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Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza angegriffen: Was sagt das Völkerrecht dazu?


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Soldaten stürmen Krankenhaus
Darf Israel das?


Aktualisiert am 16.11.2023Lesedauer: 6 Min.
Israelische Soldaten in Gaza: Die Armee führt im Al-Schifa-Krankenhaus nach eigenen Angaben eine "gezielte Operation" gegen die Hamas durch.Vergrößern des Bildes
Israelische Soldaten in Gaza: Die Armee führt im Al-Schifa-Krankenhaus nach eigenen Angaben eine "gezielte Operation" gegen die Hamas durch. (Quelle: Screenshot: Israelische Armee/YouTube)
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Nach den brutalen Angriffen der Terrororganisation Hamas macht Israel Gebrauch von seinem Selbstverteidigungsrecht. Doch was ist im völkerrechtlichen Rahmen erlaubt?

Israelische Truppen sind in der Nacht zum Mittwoch in das Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt vorgedrungen. Nach Angaben der israelischen Militärführung soll es sich um gezielte Aktionen in einigen Teilen des Gebäudekomplexes handeln. Mehr dazu lesen Sie hier.

Normalerweise stehen Krankenhäuser unter besonderem völkerrechtlichen Schutz und dürfen nicht angegriffen werden. Doch Israel vermutet, dass sich unter dem Krankenhaus Räumlichkeiten der Hamas-Führung befinden. Auch die USA schlossen sich dieser Analyse an und erklärten: Die Al-Schifa-Klinik sei ein "Kommando- und Kontrollknoten" für die Terrorgruppe. Ob Israel das Krankenhaus angreifen darf und an welche Regelungen sich Israel und die Hamas allgemein halten müssen, lesen Sie im folgenden Überblick.

Darf Israel sich verteidigen?

Grundsätzlich haben sich die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (UN) in der UN-Charta darauf geeinigt, "Androhung oder Anwendung von Gewalt" gegen andere Staaten zu unterlassen. Wird ein Staat angegriffen, hat er dennoch ein "Selbstverteidigungsrecht", welches in Artikel 51 der UN-Charta geregelt ist. Das gilt natürlich auch für Israel.

Allerdings wurde Israel am 7. Oktober von der Terrororganisation Hamas angegriffen – nicht von einem Staat. "Und dennoch hat Israel das Selbstverteidigungsrecht auch in diesem Fall. Das ergibt sich aus dem Völkergewohnheitsrecht", erklärte Christoph Safferling, Professor für Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Mitte Oktober der "Tagesschau".

Das Völkergewohnheitsrecht ist ein ungeschriebenes Recht und basiert nicht auf einer direkten Gesetzgebung. Es entsteht durch eine zeitlich lange Anwendung von Rechtsvorstellungen und Regeln, die alle am Konflikt beteiligten Staaten als verbindlich akzeptieren.

Der Direktor des Instituts für Völkerrecht an der Universität Bonn, Matthias Herdegen, kommt zu dem gleichen Schluss, argumentiert im Interview mit der Onlinezeitschrift "Legal Tribune Online" (LTO) aber, dass das Recht auf Selbstverteidigung auch bei Angriffen von nichtstaatlichen Organisationen gelte, weil das seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Konsens sei. "Israel darf sich gegen den Angriff verteidigen – auch mit massiven Militäroperationen in Gaza."

Wie lange darf Israel sich verteidigen?

"So lange, bis die Bedrohung verlässlich ausgeräumt ist", erklärte Herdegen. Laut ihm wäre das der Fall, wenn das Aggressionspotenzial der Hamas völlig neutralisiert wäre oder die Terrororganisation zuverlässig zu erkennen gäbe, dass sie von solchen Angriffen dauerhaft Abstand nehmen wird. "Damit wird aber niemand rechnen können."

Wie weit darf die Verteidigung gehen?

Eine klare Grenze liegt bei Zivilisten. "Unabhängig davon, wer den bewaffneten Konflikt ausgelöst hat, gelten für alle Konfliktparteien die Regeln des humanitären Völkerrechts", schreiben die Völkerrechtlerin Lisa Wiese und Muriel Asseburg, Politikwissenschaftlerin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer Analyse. Das bedeutet unter anderem, die Zivilbevölkerung muss größtmöglich geschont werden.

Israel darf Gewalt immer nur zur Selbstverteidigung anwenden – also um die Gefahr und den bestehenden Angriff tatsächlich zu beenden. Die militärischen Aktionen müssen sich also auf die Terroristen der Hamas beschränken, die Zivilbevölkerung darf die israelische Armee nicht gezielt angreifen. Die Handlungen müssen immer verhältnismäßig sein – eine Wortwahl, die viel Interpretationsspielraum lässt.

Auch Krankenhäuser und medizinisches Personal stehen nach Artikel 18 der Genfer Konvention unter einem besonderen Schutz und dürfen "unter keinen Umständen das Ziel von Angriffen bilden". Sie sollen jederzeit von den am Konflikt beteiligten Parteien geschont und geschützt werden. Ein vorsätzlicher Angriff auf Krankenhäuser stellt nach dem Römischen Statut ein Kriegsverbrechen dar.

Was bedeutet das für die Situation im Al-Schifa-Krankenhaus?

Die völkerrechtliche Situation ist komplex: Nach israelischen und auch US-amerikanischen Geheimdienstinformationen nutzt die Terrororganisation das Krankenhaus und die darunterliegenden Tunnel zur Verschleierung militärischer Operationen. Auch aus Israel entführte Geiseln würden dort festgehalten, heißt es von der israelischen Armee. Die Hamas und der Direktor des Schifa-Krankenhauses bestreiten dies. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben beider Seiten nicht.

Zwar dürfen Kliniken laut humanitärem Völkerrecht nicht angegriffen werden. Sie verlieren aber ihren Schutz, wenn sie militärisch genutzt werden – wenn im Krankenhaus beispielsweise Kämpfer untergebracht oder Waffen gelagert werden. Dann würde das Gebäude nicht mehr als zivil gelten, auch wenn sich noch Zivilbevölkerung im Gebäude befindet. Dennoch muss ein Angriff immer verhältnismäßig sein, was die Schwierigkeit im Einzelfall zeigt.

Video | Israelische Soldaten stürmen Gaza-Krankenhaus
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Quelle: reuters

"Es muss im Einzelfall geklärt werden, ob beispielsweise der Raketenbeschuss eines Krankenhauses durch die Präsenz von Hamas-Kämpfern dort gerechtfertigt und verhältnismäßig war", sagte Völkerrechtler Stefan Talmon im Gespräch mit "Zeit Online". Selbst eine Schule könne zu einem legitimen Angriffsziel werden, wenn sie militärisch von der Gegenseite genutzt werde.

Das erklärte auch Karim Khan, Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag, in einem Artikel im britischen "Guardian". Er betonte: "Die Beweislast dafür, dass dieser Schutzstatus verloren gegangen ist, liegt bei denjenigen, die das betreffende Gewehr, die Rakete oder die betreffende Rakete abfeuern" – in dem Fall Israel. Bei jedem Angriff, der unschuldige Zivilisten oder geschützte Objekte schädigt, muss laut Khan der Angreifer die ordnungsgemäße Anwendung der Grundsätze von Unterscheidung, Vorsorge und der Verhältnismäßigkeit nachweisen.

Ist die Abriegelung des Gazastreifens von Strom und Wasser rechtens?

Israel hatte bereits in den ersten Tagen des Krieges angekündigt, den Gazastreifen zu blockieren und von Strom, Wasser, Benzin und Lebensmitteln abzuschneiden. Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern wurden in Rafah später wieder über den Grenzübergang in den Gazastreifen gelassen – wenn auch nur spärlich. Die Vereinten Nationen, die Weltgesundheitsorganisation und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und vom Roten Halbmond haben ausdrücklich auf die prekäre humanitäre Lage in Gaza hingewiesen.

"Das Aushungern von Zivilpersonen als Mittel der Kriegsführung" ist laut Artikel 14 der Genfer Konvention verboten. Explizit hatte die israelische Regierung bei ihrer zwischenzeitlichen Abriegelung allerdings nicht davon gesprochen, dass es ihr darum gehe. "Humanitäre Hilfe für Gaza? Kein elektrischer Schalter wird umgelegt, kein Wasserhydrant geöffnet und kein Treibstofftransporter wird einfahren, bevor die von Israel entführten Menschen nicht nach Hause zurückgekehrt sind. Humanitäre Hilfe für humanitäre Hilfe. Und niemand wird uns Moral predigen", hieß es etwa vom israelischen Energieminister Israel Katz dazu.

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Laut den Expertinnen Wiese und Asseburg ist eine vollständige Abriegelung, die die Lieferung von Lebensmitteln, Trinkwasser und Medikamenten für Gazas Zivilbevölkerung unmöglich macht, unter keinen Umständen verhältnismäßig und völkerrechtlich zulässig. Das sei etwa bei der Verhinderung der Einfuhr von Treibstoff oder der Lieferung von Strom anders.

Die beiden Expertinnen argumentieren mit dem Artikel 33 der Genfer Konvention, weil die Blockade eine Kollektivstrafe sei und damit gegen das humanitäre Völkerrecht verstoße. Dem Artikel zufolge dürfen "geschützte Personen", wie Zivilisten, nicht "für eine Übertretung bestraft werden, die sie nicht persönlich begangen" haben. "Kollektivstrafen wie auch jede Maßnahme zur Einschüchterung oder Terrorisierung" sind in dem Artikel explizit verboten. Ebenso "Vergeltungsmaßnahmen gegen geschützte Personen und ihr Eigentum".

IStGH-Chefankläger Karim Khan erklärte im "Guardian", dass "die Behinderung von Hilfslieferungen im Sinne der Genfer Konventionen" durchaus ein Kriegsverbrechen darstellen könnte. Ob es sich tatsächlich um ein Kriegsverbrechen handelt, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nicht sicher sagen.

Muss sich die Hamas ans Völkerrecht halten?

Das humanitäre Völkerrecht besteht unter anderem aus den Genfer Konventionen und ihren Zusatzprotokollen, die nur von Staaten unterschrieben werden können. Allerdings sind laut einer Erklärung des Deutschen Roten Kreuzes "alle an einem bewaffneten Konflikt beteiligten Parteien – seien es Staaten oder nicht staatliche Akteure – an das humanitäre Völkerrecht gebunden."

Auch Christoph Safferling, Professor für Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, erklärte der "Tagesschau", die Hamas sei "nach Völkergewohnheitsrecht an das humanitäre Völkerrecht gebunden, so wie das auch beim IS anerkannt ist." Für Terrororganisationen wie die Hamas ist das Völkerrecht allerdings meist kein Maßstab.

Hat sich die Hamas bisher an das Völkerrecht gehalten?

Am 7. Oktober haben Terroristen der Hamas Israel attackiert, Hunderte Zivilisten ermordet und als Geiseln genommen. "Diese Taten stellen einige der schwerwiegendsten Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht dar", schrieb Khan im "Guardian".

"Geiselnahmen stellen einen schweren Verstoß gegen die Genfer Konventionen dar. Es handelt sich um ein Kriegsverbrechen im Sinne des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs", erklärte Khan weiter.

Immer wieder wird den Terroristen der Hamas auch vorgeworfen, die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Die Hamas mache die Deckung durch die Zivilbevölkerung "gewissermaßen zum Teil ihres Kampfes", erklärte Herdegen in der "LTO". "Sie führt die Angriffe aus einem dicht besiedelten urbanen Gebiet heraus und verteidigt sich unter Inanspruchnahme menschlicher Schutzschilde."

Nach Artikel 58 des ersten Zusatzprotokolls der Genfer Konvention müssen "die am Konflikt beteiligten Parteien es vermeiden, innerhalb oder in der Nähe dicht bevölkerter Gebiete militärische Ziele anzulegen." In dem dicht besiedelten Gaza scheint das kaum möglich zu sein. Falls die Hamas aber unter dem Al-Schifa-Krankenhaus tatsächlich eine Militärbasis errichtet hat, müsste die Rechtmäßigkeit für diesen Einzelfall zumindest überprüft werden.

Verwendete Quellen
  • Charta der Vereinten Nationen und Statut des Internationalen Gerichtshofs
  • Genfer Konvention und Zusatzprotokolle
  • Römisches Statut
  • verfassungsblog.de: "Die Gräueltaten der Hamas, Israels Reaktion und das völkerrechtliche Primat zum Schutz der Zivilbevölkerung"
  • tagesschau.de: "Was ist im Krieg erlaubt?"
  • drk.de: "Das humanitäre Völkerrecht"
  • lto.de: "Hamas-Verbrechen auf dem Radar des Internationalen Strafgerichtshofs"
  • zeit.de: "Wer begeht im Gazastreifen Kriegsverbrechen?"
  • theguardian.com: "We are witnessing a pandemic of inhumanity: to halt the spread, we must cling to the law"
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