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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Unser Feind ist Selenskyj" Gasstreit zwischen Ukraine und Slowakei eskaliert
Zum Jahreswechsel stoppte die Ukraine den Transit von russischem Gas. Die Slowakei steht deshalb unter Druck. Regierungschef Robert Fico erklärt Wolodymyr Selenskyj kurzerhand zum "Feind".
Der Streit zwischen der Slowakei und der Ukraine um den Transit von russischem Gas über ukrainisches Territorium spitzt sich zu. Die Regierungen beider Länder haben sich wegen des Disputs mit schweren Anschuldigungen überzogen. Der slowakische Regierungschef Robert Fico bezeichnete den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als "Feind der Slowakei". Selenskyj revanchierte sich daraufhin und erklärte, dass Fico "Moskau den USA und anderen Partnern vorgezogen" habe. "Das ist sein Fehler", so Selenskyj.
Das ukrainische Außenministerium ging sogar noch einen Schritt weiter. Ficos Aussagen seien lediglich der Versuch, von "innenpolitischem Versagen" abzulenken und die Verantwortung auf andere Staaten abzuwälzen. Wenn es um die Suche nach Feinden geht, gibt das Ministerium Fico eine Empfehlung: "Wir würden ihm raten, nicht nach außen, sondern in den Spiegel zu schauen."
Hintergrund des bereits seit Wochen andauernden Streits zwischen der Ukraine und der Slowakei sind russische Gaslieferungen, die bis Jahresende trotz des Moskauer Angriffskriegs weiter über das ukrainische Pipelinesystem nach Europa liefen. Doch nach Auslaufen des seit 1991 gültigen Vertrags über den Gastransit hatte Kiew diesen nicht verlängert – und dies vorher lange angekündigt. Fico hatte das Transitende scharf kritisiert und mit Gegenmaßnahmen gedroht: Denn die Slowakei liefert Strom in das Nachbarland.
Fico besuchte Putin in Moskau
Der linksnationale slowakische Premier hatte Selenskyj Mitte Januar zu Gesprächen eingeladen, um den Streit beizulegen. Das Treffen solle "vorzugsweise so bald wie möglich" stattfinden und werde "gute Voraussetzungen für eine offene Diskussion über die Gasversorgung der Slowakei" über die Ukraine schaffen, erklärte Fico. Selenskyj antwortete kurz angebunden: "Okay. Kommen Sie am Freitag nach Kiew."
Fico hatte Selenskyj schon kurz vor Weihnachten entzürnt, weil der slowakische Regierungschef einer Einladung Wladimir Putins nach Moskau gefolgt war – um mit dem Kremlchef über künftige russische Gaslieferungen zu sprechen. Selenskyj kritisierte dies scharf und warf Fico vor, Putin bei der Finanzierung des Krieges helfen zu wollen.
"Aber nicht Herr Fico"
In diese Kerbe schlug Selenskyj nun erneut mit einer Mitteilung auf Telegram, die den Titel "Zur Information des derzeitigen slowakischen Premierministers" trägt. Darin verweist der ukrainische Präsident auf eine Entscheidung des US-Präsidenten Donald Trump, Exporte von LNG-Gas nach Europa steigern zu wollen. "Das ist es, was wir für Sicherheit und Stabilität brauchen – mehr Energie von Partnern für Europa", so Selenskyj.
Denn, fährt der Ukrainer fort, für US-Gas müsse man zwar mit Geld zahlen, "für russisches Gas aber nicht nur mit Geld, sondern auch mit Unabhängigkeit und Souveränität". Dies hätten viele Menschen in Europa bereits durchgemacht und sich dann für ihre Unabhängigkeit entschieden.
"Aber nicht Herr Fico", so Selenskyj. "Er zieht Moskau den Amerikanern und anderen Partnern vor, die sein Land zu kommerziellen Bedingungen mit Gas versorgen können. Das ist sein Fehler." Selenskyj fordert zudem die Europäer auf, "vorausschauend" zu handeln und Beziehungen aufzubauen, "die unsere Nationen stärken".
Selenskyj bevorzugt Gas aus Aserbaidschan
Die Ukraine verschließt sich derweil nicht vollständig dem Transit von Gas, sondern nur der Durchleitung von russischem Gas. Am vergangenen Samstag erklärte Selenskyj einmal mehr, dass sein Land bereits sei, Gas aus Aserbaidschan nach Europa weiterzuleiten. Das Land habe eine "große Exportkapazität" von 25 Milliarden Kubikmetern, so Selenskyj. "Wir können unsere Infrastruktur nutzen, wenn Länder in Europa Gas benötigen. Aber nicht russisches Gas", sagte er.
Das wiederum veranlasste den slowakischen Premier Fico dazu, Selenskyj als "Feind" zu deklarieren. "Was blieb Herrn Selenskyj anderes übrig, als über etwas Gas aus Aserbaidschan zu sprechen?", ereiferte er sich am Dienstag. "Nichts ist fertig, kein Projekt liegt auf dem Tisch." Selenskyj lasse "wieder Blasen platzen, weil er glaubt, dass diese Blase ihn von schwierigen Entscheidungen befreien wird", behauptete Fico und fügte hinzu: "Unser Feind ist Selenskyj. Selenskyj hat die Probleme verursacht, die wir haben. Ich mag ihn nicht, weil er der Slowakei schadet."
Fico steht innenpolitisch unter Druck
Fico befindet sich derweil innenpolitisch in einer Zwickmühle – was eine weitere Erklärung für seine harten Worte gegen die Ukraine sein könnte. Er wirft der Opposition in der Slowakei vor, Umsturzpläne gegen ihn zu hegen. Selenskyj hatte diese in der vorvergangenen Woche noch gelobt, weil sie mit ihm in der Frage der Energiesicherheit übereinstimmen würde.
Vergangenen Donnerstag berief Fico dann wegen der angeblichen Umsturzpläne den Sicherheitsrat ein. Hintergrund ist ein Bericht des Inlandsgeheimdienstes SIS, den Fico am Dienstag in einer Parlamentssitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit präsentierte. Wie eine SIS-Sprecherin danach den Medien bestätigte, enthalte der Bericht "schwerwiegende Informationen über langfristig organisierte Einflussoperationen mit dem Ziel einer Destabilisierung der Slowakischen Republik". Nach Ficos Worten wollten Regierungsgegner, die das Ergebnis der Parlamentswahl vom Herbst 2023 nicht akzeptierten, auf undemokratischem Weg einen Machtwechsel herbeiführen.
Die Opposition und ihr nahestehende Nichtregierungsorganisationen, die derzeit wegen dessen Moskau-Reise Massenproteste gegen Fico organisieren, weisen das von sich. Der Geheimdienst stütze sich wohl auf harmlose Mitteilungen, die sie mit befreundeten Organisationen ausgetauscht habe, schrieb die Initiative "Nicht in unserer Stadt". Darin gehe es ausschließlich um gewaltfreie Methoden des legitimen Widerstands.
Fico bekommt Rückendeckung von Orbán
Fico ist einer der wenigen europäischen Regierungschefs, die noch enge Verbindungen zu Moskau pflegen. Als er 2023 erneut das Amt des Ministerpräsidenten übernahm, lehnte er weitere Militärhilfe für Kiew ab. Fico setzt sich zudem ebenso wie sein ungarischer Kollege Viktor Orbán für Friedensverhandlungen mit Russland ein. Er bot sein Land zudem als Gastgeber für solche Verhandlungen an.
Orbán springt Fico auch im Gasstreit zur Seite. Ende vergangener Woche blockierte der Ungar zunächst eine Verlängerung der EU-Sanktionen gegen Russland über den 31. Januar hinaus. Er machte zunächst zur Bedingung, dass die Ukraine wieder den Transit russischen Gases aufnimmt, das auch Ungarn erreichen soll. Erst Zusicherungen der EU in Sachen Energiesicherheit brachten ihn dazu, sein Veto zurückzuziehen. Mehr dazu lesen Sie hier.
Der Druck auf Fico bleibt derweil hoch. Kritiker werfen der Regierungskoalition des vierfachen Premiers vor, die Demokratie zu schwächen und die Außenpolitik von der EU und der Nato weg zugunsten Russlands auszurichten. Fico hat erklärt, er wolle gute Beziehungen zu allen Parteien unterhalten. Die EU- und Nato-Mitgliedschaft seien weiter bestimmend für die Politik. Die nächsten Großproteste sollen am 7. Februar stattfinden.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP, dpa und Reuters
- t.me: Mitteilung von Wolodymyr Selenskyj, 28. Januar 2024 (ukrainisch)
- newsukraine.rbc.ua: "Slovak PM makes scandalous statement about Zelenskyy" (englisch)
- e.dennikn.sk: "Robert Fico označil vyjadrenie Volodymyra Zelenského o možnom tranzite plynu z Azerbajdžanu za krycí manéver" (slowakisch)
- pravda.com.ua: "Slovak PM has been poisoned by Russian propaganda – Ukraine's Foreign Ministry" (englisch)
- politico.com: "Ukraine can bring Azeri gas to Europe, Zelenskyy says" (englisch)