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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Trump-Vize ätzt gegen Europa Diese Aussage schockiert besonders
![J. D. Vance bei einer Wahlkampfveranstaltung (Archivbild): Im Anschluss trifft Vance sich mit Friedrich Merz. J. D. Vance bei einer Wahlkampfveranstaltung (Archivbild): Im Anschluss trifft Vance sich mit Friedrich Merz.](https://images.t-online.de/2025/02/jnQAiRPSF0nu/563x269:1934x1087/fit-in/1920x0/j-d-vance-bei-einer-wahlkampfveranstaltung-archivbild-im-anschluss-trifft-vance-sich-mit-friedrich-merz.jpg)
Bei der Sicherheitskonferenz in München empört US-Vizepräsident J. D. Vance die europäischen Nato-Mitglieder. Sein Auftritt zeigt vor allem eines: Die Lage ist nach der Machtübernahme von Donald Trump auch für Deutschland ernst.
Aus München berichtet Patrick Diekmann.
Mit dem Beginn der diesjährigen Sicherheitskonferenz in München gehen die Temperaturen in der bayrischen Landeshauptstadt in den Keller. Es schneit, vor dem Hotel Bayerischer Hof in der Münchener Innenstadt haben sich am Freitagmorgen längere Schlangen gebildet. Sicherheitskontrolle. Viele der Teilnehmer tragen Mäntel, Schals und Handschuhe. Die Stimmung ist gedämpft. "Wie ist es auf einmal so kalt geworden?", fragt eine britische Reporterin ihren Kameramann in der Schlange.
Der Temperatursturz passt auch politisch zur Stimmung in München. Selten waren die gegenwärtigen Krisen derartig schlimm, selten nach dem Zweiten Weltkrieg der Frieden in Europa derartig in Gefahr. Und selten stand der innere Zusammenhalt des Westens in der Nachkriegszeit so auf der Kippe wie dieser Tage.
Auch deshalb richten sich viele Augen in München auf US-Präsident Donald Trump, der seit seiner Amtsübernahme die internationale Politik mit einem Trommelfeuer überzieht. Er will Grönland kaufen, den Panama-Kanal besetzen, die Palästinenser aus dem Gaza-Streifen vertreiben, mit Kreml-Chef Wladimir Putin über einen Frieden in der Ukraine verhandeln – und das alles ohne Rücksicht auf Haltung und Interessen der europäischen Partner der USA.
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Bereits im Vorfeld der Sicherheitskonferenz waren die Sorgen in Europa groß – ebenso wie der Respekt vor der Sprengkraft, die Trump entfalten könnte. Die Befürchtungen gingen weit auseinander: Er könnte seinen Vizepräsidenten in München neue Zölle verkünden lassen, die Ukraine zu einem für sie nachteiligen Frieden erpressen oder gar zur Wahl der rechtspopulistischen AfD bei der Bundestagswahl in Deutschland aufrufen.
Doch was an diesem bitterkalten Morgen vor dem Hotel Bayerischer Hof ein sorgenvoller Schatten ist, wird wenige Stunden später bittere Realität werden.
Vance sorgt schon im Vorfeld für Empörung
Schon bevor Vance in München spricht, liegen die Nerven einiger europäischer Diplomaten blank. Denn der Vizepräsident hatte bereits am Donnerstag dem "Wall Street Journal" die künftige US-Außenpolitik skizziert: "Es geht wirklich um Zensur und Migration, um die Angst, die Präsident Trump und ich haben, dass europäische Führer Angst vor ihrem Volk haben", zitiert die US-Zeitung Vance. Aber der 40-Jährige ging noch weiter: Er werde deutsche Politiker auffordern, mit allen Parteien zusammenzuarbeiten, einschließlich der AfD.
Ein Tabubruch. Die Meinungen darüber gehen in München kaum auseinander. Denn die US-Regierung mischt sich damit direkt in die Bundestagswahl ein. Zwar macht auch US-Milliardär Elon Musk Wahlkampf für die deutschen Rechtsextremen, aber aus Mund des Vizepräsidenten ist es eine neue Dimension der Einmischung. Hitzig und empört wird auf den engen Gängen des Tagungshotels darüber diskutiert, welche Folgen das haben sollte.
Einige Diplomaten sind nicht überrascht, schütteln noch am Freitagmorgen betroffen mit dem Kopf. Andere fordern gar, dass das Auswärtige Amt den US-Botschafter umgehend einbestellt. So gehe man schließlich nicht mit Freunden um. Aber wie viel ist von der Freundschaft überhaupt noch übrig?
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Die Faust in der Tasche
Das ist die entscheidende Frage, die bei dieser Münchner Sicherheitskonferenz über vielem schwebt. Die Fraktion der Hoffnungsvollen ist unter europäischen Regierung auf den ersten Blick gar nicht so klein. So betonen auch Bundeskanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsminister Boris Pistorius dieser Tage oft, wie wichtig die transatlantischen Beziehungen und wie groß die Abhängigkeiten zwischen Europa und Amerika sind. Die Hoffnung, die dahintersteht, liegt auf der Hand: Die USA sind ein enger Verbündeter und in vier Jahren wird der Republikaner die transatlantischen Beziehungen wohl nicht völlig demolieren können. Und Deutschland möchte nicht mit Trump-Kritik Öl in ein Feuer gießen, dessen Flammen ohnehin schon sehr hochschlagen.
Doch bereits die ersten Wochen seiner zweiten Amtszeit haben gezeigt, dass Trump sich die größte Mühe damit geben wird, in der politischen Statik des transatlantischen Bündnisses keinen Stein mehr auf dem anderen zu lassen. Trotzdem machen die Europäer ihm Angebote, immerhin brauchen sie die USA vor allem in verteidigungspolitischen Fragen. Aber in München haben viele Diplomaten die eine Hand ausgestreckt, die andere ist als Faust in der Tasche.
Jede neue Respektlosigkeit, jede weitere geplante Missachtung des Völkerrechts durch die neue US-Regierung – wie etwa in Gaza oder Panama – befeuern Wut und Entrüstung. Diese Stimmung ist das Grundrauschen der diesjährigen Sicherheitskonferenz. Überall ist es hörbar, bei jedem Gespräch schwingt es im Hintergrund mit.
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Angespannte Stille im Saal
Doch der laute Gewittersturm kommt an diesem Freitag erwartbar erst mit Vance. Als der Vizepräsident die Bühne der großen Konferenzhalle betritt, ist die Anspannung im Publikum merklich. Erst höflicher Applaus, danach erwartungsvolle Stille. Jedes Räuspern, jedes Husten fällt auf.
Vance hat zwanzig Minuten Redezeit und er beginnt zunächst mit ein paar Danksagungen und mit einigen warmen Worten. Er freue sich, zusammen mit seiner Frau wieder nach Deutschland reisen zu können. In der Vergangenheit seien sie auch privat schon einmal nach München gekommen und sie beteten für die Opfer des Terroranschlags am Vortag. Applaus. Nach eineinhalb Minuten drehen sich einige Köpfe zu der Uhr um, die am anderen Ende des Raumes erhöht angebracht ist und auf der in großen grünen Ziffern die Redezeit herunterläuft.
Trumps Vize spricht – und noch ist nichts kaputtgegangen. Doch dann scherzt Vance: "Es ist hoffentlich nicht der letzte Applaus, den ich heute bekomme." Stille. Angespannte Stille.
Danach passiert das, was einige Analysten im Vorfeld der Sicherheitskonferenz befürchtet hatten. Vance ätzt gegen Europa, unterstellt europäischen Regierungen Methoden wie in der Sowjetunion. Trump sei besorgt über die europäische Sicherheit, sagt er. Aber die Bedrohung, die Vance sehe, seien nicht Russland, China oder andere externe Akteure, sondern Bedrohungen aus dem Inneren heraus, aus Europa selbst.
Zu diesem Zeitpunkt geht ein empörtes Grummeln durch die Menge. Einige Politiker lachen verächtlich, andere blicken versteinert hoch zu Trumps Vizepräsidenten. Eigentlich waren zumindest politische Entscheider davon ausgegangen, dass auch die neue US-Regierung sich vor allem auf China fokussiere. Nun erscheint klar: Auch den politischen Eliten in Europa sagt Trump den Kampf an.
Stimmungsmache für AfD
Vance hält am Freitag eine außenpolitische Grundsatzrede, ohne große politische Inhalte, aber mit viel ideologischem Überbau. Er bekräftigt, dass die außenpolitischen Leitplanken der Trump-Regierung der Kampf gegen Zensur und Massenmigration seien. Kurz gesagt: Die unkontrollierte Migration sei laut dem Vizepräsidenten für Anschläge in Europa verantwortlich. "Wie oft müssen wir das noch erleben, bevor wir den Kurs ändern?", fragt Vance.
Mit Zensur meint der Trump-Vertraute vor allem, dass bürgerliche Parteien in Europa oft die Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten vermeiden. Für Vance ist das undemokratisch. Obwohl in Ländern wie Deutschland Mehrheiten der Bevölkerung und Parteien Regierungsbeteiligungen der AfD ablehnen. Auch, dass die AfD laut aktuellen Umfragen gerade einmal die Ansichten von 20 Prozent der Bevölkerung vertritt, stört Vance nicht.
Im Gegenteil. Er kritisiert, dass Parteien wie AfD und BSW nicht zur Sicherheitskonferenz eingeladen werden.
Somit wird auch auf der Sicherheitskonferenz deutlich, dass die Trump-Regierung versucht, Meinungskorridore weiter nach rechts zu verschieben. Unter dem Deckmantel des "Kampfes gegen Desinformation" würden europäische Bevölkerungen unterdrückt werden, meint Vance in seiner Rede. Das sei die wahre Gefahr, durch die die Demokratien des Westens bedroht würden, nicht durch "externe Akteure" wie Russland oder China. Er wirft europäischen Staaten vor, mit Gesetzen gegen Hassrede in sozialen Netzwerken "Gedankenverbrechen" zu bestrafen. Und damit sei nun Schluss. Trump werde sich für die Meinungsfreiheit einsetzen. "Es ist ein neuer Sheriff in der Stadt", rief Vance. Stille im Saal. "Es gibt keinen Platz für Brandmauern." Empörtes Murmeln. Diese Aussage schockiert besonders.
Vance befeuert rechten Kulturkampf
Es sind Worte, die in Deutschland eine besondere Bedeutung haben – und davon weiß Vance. Er muss die AfD gar nicht namentlich erwähnen, es reicht die bloße Andeutung, damit alle Zuhörerinnen und Zuhörer verstehen, was damit gemeint ist. Trump möchte eine Woche vor der Bundestagswahl die deutschen Rechtspopulisten stärken.
Trump hätte damit seine Rache. Denn viele europäische Regierungen hatten sich im US-Wahlkampf erst für Joe Biden und danach für Kamala Harris stark gemacht.
Vance geht von der Bühne mit verhaltenem Höflichkeitsapplaus. Im Publikum herrscht nun Gewissheit: Es geht den USA nicht um Sicherheitspolitik, Trump ließ auch nicht seinen großen Friedensplan für die Ukraine skizzieren. Priorität hat der rechte Kulturkampf, erst danach kommt die Sicherheitspolitik.
Der US-Vizepräsident verlässt den Saal und daraufhin im Eiltempo das Hotel und trifft im Anschluss in München AfD-Chefin Alice Weidel in einem Hotel. Die Stimmung ist gedämpft. EU-Diplomaten berichten von positiven Gesprächen, die man mit Vance hinter verschlossenen Türen gehabt habe. Andere äußern die Hoffnung, dass nicht zu viele Wahlberechtigte die indirekte Wahlwerbung für die AfD gehört haben. Es bleibt ein Hauch Zuversicht, aber den Europäern bleibt auch keine andere Wahl. Es muss – und darüber sind sich die Europäer einig – möglichst viel gerettet werden von der transatlantischen Zusammenarbeit.
Doch mit Trump dreht sich die Welt anders. Das wird deutlich als der chinesische Außenminister Wang Yi die Bühne betritt und vor allem über die Wichtigkeit einer neuen multipolaren Weltordnung spricht. Derartige Reden hielt die chinesische Führung schon oft, aber selten hörten sich die Worte für viele bei der Sicherheitskonferenz vergleichsweise vernünftig an. Besonders in Kontrast zu der Eiszeit, mit der die neue US-Regierung aktuell die transatlantische Partnerschaft überzieht.
- Beobachtungen und Gespräche bei der Münchner Sicherheitskonferenz