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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Offenbarend" Experte macht Auffälligkeiten bei Putin-Auftritt aus
Die russische Militärparade zum Tag des Sieges nutzt Putin für eine Propaganda-Show. Er selbst inszeniert sich wie gewohnt – bis auf ein paar Auffälligkeiten.
Am Gedenktag zum Sieg über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg hat der russische Präsident Wladimir Putin die Kampfbereitschaft seines Landes hervorgehoben.
Während seiner Rede, während seines Rundgangs über den Roten Platz und vorbei an den Menschenmassen, erkennt der Körperspracheexperte Stefan Verra einige Besonderheiten, die an Putin sonst nicht so oft zu sehen sind.
Bei der Parade zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs marschieren traditionell Tausende Soldaten über den Roten Platz, es werden Panzer, Kampfjets und Raketenwerfer präsentiert.
Zur Person
Stefan Verra ist einer der gefragtesten Körpersprache-Experten. Jährlich begeistert er tausende Menschen von Europa über die USA bis nach Asien. Zu seinen Auftraggebern zählen die NATO, US-Navy sowie global führende Unternehmen und Organisationen. Seine Analysen werden regelmäßig in den Medien publiziert. Der Bestseller-Autor gibt regelmäßig Körpersprachetipps für seine 150.000 Follower auf Social Media.
Laut russischen Medien nahmen mehr als 9.000 Soldaten an der Parade teil. Dennoch fiel die Parade im Vergleich zu den Vorjahren kleiner aus, da Moskau seine Ressourcen für die Ukraine-Front einsetzt.
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"Wladimir Putins Körpersprache sendet Signale aus, die wir so selten von ihm zu sehen bekommen. Gleich vorweg: Seine Rede zum Sieg über Nazideutschland ist eine typische Putin-Rede. Ja, sie ist ein wenig lebendiger, sie ist ein wenig kraftvoller. Aber es ist noch immer keine große Rede. Er ist und bleibt einfach kein großer Redner, kein großer Begeisterer. Sehr offenbarend allerdings, ist seine Körpersprache abseits der großen Bühne.
Wir sehen ihn hier in der Runde stehen. Natürlich ist er Alphatier. Man sieht es, wie sich alle um ihn scharen, seinen Blick suchen. Er wendet sich schnell nach links, schnell nach rechts. Er geht aus der Runde raus. Die Leute folgen ihm. Er lächelt und blickt ins Publikum. Sein Gang ist auch sehr beschwingt, und das signalisiert Leichtigkeit. Und das ist das spannende Signal.
Möglicherweise verspürt er Rückenwind durch die Fortschritte in der Ukraine. Auf jeden Fall ist es ein Signal an die Bevölkerung, das Sicherheit und Zuversicht vermittelt. Oft sieht man solche Signale von Wladimir Putin nicht. Aber er wäre nicht Wladimir Putin, wenn er nicht sehr schnell in seine typische Haltung verfallen würde. Das ist, den Körper ein wenig nach vorne gebeugt, den Blick Richtung Boden und das Publikum weitestgehend meiden.
Und das ist eigentlich eine vertane Chance, denn er könnte jetzt für die Kameras und fürs Publikum winken, Blickkontakt mit der Bevölkerung aufnehmen, das würde Nähe erzeugen. Nein, das macht er nicht. Er sucht immer das Gespräch. Den Kontakt zu seinem Vertrauten. Aber interessanterweise immer ohne Blickkontakt zu denen zu halten. Ein archaisches Prinzip. Männer, mehr als Frauen schauen mehr in der Gegend herum, halten weniger Blickkontakt.
Und da ist Wladimir Putin eben ein typischer Mann. Typisch männlich ist auch seine Haltung beim Gehen — vorgebeugt, wie gesagt. Er schwingt aber auch sehr stark mit seinen Armen. Ja, ein wenig asymmetrisch, da wurde schon sehr viel pseudowissenschaftlich hineininterpretiert. Daran ist nichts herauszulesen. Nahezu jeder Mensch schwingt ein wenig asymmetrisch. Und wie wir hier sehen, ist die Asymmetrie nicht etwas Stabiles.
Er schwingt auch immer wieder mit beiden Armen. Was aber noch auffällt: Zum Schwingen der Arme hält er seine Handrücken nach vorne gedreht, und das verspricht Kraft. Das unterstreicht noch mal seine Männlichkeit. Warum männlich? Männer haben im Durchschnitt besser entwickelte Pectoralismuskeln, also Brustmuskeln und breite Rückenmuskeln, Latissimus dorsi. Wenn die gut entwickelt sind, dreht sich die Körperhaltung automatisch so nach vorne.
Das verspricht eben Kraft. Wladimir Putin kann aber auch sehr charmant sein. Seine Militärs begrüßt er noch in typischer Politiker Manier, nämlich: Er schüttelt einer Person die Hand. Sein Blick ist aber schon bei der nächsten Person. Das wirkt routiniert und nicht besonders nahe. Kaum aber kommt er zu den Veteranen, verändert er das. Er bleibt bei jedem einen Augenblick stehen, schüttelt die Hand und ist plötzlich synchron mit Blickkontakt und Hand schütteln.
Und schon entsteht eine unglaubliche Nähe. Ja, er wendet sich sogar einmal zurück. Und das dürfen wir nicht übersehen: Diese Aufmerksamkeit, diese körpersprachliche Präsenz gilt ja nicht nur den Veteranen. Es ist ein Signal an alle Russinnen und Russen. 'Die Veteranen sind mir wichtig.' Und das verstärkt er noch einmal. Er sitzt neben zwei Veteranen, sehr aufmerksam, mit einem relativ freundlichen Gesicht.
Und damit will er wohl das Militär und die Veteranen ins Zentrum rücken. Insgesamt also ein typischer Putin, der aber auch sehr viele Signale des Charmes aussendet. Und damit gewinnt er wohl innerhalb von Russland wiederum viele Sympathien."
Im Video oben erfahren Sie, mit welchen Details der Präsident dieses Mal überrascht und was sein Gang und seine Handrücken bedeuten könnten.
- Material von Stefan Verra, Körperspracheexperte
- Stefan Verra Website