Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kanzlerkandidaten auf internationaler Bühne Dann kann Merz seine Freude nicht verbergen

Die Bundestagswahl überschattet auch die Sicherheitskonferenz in München. Kanzler Olaf Scholz und CDU-Chef Friedrich Merz kritisieren die Trump-Regierung scharf und skizzierten ihre Pläne für die Ukraine. Wer zeigt mehr Kanzlerformat?
Aus München berichten Daniel Mützel und Patrick Diekmann.
Noch hat er die Wahl nicht gewonnen, und doch steht er bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz im Mittelpunkt: CDU-Chef Friedrich Merz soll Samstagvormittag an einer Podiumsdiskussion mit der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und deren Amtskollegen aus Schweden und Tschechien teilnehmen. Drei Regierungschefs – und Merz. Trotzdem richten sich die Blicke vor allem auf den Kanzlerkandidaten der Union.
Denn in acht Tagen wird in Deutschland gewählt und der 69-Jährige führt die Umfragen fast uneinholbar an. Deshalb ist auch in München von besonderem Interesse, was Merz außenpolitisch plant.
Als der CDU-Chef um kurz vor halb zwölf den großen Konferenzraum im Hotel Bayrischer Hof betritt, scharen sich Teilnehmer der Sicherheitskonferenz regelrecht um ihn, begrüßen Merz, schütteln ihm die Hand, hier und da kurzer Smalltalk, etwa mit Schwedens Ulf Kristersson.
Die deutsche Bundestagswahl am 23. Februar ist in Deutschland derzeit allgegenwärtig, auch hier in München, auf der weltweit größten Sicherheitskonferenz ihrer Art. Dafür sorgt auch das Programm, das am Samstag eine Art inoffizielles Kanzlerkandidatentriell beinhaltet: Am Morgen hat Bundeskanzler Olaf Scholz seinen Auftritt, am Vormittag Merz, am frühen Abend der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck. Wer zeigt in München Kanzlerformat – und wer ist der überzeugendere Weltpolitiker?
Angesichts der heftigen politischen Erschütterungen, die die neue Trump-Regierung in den letzten Tagen verursacht hat, wird der Aufritt für Merz zum Drahtseilakt: Er muss Kanzlerformat beweisen, ohne sein Blatt zu überziehen. Er darf im Vergleich zu Scholz nicht zu blass wirken, aber auch keine falschen Versprechen machen. Keine leichte Aufgabe. Kann er liefern?
Embed
Nachbeben der Vance-Rede
Für Merz beginnt das Panel zur europäischen Ukraine-Unterstützung mit einem Moment der Heiterkeit. Die Moderatorin stellt ihn zunächst als "Kanzler" vor, nur um sich eine Sekunde später zu korrigieren: "Parteichef", sagt sie und lächelt entschuldigend. Der Witz funktioniert wie ausgedacht: Im Publikum brandet Gelächter auf, einige applaudieren.
Auch Merz kann sich das Lachen nicht verkneifen. Er streicht sich über den Mund, sagt ins Mikro: "Zunächst einmal Danke für Ihr Kompliment." Doch das hätten die 60 Millionen Wähler zu entscheiden, so Merz sinngemäß. Bloß nicht überheblich werden, mag er sich gedacht haben. Den Test – falls es einer war – besteht Merz. Schließlich darf er keinesfalls den Eindruck erwecken, dass die Wahl schon gelaufen ist. Sonst bleiben Unionswähler möglicherweise Zuhause.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Doch schnell wird es wieder ernst auf der Bühne. Die gestrige Rede von US-Vizepräsident J. D. Vance sorgt weiter für Verunsicherung und Unmut, vor allem in Deutschland. Vance hatte sich in einem denkwürdigen Auftritt als Zuchtmeister der europäischen Demokratien aufgespielt und Europa über ihre demokratischen Mängel belehrt. Auch die Brandmauer europäischer Parteien zur extremen Rechten stellte er infrage – ein bewusster Eingriff in die inneren Angelegenheiten Europas. Damit zielte er besonders auf Deutschland.
Merz kritisiert die Trump-Regierung
Eigentlich soll Merz an diesem Tag zur Ukraine und der Zukunft europäischer Sicherheit sprechen, doch er weiß, als möglicher nächster Kanzler muss er sich zu Vance äußern. Auch, weil Vance' Attacken Merz persönlich galten: ihm und seinem Kurs, die AfD als möglichen Koalitionspartner auszuschließen. Auch, weil manche im Land, vor allem nach Merz' umstrittenem Manöver im Bundestag, die Standhaftigkeit der Union in der Brandmauerfrage anzweifeln.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
"Wir respektieren die Präsidentschaftswahlen und die Kongresswahlen in den USA und erwarten, dass die USA dies hier auch tun", kritisiert Merz Vance' indirekte Wahlwerbung für die AfD. Die transatlantischen Beziehungen stünden wie der sprichwörtlich weiße Elefant im Raum. "Die freie Meinungsäußerung bleibt Teil unserer offenen, demokratischen Gesellschaft."
Die Wut ist groß. Die Bundesrepublik lasse sich von der Trump-Regierung nicht belehren, betont der Kanzlerkandidat der Union. Schließlich habe das Weiße Haus die Nachrichtenagentur AP von der Berichterstattung ausgeschlossen. Das würde in Deutschland nicht passieren, so Merz, der immer wieder von Applaus unterbrochen wird.
Merz vollzieht eine Wende wie schon Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zuvor: Er geht in die direkte Konfrontation mit den USA. Noch in den vergangenen Wochen hatte die deutsche Spitzenpolitik mit Kritik an Trump gespart, auch in der Hoffnung, einen guten Weg der Zusammenarbeit mit der neuen US-Regierung zu finden. Nach der jüngsten Empörung geht es aber nun um politische Abwehrgefechte. Die Europäer, so scheint es, wollen sich das konfrontative Vorgehen der Amerikaner nicht länger gefallen lassen.
Merz bleibt in zentralen Themen vage
Merz' Salven gegen Vance kommen im Publikum gut an, doch die westliche Sicherheitselite wartet eigentlich auf etwas anderes: die außenpolitischen Pläne des Unionskanzlerkandidaten, insbesondere mit Blick auf die Ukraine. Doch ob bei den Verteidigungsausgaben, der künftigen Ukraine-Unterstützung oder der Frage nach einem möglichen Waffenstillstand: Merz bleibt in zentralen Fragen auffällig unkonkret.
Der Wahlkampf hinterlässt bei Merz offenbar Spuren, der CDU-Chef will kaum Angriffsfläche für seine politischen Gegner bieten. Beispiel Taurus: In der nun endenden Legislatur war Merz stets für eine Lieferung des Marschflugkörpers an die Ukraine, nun gibt er sich zurückhaltend. "Wir sollten diese Lieferungen vornehmen. Wir sollten bereit sein, aber nur, wenn wir uns mit den europäischen Partnern einig sind." So weit, so unkonkret.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Merz agiert hier nicht mehr als Oppositionspolitiker, der provokant Forderungen stellen kann, sondern schon als Fast-Kanzler, der die strategische Uneindeutigkeit gegenüber Russland wahren möchte. Schließlich soll Russlands Präsident Wladimir Putin noch nicht wissen, worauf er sich einstellen muss.
Probleme bekommt Merz in München aber mit einem zentralen Widerspruch in seinem Wahlkampf: Deutschland wird wahrscheinlich nicht gleichzeitig im Angesicht der russischen Aggression in Europa aufrüsten und die Schuldenbremse einhalten können. Die Finanzierungspläne der Union sind auf der Hoffnung auf Wirtschaftswachstum aufgebaut. Eine Fragestellerin in der Konferenzhalle äußert ihre Sorge, dass Deutschland seine Verpflichtungen langfristig nicht einhalten könnte.
Merz unterstreicht, dass er – anders als Scholz – das Geld aus dem regulären Haushalt des Bundes entnehmen will. Die Frage sei aber noch offen, woher dieses Geld konkret komme. Merz bleibt wieder vage, obwohl es durchaus konkrete Lösungen gebe, für die Merz aber offenbar noch nicht den politischen Mut aufbringt. Es ist sein schwächster Moment, der ihn ausgerechnet im Vergleich zu seinem größten politischen Herausforderer eher blass wirken lässt.
Der Appell des Noch-Kanzlers
Der hatte ein paar Stunden vor Merz gesprochen. Für Olaf Scholz war es vielleicht der letzte große internationale Auftritt als deutscher Bundeskanzler. Der SPD-Politiker hielt zunächst eine rund zehnminütige Rede, dann stellte er sich den Fragen der Moderatorin. Es war keine Sternstunde der Diplomatie, keine Ruckrede in hyperkritischen Zeiten, aber Scholz lieferte solide ab. Und im Gegensatz zu Merz hatte nicht nur Warnungen und vage Statements mit nach München gebracht, sondern auch konkrete Ideen.
Eine EU-Fessel, die fallen könnte
So schlug der Kanzler vor, den EU-Stabilitätspakt zu reformieren, um die steigenden Verteidigungsausgaben der nächsten Jahre zu ermöglichen. Der Pakt zwingt die Mitgliedsstaaten der EU, ihr jährliches Haushaltsdefizit unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu drücken und ihre staatliche Gesamtverschuldung unter 60 Prozent.
Zwar ist die EU-Schuldenregel seit der Coronapandemie ausgesetzt. Dennoch müssen die Mitgliedsstaaten nachweisen, wie sie Schulden abbauen. Eine Fessel, die fallen könnte: Der Scholz-Vorschlag sieht vor, alle Investitionen in Verteidigung, die über das Zwei-Prozent-Ziel der Nato hinausgehen, vom Stabilitätspakt auszunehmen. Es könnte ein mächtiger Hebel sein, um den Haushaltsspielraum so mancher EU-Staaten zu erweitern. Davon könnte vor allem Frankreich profitieren, denn die französische Regierung steckt in massiven Finanznöten.
Taktischer Vorteil Schuldenbremsereform
Auch in einem anderen Punkt zeigte Scholz mehr Klarheit als Merz: bei der Frage, woher das ganze Geld für neue Waffen und Ausrüstung herkommen soll. Scholz rechnete dem Publikum vor, wie teuer es künftig für Deutschland werden wird, ein aggressives Russland abzuschrecken: zusätzliche 30 Milliarden Euro pro Jahr, und das sei nur das Mindeste. Ein Betrag, den die deutsche Bevölkerung ohne frische Kredite nicht akzeptieren würde.
"Es ist absolut unmöglich", so der Kanzler, der beim Thema Schuldenbremse nicht nur erstmals Emotionen zeigt, sondern sich regelrecht in Rage redet. Er sei "angewidert" von der Idee, man könne einfach 30 bis 40 Milliarden aus dem Staatshaushalt kürzen, um sie in Verteidigung zu investieren. Die Leute würden das nicht akzeptieren: "Es wird nicht passieren."
Scholz hat hier einen Punkt, Merz weiß das wahrscheinlich: In dem an diesem Wochenende ausgerechnet von den Amerikanern angerichteten Chaos dürstet das verunsicherte Europa nach konkreten Antworten, nach Klarheit. Scholz liefert sie. Es ist der zentrale Unterschied an diesem Morgen zwischen Kanzler und Herausforderer.
Doch die Moderatorin, die "Economist"-Chefredakteurin Zanny Minton Beddoes, wollte eigentlich etwas anderes von Scholz wissen: Wird er, der wahrscheinlich in einer Woche abgewählt werden wird, für Stabilität in Europa garantieren, bis die nächste Regierung steht? Scholz widerspricht nur sanft, er habe ja durchaus noch Chancen, sagte er mit einem Grinsen. Doch zugleich, und das ist durchaus bemerkenswert, ließ er sich darauf ein, erklärte ausführlich, dass er einen geordneten Machtübergang organisieren wird.
Es war ein Moment, in dem hinter der Fassade des Wahlkampfes und der Durchhalteparolen die Schwäche der eigenen Umfragen hervorragte. Hat er seine wahrscheinliche Wahlniederlage schon akzeptiert? Er, Olaf Scholz, der sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt und fest an sich glaubt, während es kaum jemand sonst tut?
Ein neuer Sheriff namens Friedrich
Vielleicht. Scholz mag langsam dämmern, was sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz allmählich als allgemeine Erkenntnis herausschält: Die meisten Teilnehmer der Konferenz betrachten Scholz als scheidenden Kanzler. Das geht so weit, dass es manche gar nicht mehr für nötig halten, ihn zu treffen. J. D. Vance zum Beispiel, der sich mit zahlreichen deutschen Spitzenpolitikern traf, darunter AfD-Chefin Alice Weidel – aber nicht mit Scholz.
Der Mann der Stunde ist längst sein wahrscheinlicher Nachfolger, Friedrich Merz. Das zeigt auch die Zahl der hochrangigen Treffen, die Merz absolviert, und die für einen CDU-Chef eigentlich zwei Kragenweiten zu hoch sind: Nato-Generalsekretär Mark Rutte, die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas, der chinesische Außenminister Wang Yi, und der besagte J. D. Vance. Merz trifft sie alle.
Wahrscheinlich, weil auch sie nach konkreten Antworten auf die Frage suchten, was sie nun von Deutschland zu erwarten haben, wenn Merz regiert. Ob er darauf zumindest hinter verschlossenen Türen konkrete Antworten geben konnte, ist nicht bekannt.
- Beobachtungen und Gespräche bei der Sicherheitskonferenz in München