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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Eine unangenehme und schlechte Sache" Russlands Wirtschaft kriselt – Putin sucht einen Sündenbock
Die Lage der russischen Wirtschaft bereitet Kremlchef Wladimir Putin offensichtlich Sorgen. Jetzt erhöht er den Druck auf die Zentralbankchefin. Die verstand seinen Wink offenbar.
Wenn ein Thema dem russischen Präsidenten aktuell großes Kopfzerbrechen bereitet, dann ist es wohl die Wirtschaft seines Landes. Der Rubelkurs ist zuletzt eingebrochen, während die Inflation in die Höhe schießt – und darüber hinaus belasten Moskau teils scharfe Sanktionen, die der Westen nach der Invasion der Kremltruppen in die Ukraine sukzessive verhängt hat.
Bei seiner großen Jahrespressekonferenz am Donnerstag fiel es Kremlchef Wladimir Putin entsprechend schwer, seine Bevölkerung mit Blick auf die wirtschaftliche Lage zu beruhigen. "Es gibt hier einige Probleme, nämlich die Inflation, eine gewisse Überhitzung der Wirtschaft", erklärte Putin. Die Regierung sowie die Zentralbank seien jedoch schon damit beauftragt, das Tempo der Inflation zu drosseln. Er sprach von einem "alarmierenden Signal", nannte die wirtschaftliche Lage aber auch "stabil und zuverlässig".
Putin wälzt Verantwortung auf Zentralbank ab
Mit Blick auf die Überhitzung seiner auf Krieg getrimmten Wirtschaft gab Putin auch einen klaren Auftrag aus. Die Zentralbank möge eine "ausgeglichene" Zinsentscheidung treffen, sagte der 72-Jährige. Es war ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Zentralbankchefin Elwira Nabiullina. Sie hatte Anfang Dezember angekündigt, den Leitzins anheben zu wollen. Am Freitag aber entschied die Zentralbank, diesen bei 21 Prozent zu belassen. Nabiullina hatte den Wink wohl verstanden, denn Putin suchte bereits einen Sündenbock.
"Es wäre notwendig gewesen, diese Entscheidungen rechtzeitig zu treffen", sagte Putin mit Blick auf den Leitzins. Wie hoch der neue Leitzins am Ende tatsächlich ausfallen würde, habe ihm Nabiullina bisher aber nicht mitgeteilt, erklärte er noch am Donnerstag. Die Teuerungsrate in Russland sei "in der Tat eine unangenehme und schlechte Sache". Putin hoffe aber, "dass wir im Allgemeinen, unter Beibehaltung der makroökonomischen Indikatoren, auch damit fertig werden". Ein Protokoll seines Auftritts lesen Sie hier.
Laut seinen Angaben lag die Inflation in Russland über das Jahr hinweg bei etwa 9,2 bis 9,3 Prozent. Experten gehen bis Jahresende sogar von einer Teuerungsrate von bis zu zehn Prozent aus. Putin prognostizierte seinem Land zudem ein Wirtschaftswachstum von bis zu "vielleicht sogar vier Prozent". Im kommenden Jahr erwartet er demnach ein schwächeres Wachstum von rund zwei Prozent. Putin nannte das eine "weiche Landung".
Russlands Wirtschaft kämpft mit massiven Problemen
Die russische Wirtschaft steht vor mehreren Problemen. In den vergangenen Jahren pumpte der Kreml hohe Summen in die Armee und die Rüstungsindustrie. So entstanden rund zwei Millionen neuer Jobs, die das Wirtschaftswachstum kräftig ankurbelten. Doch dabei stößt das Land nun an seine Grenzen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei nur 2,4 Prozent. Es fehlt an Arbeitskräften, um die weiterhin hohe Nachfrage zu bedienen.
- Russlands Wirtschaft vor dem Kollaps? "Dann bleibt Putin nur ein Ausweg"
Hinzu kommen westliche Sanktionen, die vor allem Importe für Russland deutlich verteuern. Die Strafmaßnahmen erschweren dem Land einerseits die Logistik, da viele Güter nicht auf direktem Wege, sondern nur über Drittstaaten eingeführt werden können. Andererseits können russische Unternehmen wegen der Sanktionen gegen den Finanzsektor internationale Zahlungen nur noch auf kompliziertem Wege abwickeln, zumeist ebenfalls über Drittanbieter, die kräftig mitverdienen wollen. Hinzu kommen deutliche gesunkene Einnahmen aus Exporten von Öl, Gas und Kohle.
Und dann brach im November nach neuen US-Sanktionen gegen Russland auch noch der Rubelkurs im Vergleich zum US-Dollar um 15 Prozent ein. "Wir haben einen neuen inflationsfördernden Faktor, den Wechselkurs", räumte Zentralbankchefin Nabiullina Anfang Dezember ein.
Das Mittel der Wahl der Zentralbank zur Bekämpfung der Preissteigerungen war bisher die stetige Anhebung des Leitzinses. Berichten zufolge soll sie sogar eine Anhebung auf 23 Prozent im Dezember geplant haben. Zum Vergleich: In der EU liegt dieser derzeit bei drei Prozent.
Nabiullina sieht sich wegen ihrer Geldpolitik schon länger scharfer Kritik kremlnaher Kräfte ausgesetzt. Erst Mitte November veröffentlichte das Zentrum für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognosen eine Studie, in der es mit Blick auf den hohen Leitzins vor einem Schock für die russische Wirtschaft warnte. Die Produktion könnte einbrechen, vielen Unternehmen drohen Zahlungsausfälle oder Insolvenz.
Nabiullina garantierte bisher stabile Wirtschaft
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Nabiullina ist bereits seit 2013 oberste russische Währungshüterin. Damit steht sie als erste Frau an der Spitze der Zentralbank in Moskau. Bisher verfolgte sie dabei stets einen harten Kurs. Damit führte sie die russische Wirtschaft bisher zwar stabil durch die Krise, eckte jedoch auch häufiger bei Putin an. Erst Anfang des Jahres gab es Streit wegen der Fortführung von Kapitalkontrollen zur Stabilisierung des Rubels. Putin wollte diese fortführen, Nabiullina nicht.
Der Kremlchef weiß aber auch, was er an Nabiullina hat: Ohne ihre stabilisierenden Maßnahmen wäre Russlands brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine wohl nicht möglich gewesen. Zudem hat sie seit ihrem Amtsantritt die russische Wirtschaft modernisiert und Banken, die als korrupt galten, geschlossen. Es gilt als unwahrscheinlich, dass Putin sie bald des Amtes enthebt. Mehr zu Nabiullina lesen Sie hier.
Dennoch steigt der Druck. Nicht nur schwächelt die heimische Wirtschaft, sie steht auch ausgerechnet im Vergleich zur ukrainischen Wirtschaftsleistung schlecht da. Wie der britische "Economist" berichtet, ist die ukrainische Währung Hrywnja stabil. Zudem soll die ukrainische Wirtschaft in diesem Jahr um vier Prozent wachsen, im kommenden Jahr sogar um 4,3 Prozent. Auch der Leitzins liegt derzeit mit 13,5 Prozent auf dem tiefsten Wert seit mehr als zwei Jahren. Putin dürfte all das nicht gefallen.
- swp-berlin.org: "Russlands Wirtschaft am Wendepunkt"
- understandingwar.org: "Russian Offensive Campaign Assessment, December 19, 2024" (englisch)
- reuiters.com: "Putin urges 'balanced' central bank rate decision for overheating economy" (englisch)
- economist.com: "Ukraine is winning the economic war against Russia" (englisch)
- fr.de: "Steigender Druck auf Russlands Wirtschaft: Offener Streit zwischen Putin und der Zentralbankchefin"
- tagesspiegel.de: "Währungsverfall in Russland: Das ist die Retterin von Putins Kriegswirtschaft" (kostenpflichtig)