Fischer im Mittelmeer "Statt Fischen finde ich manchmal auch Leichen"
Tunesien entwickelt sich zum Dreh- und Angelpunkt für Flüchtlingsströme nach Europa. Vor der Küste kommt es dadurch immer häufiger zu schockierenden Funden.
Immer mehr Migranten versuchen, Europa über das Mittelmeer zu erreichen – oftmals kentern Boote und viele Menschen sterben, wie etwa vergangene Woche. Wie groß das Ausmaß der Not und Verzweiflung derjenigen, die die gefährliche Reise über das Mittelmeer antreten, ist, zeigt sich auch an den Küsten Tunesiens.
So berichtete der tunesische Fischer Oussame Dabbebi im Gespräch mit der BBC: "Statt Fischen finde ich manchmal auch Leichen." Beim ersten Mal habe er Angst gehabt, dann habe er sich Schritt für Schritt daran gewöhnt. "Nach einer Weile macht es keinen Unterschied mehr, ob ich einen Fisch oder eine Leiche aus meinem Netz hole", so Dabbebi. Der 30-jährige Fischer habe innerhalb von drei Tagen 15 Leichen von Migranten in seinen Netzen gefunden, sagte er der BBC. Einmal sei die Leiche eines Babys darunter gewesen: "Wie kann ein Baby für irgendetwas verantwortlich sein? Ich habe geweint."
Schon seit seinem zehnten Lebensjahr fische Dabbebi in den Gewässern in der Nähe Tunesiens zweitgrößter Stadt Sfax. Damals habe es noch viele weitere Fischer gegeben, doch die meisten hätten ihre Boote für viel Geld an Schlepperbanden verkauft. Auch ihm hätten sie für sein Fischerboot viel Geld geboten, sagte er. "Viele Male haben mir Schmuggler unglaubliche Summen für mein Boot angeboten. Ich habe immer abgelehnt, denn wenn sie mein Boot benutzen und jemand ertrinkt, würde ich mir das nie verzeihen."
Die "Katastrophenkammer"
Seit 2014 sind im gesamten Mittelmeerraum mehr als 27.000 Menschen bei dem Versuch gestorben, Europa zu erreichen. Auch die Menschen vor Ort stelle dies vor große Herausforderungen, sagte Dabbebi. Der Direktor der regionalen Gesundheitsbehörde von Sfax, Hatem Cherif, kritisierte die mangelnde Infrastruktur und mangelnde Ressourcen, um alle Todesfälle zu bewältigen.
"Die Kapazität der Leichenhalle des Krankenhauses ist auf maximal 35 bis 40 Leichen ausgelegt", sagte er der BBC. Unter normalen Umständen reiche das aus, aber bei diesem Zustrom von Toten, der immer weiter zunehme, sei die Zahl der Leichen, die aufgenommen werden könnten, weit überschritten. So seien erst vor Kurzem etwa 250 Verstorbene in die Leichenhalle gebracht worden, von denen der Großteil in einem gekühlten Nebenraum – "Katastrophenkammer" genannt – übereinander gelagert wurde.
Zudem könnten viele der Toten nicht identifiziert werden, weshalb Dr. Cherif und seine Kollegen DNA-Tests organisierten. So könnten Menschen feststellen, ob ihre Verwandten hier begraben sind. Dafür müssten sie ihre eigene DNA auf Übereinstimmungen überprüfen lassen, erklärte Cherif der BBC.
Tunesien als neuer Ausgangspunkt für Flüchtlingsströme
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks haben zwischen Januar und April dieses Jahres rund 24.000 Menschen Tunesien verlassen, um nach Europa zu gelangen. Heute gilt Tunesien als Dreh- und Angelpunkt für Migranten, die nach Europa wollen – zuvor war es noch Libyen. Jedoch haben instabile politische Verhältnisse sowie Gewalt gegen Geflüchtete dazu geführt, dass immer mehr Migranten von Tunesien aus Europa ansteuern.
Erst vergangene Woche war ein Fischkutter mit bis zu 700 Migranten an Bord in internationalen Gewässern vor Griechenland gesunken. Er kam aus Libyen und hatte Italien zum Ziel. Ein Großteil der Migranten ist ertrunken.
Spätestens seit dem Asylkompromiss der EU-Innenminister sind Spitzenpolitiker und Beamte vor Ort in gleicher Weise bemüht, den Strom der Migranten einzudämmen. Mehr dazu lesen Sie hier.
- bbc.com: "Migrant crisis: Tunisian fisherman finds dead bodies in his net" (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa