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Migration: Putin und Lukaschenko spielen mit dem Leid der Asylsuchenden


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Lukaschenko und Putin steuern Migration
Ihr perfider Plan


Aktualisiert am 01.10.2023Lesedauer: 6 Min.
Präsident Lukaschenko in RusslandVergrößern des Bildes
Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko und Kremlherrscher Wladimir Putin in Moskau: Die beiden locken offenbar Migranten nach Europa. (Quelle: Vladimir Astapkovich/Pool Sputnik Kremlin via AP/dpa/dpa)
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Mehr Flüchtlinge gelangen wieder über die sogenannte Belarus-Route in den Westen. Angelockt werden sie von den Regimen in Minsk und Moskau, die teils mit perfiden Mitteln arbeiten.

Das Angebot klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Wer als Flüchtling legal in die EU einreisen wolle, müsse nur in ein Flugzeug steigen, nach Russland oder Belarus fliegen. Von dort gehe es weiter Richtung Westen, für die Weiterreise sei gesorgt.

So oder so ähnlich gehen die Erzählungen, mit denen vermeintliche "Reiseagenturen" in Syrien oder Afghanistan Fernsehwerbung machen und Anzeigen in sozialen Medien schalten. Es klingt wie ein Versprechen für ein neues Leben im Westen, für diejenigen, die zahlen können. Und die Werbung hat Erfolg: Seit einiger Zeit gelangen so Menschen nach Europa, auch nach Deutschland. Perfide daran ist zudem: Die Machthaber Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin mischen kräftig mit.

Die sogenannte Belarus-Route rückt angesichts der Migrationsdebatte erneut in den Fokus. Der Grenzschutz hierzulande verzeichnet wieder mehr Menschen, die über Belarus und anschließend Polen illegal nach Deutschland einreisen. Zwar gibt es etliche weitere Wege, die Balkanroute etwa, die selbst weit verzweigt ist. Doch Visa oder Stempel in Pässen von Geflüchteten, die es nach Deutschland schaffen, zeigen, dass Belarus wieder stärker als Transitland genutzt wird.

Drehkreuz für Asylsuchende

So kamen allein zwischen Januar und Juli 2023 insgesamt 15.000 Menschen über Polen nach Deutschland, wie der Deutschlandfunk unter Berufung auf Zahlen der Bundespolizei meldet. Das sind zweieinhalb Mal so viele wie im Vergleichszeitraum 2022. Zwei Drittel dieser Flüchtlinge sind demnach über Belarus eingereist. Die Menschen stammen meist aus Syrien, der Türkei und Afghanistan und fliegen offenbar direkt nach Minsk oder Moskau und reisen von dort aus weiter.

Recherchen des russischen Dossier-Centers und des "Spiegel" zeigten bereits 2021, dass das staatliche Reiseunternehmen Centr Kurort mit dem belarussischen Außenministerium zusammenarbeitete, Irakern Touristenvisa beschaffte und daraufhin eine Bagdader Airline Flüge nach Minsk aufnahm. Die Rechercheseite reform.by hat entsprechende Flüge identifiziert. In der Folge wurde Polen zu einer Art Drehkreuz für Asylsuchende.

Der Berliner Osteuropaforscher Boris Ginzburg sieht darin Kalkül der Regime in Moskau und Minsk. Ähnlich wie im Jahr 2021, als Belarus Menschen mit erheblichen Einreiseerleichterungen ins Land lockte und dann an die polnische Grenze transportieren ließ, nur um Polen zu zwingen, auf politische Forderungen einzugehen. Nach den gefälschten Wahlen in Belarus im Jahr 2020 und Massenprotesten im Land waren die politischen Beziehungen zum Westen merklich abgekühlt.

Vordergründig erscheine die Fluchtroute über den Osten Europas vielen Menschen sicherer als der Weg mit Booten über das Mittelmeer, sagt Forscher Ginzburg. Dass aber die Einreise weder legal noch ein Übertritt von Belarus in die EU einfach ist, verschwiegen die Schleuser den Menschen.

Diese würden in den jeweiligen Drittstaaten, Syrien, Irak, Afghanistan, repräsentative Büros mit jeweiligen Ansprechpartnern führen, erläutert er. Dort werde die Flucht als "Rundumpaket" organisiert. Gegen die Zahlung von mehreren Tausend – teils bis zu 20.000 – US-Dollar, flögen die Menschen mit Visum nach Russland oder Belarus und würden zunächst in Hotels untergebracht.

Der Politikwissenschaftler Boris Ginzburg forscht an der Freien Universität Berlin im Arbeitsbereich Politik des Osteuropa-Instituts. Er arbeitet zum postsowjetischen Raum und unter anderem zu politischen Auswirkungen von Sanktionen auf Autokratien, nicht-systemische Opposition in Russland und organisierte Kriminalität in den ehemaligen Staaten der UdSSR.

Mit dem Bolzenschneider Richtung Westen

"Dann werden sie instruiert und bekommen teils spezielle Geräte, um sich auf den Weg in die EU zu machen", sagt Ginzburg. Bolzenschneider als Einreiseausstattung für den Westen.

Dass das von Diktator Lukaschenko nicht nur toleriert, sondern auch forciert wird, davon ist der Belarus-Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung, Jakob Wöllenstein, ebenfalls überzeugt. Lukaschenko schwenke hin und her, erst provoziere, dann beschwichtige er. Im Sommer seien die Zahlen der asylsuchenden Menschen in die Höhe geschnellt, so Wöllenstein. "Im September deeskalierte Lukaschenko dann rhetorisch gegenüber Polen und kurz darauf gingen die Migrationszahlen an der polnischen Grenze deutlich zurück. Das ist kein Zufall. Lukaschenko steuert das bewusst."

Den Flüchtenden, sagt Wöllenstein, werde von staatlichen Stellen an den Grenzen aktiv geholfen, die Schwachstellen zu finden. "Natürlich sind die Geheimdienste involviert, sie helfen, in diesen Grenzbereich zu kommen, in dem man sich sonst überhaupt nicht aufhalten darf. Die Menschen campen dann in diesen No-go-Areas." Und die Situation werde aggressiver. Die polnischen Grenzbeamten würden attackiert, mit Steinen beworfen.

Dass das höchstgefährlich abläuft, zeigte sich bereits in der Vergangenheit. Insbesondere im Jahr 2021 hatte Belarus etliche Menschen gewaltsam über die Grenze nach Polen und Litauen gedrängt. Dort wurden Menschen ohne Wasser, Nahrung und medizinische Versorgung sich selbst überlassen.

Es handle sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, schrieb die belarussische Menschenrechtlerin Swetlana Tichanowskaja in einem Presseschreiben im September. Sie schildert Folter durch belarussische Grenzsoldaten. Wer versuche, zurück nach Belarus zu gehen, werde gewaltsam gestoppt – für die Flüchtenden ein brutales Dilemma. Eine Reportage zur Situation an der Grenze lesen Sie hier.

Der Politikwissenschaftler Jakob Wöllenstein ist seit 2019 Leiter des Auslandsbüros Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung. Zuvor war er Länderreferent der Stiftung für Ostmitteleuropa und Osteuropa. Er ist von Litauen aus tätig.

"Hybride Waffe"

Tichanowskaja spricht von einer "künstlich erzeugten Migrationskrise", Forscher Ginzburg davon, dass Lukaschenko Migration als "hybride Waffe" nutze. "Lukaschenko ist ein grausamer Herrscher, aber leider, zynisch gesagt, auch ein kreativer Herrscher", sagt er.

Das übergeordnete Ziel, so der Forscher, sei es, Zwietracht im Westen zu säen, die EU zu destabilisieren. Die verzweifelten und aufgebrachten Menschen an der Grenze stellen Polen und das Bündnis vor die Frage: Wie mit den eigentlich illegal einreisenden Asylsuchenden umgehen? "Das Regime in Minsk nutzt das Elend der Menschen zu politischen Zwecken", sagt Experte Wöllenstein.

Hinzu kommt: In Polen herrscht derzeit Wahlkampf, am 15. Oktober wählen die Polen ein neues Parlament. Steuert Belarus immer mehr Menschen in das Land, verschärft das den ohnehin emotionalen Streit über das sensible Thema. Die Gräben in der politischen Landschaft werden damit tiefer.

Ein Interesse daran hat auch Russland, das ebenfalls mittut, indem es vereinfacht Einreisevisa für Menschen aus Syrien oder etwa Afghanistan ausstellt. Auch Moskau setzt wohl auf die Flüchtlingsdebatte, darauf, für Unmut und Ablehnung geflüchteter Menschen in der westlichen Bevölkerung zu sorgen.

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Denn – das zeigt das Beispiel Deutschland: Neben Menschen aus dem Nahen Osten und Afrika flüchteten im vergangenen Jahr infolge des Angriffskrieges allein mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine in die Bundesrepublik. Das führt unweigerlich zu Debatten über den richtigen Umgang mit den Schutzsuchenden, geeignete Unterkünfte, finanzielle Unterstützung – und am Ende zu Verunsicherung in der Bevölkerung.

"Moskau zielt darauf ab, dass die Solidarität und Unterstützung für die Ukraine schwindet", sagt Experte Wöllenstein. In der Folge könne auch die Bereitschaft sinken, der Ukraine Waffen zu liefern – und das den Kriegsverlauf zu Russlands Gunsten beeinflussen.

Zudem, so Forscher Ginzburg, könne das Anfachen einer Migrationskrise als Rache für die Sanktionen von EU und USA verstanden werden, die trotz aller Umgehungen den Autokraten "Kopfschmerzen" bereite.

Schleuser treten sehr mobil auf

Dass die Zahlen jüngst wieder stiegen, erklärt er auch damit, dass die Ansprachen in Medien der Fluchtländer Wirkung zeigten und zudem nach wie vor über Social Media ein Schneeballsystem greife: Menschen, die erfolgreich nach Europa gelangten, teilten dies mit ihren Smartphones über Internetplattformen, das sähen die Menschen in der Heimat und würden in ihrem Vorhaben bestätigt, die Flucht anzutreten.

Auffällig ist, dass die Schleuser äußerst mobil sind. Über den Sommer habe es einen starken Anstieg von Flüchtenden an der belarussisch-polnischen Grenze gegeben, insbesondere im August, sagt Wöllenstein. Im September verlagerte sich das: Polen hatte 10.000 Soldaten als Verstärkung für die Grenze angekündigt, vor allem als Reaktion auf die Wagner-Soldaten, die Lukaschenko nach dem Aufstand am 24. Juni nach Minsk geholt hatte. "Alle sind wohl noch nicht da, aber es sind etwa 5.000 und 2.000, die die Grenzschützer unterstützen", so Wöllenstein.

Grenzschutz im Sumpfgebiet

"In der Folge wurde der Migrationsdruck sichtbar umgelenkt", sagt er. Und zwar nach Lettland, wo die Grenzen weniger befestigt sind. In kürzester Zeit sei dort der Faktor der ankommenden Flüchtlinge um drei gestiegen.

Die forcierte Migration führt zu Anspannung in der gesamten Region. Litauen etwa, berichtet Wöllenstein, der von Vilnius aus arbeitet, habe reagiert und den Grenzschutz über mehrere Hundert Kilometer und sogar in Sumpfgebieten mit neu gebauten Anlagen verstärkt. Lettland orderte Grenzschutzpersonal von Nachbar Litauen.

Dabei ist man nicht nur besorgt über Asylsuchende – sondern auch über in Belarus stationierte Wagner-Söldner. Diese könnten sich, so die Befürchtung, unter die Migranten mischen und getarnt in Nato-Gebiet gelangen.

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Boris Ginzburg, 25. September 2023
  • Videogespräch mit Jakob Wöllenstein, 27. September 2023
  • deutschlandfunk.de: "Migration | Russlands Einfluss auf Schleusernetzwerke", 27.09.2023 (Audio)
  • Pressemitteilung des Büros von Swetlana Tichanowskaja: "Office Of Sviatlana Tsikhanouskaya’s Brief Paper On The Law And Democracy Report 'Crimes Against Humanity In Belarus. Legal Analysis And Accountability Options'" (englisch)
  • bbc.ru: "Норвегия начала выдворение беженцев обратно в Россию" (russisch)
  • dossiercenter.ru: Минск мстит Европе с помощью беженцев из Ирака (russisch)
  • dw.com: "Гостурфирма из Беларуси помогала иракцам проникать в Литву" (russisch)
  • reform.by: "Кто стоит за потоком мигрантов из Беларуси в Литву. Расследование Reform.by" (russisch)
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