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EU will Asylkompromiss – doch die Staaten sind völlig zerstritten


Kontrolle der Außengrenzen
Warum die EU-Asylreform zu scheitern droht

Von dpa, cck

Aktualisiert am 08.06.2023Lesedauer: 4 Min.
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Innenministerin Nancy Faeser: Sie verhandelt an diesem Donnerstag über die Reform der europäischen Asylpolitik. (Quelle: John MacDougall)
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In Europa kommen seit Monaten wieder deutlich mehr Flüchtlinge an. Die EU-Staaten wollen deswegen das Asylsystem schnell reformieren. Doch ihre Positionen liegen weit auseinander.

Die EU-Innenminister beraten an diesem Donnerstag über die seit Jahren strittige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Der Druck ist groß, eine Einigung zustande zu bringen. Denn die Asylzahlen sind im Vergleich zu den vergangenen Jahren gestiegen, in vielen Ländern stehen die Regierungen innenpolitisch unter Zugzwang.

So auch in Deutschland. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte vor den Beratungen in Luxemburg: "Sollten wir heute scheitern oder in den nächsten 14 Tagen, dann ist es ein falsches Signal, das würde zu nationaler Abschottung führen." Tatsächlich erwägen immer mehr Staaten derzeit Grenzkontrollen einzuführen. Die EU-Kommission drängt auch deshalb mit Nachdruck auf einen Kompromiss.

Doch worum geht es in der Reform? Was sind die strittigen Punkte? Und wie groß sind die Chancen, dass es zu einer Einigung kommt? Ein Überblick:

Asylverfahren an der Grenze

Unter anderem geht es darum, ob einige Asylverfahren schon an den EU-Außengrenzen stattfinden sollen. Wer aus einem Staat einreist, der als relativ sicher gilt, könnte künftig nach dem Grenzübertritt in eine streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtung kommen. An der Grenze soll dann innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat – wenn nicht, würde er umgehend zurückgeschickt werden.

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Welche Staaten als relativ sicher gelten, ist derzeit Bestandteil der Verhandlungen. Dabei spielt einerseits das Herkunftsland eine Rolle. Liegt die Schutzquote des Herkunftsstaates bei 20 Prozent oder niedriger, sollen die Menschen das Schnellverfahren durchlaufen, schlägt die EU-Kommission vor. Die Schutzquote beschreibt dabei den europaweiten Anteil der Asylbewerber, deren Gesuch angenommen wird.

Die Bundesregierung will zudem durchsetzen, dass Minderjährige und Familien mit Kindern diese Verfahren nicht durchlaufen müssen. Im Ursprungsvorschlag der EU-Kommission heißt es: "Unbegleitete Kinder und Kinder unter zwölf Jahren mit ihren Familienangehörigen sind vom Grenzverfahren ausgenommen, sofern keine Sicherheitsbedenken bestehen." So sehen es auch andere wichtige EU-Staaten wie Frankreich.

Konzept der "Sicheren Drittstaaten"

Zudem soll auch der Weg des Asylbewerbers eine Rolle spielen. Dazu wird über eine Ausweitung des Konzepts der sicheren Drittstaaten diskutiert. Die Idee: Reist jemand aus einem sicheren Staat ein, soll das ein Grund sein können, um den Asylantrag pauschal abzulehnen.

Hierbei gibt es verschiedene strittige Punkte: Wie lange etwa muss sich ein Asylbewerber in diesem "sicheren Drittstaat" aufgehalten haben? Reicht schon die Durchreise?

Staaten wie Deutschland und Frankreich pochen hierbei auf feste Regeln. Andere Länder, wie etwa Österreich, Polen oder die Niederlande, haben sich vor den Verhandlungen dafür ausgesprochen, keinerlei Voraussetzungen festzuschreiben – die bloße Einreise aus einem "sicheren Drittstaat" wäre also ausreichend dafür, dass der Asylbewerber pauschal abgelehnt wird. So geht es aus einem internen Dokument des Auswärtigen Amts von Dienstag hervor, das t-online vorliegt. Zudem sollen die Anforderungen gesenkt werden, was als sicherer Drittstaat gelten soll.

Streit über Verantwortlichkeiten

Die EU-Außenstaaten am Mittelmeer zeigen sich unzufrieden damit, dass die Verfahren fast ausschließlich auf ihrem Boden stattfinden sollen – und fordern mehr Ausgleiche, etwa eine verbindliche Verteilung von Asylbewerbern. Das lehnen andere Staaten kategorisch ab. Die Mittelmeerländer Italien, Griechenland, Malta, Spanien und Zypern wollen zudem erreichen, dass eine "Kappungsgrenze" eingeführt wird, es also eine Maximalzahl von Verfahren in den Zentren an der Grenze gibt. Ein Vorstoß, der auf viel Ablehnung stößt.

Wenn Länder mit einem sehr großen Zustrom an Menschen konfrontiert sind, sollen sie die Unterstützung von anderen Mitgliedstaaten beantragen können. Eine bestimmte Anzahl an Schutzsuchenden würde dann über einen Verteilungsschlüssel in andere Länder kommen. Staaten, die sich daran nicht beteiligen wollen, müssten für jeden nicht aufgenommenen Menschen eine Kompensationszahlung leisten.

Im Gespräch waren zuletzt Summen um die 20.000 Euro pro Person. Polen und Ungarn lehnen das kategorisch ab. Bereits Ende Mai hatte der polnische Innenminister Mariusz Kaminski solche Zahlungen als "grobe Ungerechtigkeit" betitelt.

Wie könnte die Verhandlung ausgehen?

Zwar ist der Handlungsdruck groß. Spätestens seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 ist klar, dass die geltenden EU-Asylregeln überarbeitet werden müssen. Doch die Positionen und Interessen der Mitgliedsstaaten liegen teils weit auseinander. Die Außenstaaten am Mittelmeer fühlen sich benachteiligt, ihre Vorstöße allerdings treffen bei vielen anderen Staaten auf Ablehnung.

Dabei ist die Akzeptanz der Regeln in diesen Staaten besonders wichtig. Die Asylreform etwa ohne Unterstützung aus der italienischen Regierung auf den Weg zu bringen, gilt als wenig sinnvoll. Es ist das Land, in dem derzeit die meisten Migranten ankommen und die EU ist darauf angewiesen, dass Italien sich dann an die neuen Regeln hält. Und gerade Ministerpräsidentin Giorgia Meloni pocht auf mehr Solidarität, als ihr andere Staaten zugestehen wollen.

In dem internen Papier des Auswärtigen Amtes wurde am Dienstag eine ernüchternde Prognose getroffen: "Wenige Tage vor dem JI-Rat (Justiz- und Innenministerrat, Anm. der Red.) scheinen die Positionen der MS (Mitgliedsstaaten, Anm. der Red.) sich nicht aufeinander zuzubewegen."

In einem internen Schreiben des Auswärtigen Amts vom Mittwoch, das das Portal "Frag den Staat" nun veröffentlichte, hieß es, dass Österreich, die Niederlande, Bulgarien, Polen und Ungarn den Vorschlägen nicht zustimmen wollen. Sieben andere Staaten hingegen kündigten an, mit dem aktuellen Entwurf zufrieden zu sein. Elf Staaten, darunter auch Deutschland, ließen sich die Entscheidung noch offen.

Sollten die Verhandlungen zu keinem Ergebnis führen, ist denkbar, dass dann in einigen Wochen noch einmal ein Sondertreffen der Innenminister organisiert wird. Voraussetzung für einen Beschluss zu den Plänen ist, dass 15 von 27 Mitgliedstaaten mit Ja stimmen, wobei diese zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen müssen.

Sollte der EU-Ministerrat bis zur Sommerpause keinen Beschluss fassen, dürfte es kaum noch eine Chance geben, das Reformprojekt in absehbarer Zeit über die Ziellinie zu bringen. Grund ist, dass es auch noch Verhandlungen mit dem Europaparlament darüber geben muss. Diese könnten Monate dauern – dann reicht möglicherweise die Zeit nicht mehr, das Projekt vor der Europawahl im Juni 2024 abzuschließen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Internes Papier der Ständigen Vertretung EU Brüssel, Auswärtiges Amt
  • fragdenstaat.de: 2900. AStV-2 am 07.06.2023, hier: TOP 34 a) und b) Vorbereitung des Rates (Justiz und Inneres) am 8./9. Juni (AMM-VO und AsylverfVO
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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