Massenexplosion im Libanon Insider: Israel manipulierte Pager – Hersteller äußert sich
Im Libanon explodieren zeitgleich Hunderte Pager. Angeblich wurden sie von israelischen Agenten auf dem Lieferweg abgefangen und mit Sprengstoff versehen.
Die zeitgleich und zu Hunderten im Libanon explodierten Funkempfänger sind Medienberichten zufolge vermutlich von israelischen Agenten vorher mit Sprengstoff präpariert worden. In 5.000 Pagern des taiwanesischen Herstellers Gold Apollo sei bereits bei der Produktion eine kleine Menge Sprengstoff versteckt worden, sagten ein hochrangiger libanesischer Sicherheitsbeamter und eine weitere mit der Angelegenheit vertraute Person am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters.
Israelische Agenten hätten die in Taiwan hergestellten Geräte vor der Ankunft im Libanon abgefangen und mit jeweils etwa 25 bis 50 Gramm Sprengstoff bestückt, berichtete die "New York Times" unter Berufung auf amerikanische und andere Behördenvertreter, die über die Operation informiert worden seien.
"Der Mossad hat eine Platine mit Sprengstoff und einem Code in das Gerät eingeschleust. Es ist sehr schwierig, das mit irgendwelchen Mitteln zu entdecken, selbst mit Geräten oder Scannern", meinte auch der libanesische Sicherheitsbeamte. Die 5.000 Pager seien von der libanesischen Hisbollah-Gruppe bestellt und Anfang des Jahres ins Land gebracht worden. 3.000 der Pager seien am Dienstag explodiert, als eine verschlüsselte Nachricht an sie gesendet wurde, die gleichzeitig den Sprengstoff aktivierte. Israel reagierte zunächst nicht auf Anfragen von Reuters.
Der Hersteller Gold Apollo wies Vorwürfe zurück, dass das Unternehmen die bei den Explosionen verwendeten Pager hergestellt habe. "Das Produkt war nicht von uns. Es trug nur unseren Markennamen", sagte Firmengründer Hsu Ching-Kuang. Der Deutschen Presse-Agentur erklärte Gold Apollo, die Pager seien von einer Firma in Ungarn hergestellt, die das Recht habe, die Marke der taiwanesischen Firma zu verwenden. Auch Gold Apollo sei Geschädigter des Vorfalls. "Wir sind eine verantwortungsvolle Firma. Das ist sehr peinlich", sagte er.
Schadsoftware wohl eher nicht für Explosionen verantwortlich
Die Kämpfer der Hisbollah benutzen Pager als einfaches Kommunikationsmittel, um der Ortung durch Israel auf Smartphones zu entgehen. Insidern zufolge waren die modifizierten Geräte Anfang des Jahres ins Land gelangt und monatelang unbemerkt geblieben.
Es sei zwar möglich, dass Hacker die Batterien in den Pagern mit Schadsoftware durch Erhitzen zum Explodieren brachten, zitierte das "Wall Street Journal" den Geschäftsführer einer US-Firma für Cybersicherheit. Aber das wäre sehr schwierig. Die Hacker müssten nicht nur die Marke und das Modell genau kennen, auch wäre der Effekt nicht so heftig gewesen, wie es Videos der Explosionen vermuten lassen, sagte der Experte. Wahrscheinlicher sei auch seiner Einschätzung nach, dass eine Lieferung der Pager auf dem Weg vom Hersteller zum Bestimmungsort abgefangen und mit Sprengstoff samt einem Code versehen wurde.
Bei den gleichzeitigen Explosionen wurden im Libanon nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums rund 2.750 Menschen verletzt und neun Menschen getötet. Unter den Verletzten sollen viele Hisbollah-Kämpfer sein, darunter Mitglieder der Elitetruppe Radwan. Nach Informationen des US-Nachrichtenportals "Axios" legten die Explosionen auch einen wesentlichen Teil des militärischen Kommando- und Kontrollsystems der Hisbollah lahm.
Israel rechnet mit Vergeltungsschlag
Der von Israel ausgeführte Angriff habe darauf abgezielt, die Hisbollah zu verunsichern und in den Reihen der Miliz das Gefühl zu erwecken, dass sie vollständig von israelischen Geheimdiensten durchdrungen sei, zitierte "Axios" eine nicht näher beschriebene Quelle. Israels Armee kommentierte die Vorfälle zunächst nicht, deutete aber an, sich auf eine Vergeltung vorzubereiten.
Generalstabschef Herzi Halevi habe am Dienstagabend eine Lagebesprechung abgehalten, die sich auf die "Bereitschaft in allen Bereichen, sowohl in der Offensive als auch in der Defensive" konzentriert habe, hieß es.
Die pro-iranische Schiitenmiliz machte Israel verantwortlich und kündigte Vergeltung an. Der mit der Hisbollah verbündete libanesische Parlamentsvorsitzende Nabih Berri sprach von einem "Massaker und Kriegsverbrechen Israels". In Gedenken an die Opfer der Vorfälle und aus Protest sollen Schulen und Universitäten im Libanon heute geschlossen bleiben.
Ähnlich fällt die iranische Reaktion aus: Außenminister Abbas Araghchi bezeichnete die Explosionen als Terrorakt und machte Israel als Schuldigen aus. Die Islamische Republik Iran ist ein wichtiger Verbündeter der Hisbollah-Miliz, beide sprechen dem jüdischen Staat das Existenzrecht ab. Araghchi sprach seinem libanesischen Kollegen Abdullah Bou Habib sein Beileid aus und bot die Unterstützung des Iran an.
- Nachrichtenagenturen dpa und Reuters