Organisation selbst, welche Bank an ihrem System teilnehmen darf. Eine Wiederaufnahme russischer Banken bedürfte allerdings der Aufhebung entsprechender Sanktionen der EU. Und das ist derzeit nicht absehbar.
Berlin will Russland-Sanktionen nicht aufheben
Die Bundesregierung stellte am Mittwoch bereits klar, dass sie "keinen Bedarf für eine Aufhebung von EU-Sanktionen gegen Russland" sieht, so Sprecher Steffen Hebestreit. "Ich kenne keinerlei Bestrebungen innerhalb Europas, diese Sanktionen aufzuheben", betonte Hebestreit.
Die EU habe russische Banken wegen des Überfalls auf die Ukraine von Swift ausgeschlossen. "Sollte sich das ändern, müsste das aus dem Kreise der europäischen Staats- und Regierungschefs erst mal miteinander diskutiert werden und dazu entschieden werden. Und eine solche Initiative kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht erkennen", sagte Hebestreit weiter.
Hintergrund ist die Sorge der Europäer, dass die USA und Russland Vereinbarungen über die Köpfe der Ukraine und der Europäer hinweg beschließen würden. Entsprechende Vereinbarungen etwa über Swift zwischen Washington und Moskau wären angesichts der Rechtslage aber nicht bindend.
Putin will wieder Zugang zum Schwarzen Meer
Die grundsätzliche Bereitschaft der USA, die Sanktionen gegen Russland zu lockern, dürfte die Sorgen der Europäer allerdings noch befeuern. Und der Kreml hat eine Feuerpause noch an weitere Bedingungen geknüpft, deren Erfüllung seine Position erheblich verbessern würden.
So sollen nicht nur russische Banken, sondern auch landwirtschaftliche Unternehmen und Düngemittelhersteller von westlichen Sanktionen befreit werden. Denn auch in diesem Bereich gehört Russland zu den größten Produktionsländern und könnte von einer Rückkehr auf den Weltmarkt stark profitieren.
In diesem Zusammenhang steht auch Putins Forderung, dass Handelsschiffe unter russischer Flagge sich frei im Schwarzen Meer bewegen und Häfen ansteuern dürfen. Aktuell beherrscht die Ukraine den westlichen Teil des Meeres. Zu Beginn des Krieges lagen russische Kriegsschiffe noch unmittelbar vor der ukrainischen Küste und verhinderten, dass die Ukraine Getreide exportieren konnte.
Waffenstillstand für Energieanlagen nutzt dem Kreml
Den Ukrainern gelang es nur mit militärischer Gewalt, die Russen aus dem westlichen Schwarzmeer zu vertreiben und einen Handelskorridor Richtung Mittelmeer zu öffnen. Entsprechend schroff reagierte Präsident Selenskyj auf die jüngsten Forderungen aus Moskau: "Wir sind grundsätzlich bereit für eine vollständige Feuerpause. Die Russen wollen die Situation nur ausnutzen und die Kontrolle über unseren Handelskorridor erlangen, aber das wird ihnen nicht gelingen."
Blanker Eigennutz dürfte auch das Kalkül hinter der russischen Forderung nach einem Waffenstillstand für Energieanlagen sein, denn profitieren würde davon vor allem Russland. Kiews Truppen haben ihre Kampagne gegen Raffinerien, Öllager und Gaspipelines zuletzt intensiviert. Die Schläge sollen die Spritversorgung der russischen Truppen erschweren und gleichzeitig Russlands Energieexporte und damit die Einnahmen des Kreml reduzieren.
Dafür steht der Ukraine inzwischen ein Arsenal an selbst entwickelten Kamikazedrohnen und Raketen mit einer Reichweite bis zu 1.000 Kilometer zur Verfügung. Das dürfte auch dem Kriegsherrn im Kreml nicht entgangen sein. Im Gegensatz dazu verlieren die russischen Angriffe auf ukrainische Kraftwerke mit Frühlingsbeginn einen Teil ihrer Schreckenswirkung, da die Menschen nun nicht mehr auf Heizwärme angewiesen sind.
Diplomatischer Drahtseilakt für Kiew
Der Kreml würde von einem Waffenstillstand für Energieanlagen also überproportional profitieren. Bislang ist aber völlig unklar, wann er in Kraft treten und wie er überwacht werden soll. Dazu werde man gemeinsam "Maßnahmen entwickeln", heißt es nur reichlich vage in der Abschlusserklärung des Weißen Hauses zu den Gesprächen in Saudi-Arabien. Aus ukrainischer Perspektive muss das aber kein Nachteil sein – im Gegenteil.
Denn solange der Waffenstillstand für Energieanlagen nicht umgesetzt, sondern nur angedacht ist, kann sich Kiew gefahrlos dazu bekennen – ohne die eigenen Angriffe auf russische Anlagen stoppen zu müssen. Würde sich die ukrainische Regierung dem Plan von vornherein widersetzen, würde sie dagegen als Hindernis im Bemühen um Frieden dastehen. Dies könnte die russlandfreundliche US-Regierung unter Donald Trump zum Vorwand nehmen, den diplomatischen Druck einseitig auf Kiew zu erhöhen.
Bislang gelingt es der Ukraine, dieser diplomatischen Zwickmühle zu entgehen. Für Kiew hat es oberste Priorität, militärisch gegenüber Russland nicht weiter ins Hintertreffen zu geraten und gleichzeitig die Unterstützung der US-Regierung nicht komplett zu verlieren. Dabei kann sie darauf hoffen, dass auch Trump kein Interesse hat, als bloßer Handlanger Moskaus dazustehen. Für Kiew ist es daher nur sinnvoll, das diplomatische Theater mitzuspielen, ohne die militärischen Realitäten aus dem Blick zu verlieren.
- destatis.de: "Export von Lebensmitteln und Tierfutter: Ukraine und Russland mit hohem Weltmarktanteil"
- pravda.com: Russia rejects unconditional ceasefire in Black Sea after meeting with US
- pravda.com: Zelenskyy: Ukraine controls situation in Black Sea, Russian fleet sunk or hidden
- kyivindependent.com: Russia, Ukraine agree to implement ban on energy infrastructure strikes, minister says
- whitehouse.gov: Outcomes of the United States and Ukraine Expert Groups
- Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
- Eigene Recherche