t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikAuslandInternationale Politik

Baerbock kämpft im Irak gegen Putin: Kurz vor dem Kollaps


Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

Baerbocks Irak-Mission
Kurz vor dem Kollaps

Von Patrick Diekmann, Bagdad

07.03.2023Lesedauer: 7 Min.
Jordanien: Außenministerin Annalena Baerbock wird in Amman vor Abflug zu einer mehrtägigen Irakreise am Flughafen von Bundeswehrsoldaten zum Einstieg ins Transportflugzeug eingewiesen.Vergrößern des Bildes
Jordanien: Außenministerin Annalena Baerbock wird in Amman vor Abflug zu einer mehrtägigen Irak-Reise am Flughafen von Bundeswehrsoldaten zum Einstieg ins Transportflugzeug eingewiesen. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)

Im Ringen mit Russland ist Außenministerin Baerbock auf heikler Mission am Golf. Aber der Irak kämpft gegen zahlreiche Krisen, der Ukraine-Krieg erscheint als weit weg.

Es ist ein fast vergessenes Land. Der Irak erlebte in den vergangenen Jahrzehnten Diktatur, Kriege, die Pein des IS, Wirtschaftskrisen und politisches Chaos. Tod, Gewalt, Armut und Unterdrückung. Noch immer kämpft die irakische Bevölkerung mit den Narben der Verletzungen, die vielen Menschen in dieser Zeit zugefügt wurden. Dennoch nahm das westliche Interesse am Irak ab – bis der russische Präsident Wladimir Putin die Ukraine überfiel. Nun ist alles anders.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Plötzlich ist der Golfstaat von großer geostrategischer Bedeutung, für den Westen und für Russland. Im Irak dagegen betrachtet man den Ukraine-Krieg als europäisches Problem – auch vor dem Hintergrund der eigenen Probleme. Denn das Land stand in den vergangenen Jahren oft kurz vor dem Kollaps – eine schwache Regierung, verfeindete Milizen und ausländische Mächte, die auf dem Staatsgebiet militärisch operieren. Und noch immer ist der Irak ein Krisenherd.

Im globalen Tauziehen mit der russischen Führung besucht Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in diesen Tagen den Irak. Deutschland pflegt gute Beziehungen, unterstützt das Land im Kampf gegen den Terror, gegen die Klimakrise und möchte die wirtschaftlichen Beziehungen vertiefen. Baerbock weiß: Mit leeren Händen kann sie in Bagdad nicht punkten.

Wirtschaft, Rohstoffe und Iran

Der Irak ist in jedem Fall kein gewöhnliches Reiseziel für die Ministerin. Sie flog zunächst mit der Flugbereitschaft der Bundeswehr nach Jordanien, musste dann in einen Airbus A400M der Luftwaffe umsteigen. Ihre Delegation trug auf der Reise schusssichere Westen. Aufgrund der Instabilität des Iraks sind die Sicherheitsvorkehrungen besonders streng.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

In Bagdad traf Baerbock dann zunächst ihren irakischen Amtskollegen Fuad Mohammed Hussein. In der anschließenden Pressekonferenz wurden vor allem drei Dinge deutlich:

  • Deutschland und der Irak streben eine Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern an. Der Irak benötigt deutsche Technologien, Deutschland braucht Rohstoffe.
  • Das iranische Regime gefährdet die politische Stabilität und den Frieden im Irak.
  • Deutschland wird den Irak weiterhin bei der Bekämpfung der Terrormiliz IS unterstützen.

"Wir hoffen, dass der Besuch von Frau Baerbock Früchte tragen wird", sagte Hussein vor der Presse nach dem gemeinsamen Treffen mit der deutschen Außenministerin. Der irakische Chefdiplomat sprach von "starken bilateralen Beziehungen" und bedankte sich bei der Bundesrepublik für die deutsche Hilfe beim Wiederaufbau nach dem Krieg und bei der Bekämpfung des Terrors. Im Ukraine-Konflikt rief der Irak zu einem Waffenstillstand auf, "um einen Weltkrieg zu verhindern". Laut Hussein könne Deutschland dabei "eine zentrale Rolle spielen".

Auch Baerbock unterstrich am Dienstag die große Bedeutung ihres Besuches im Irak. Es ist ihre bisher längste Auslandsreise. "Verraten Sie das nicht unseren europäischen Partnern", scherzte die Grünen-Politikerin dazu. Die Außenministerin lobte, dass sich der Irak zuletzt bei der UN-Generalversammlung für den Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine ausgesprochen hat. "Wir brauchen die internationale Unterstützung mit Blick auf die europäische Friedensordnung und für die Menschen in der Ukraine", so die deutsche Außenministerin.

Im ersten Jahr des russischen Angriffskrieges in der Ukraine hat der Irak zunächst keine Stellung in dem Konflikt bezogen. Die irakische Führung wollte neutral bleiben. Zwar verbot sie bereits im März 2022 Banner und Poster, die zur Unterstützung von Putin aufrufen. Doch enthielt sich der Irak damals bei Resolutionen der UN-Generalversammlung. Der Golfstaat verurteilte die russische Invasion offiziell nicht und stimmte auch gegen das Vorhaben, Russland für Kriegsverbrechen in der Ukraine zur Verantwortung zu ziehen. Erst in diesem Jahr positionierte sich die Regierung nun deutlicher.

Doch die irakische Pendelpolitik im Ukraine-Krieg ist nicht nur interessengeleitet – vielmehr ist sie auch das Ergebnis der großen Probleme, mit denen das Land zu kämpfen hat. Ein Überblick:

1. In der Zange der Regionalmächte

Der Irak befindet sich geopolitisch in einer äußerst komplizierten Nachbarschaft, ist mittlerweile ein Spielball in den Regionalkonflikten geworden. Im Osten liegt Iran, im Westen Syrien. Der syrische Machthaber Baschar al-Assad und das iranische Mullah-Regime zählen zu den engsten Verbündeten Putins. In dem großen Regionalkonflikt – Iran gegen Saudi-Arabien – ist der Irak ein Puffer zwischen den beiden Mächten.

"Wir kommunizieren mit den Saudis und den Iranern und wurden von beiden Regierungen gebeten, die Mediationsrollen fortzuführen", sagte der irakische Premierminister Mohammed Shia al-Sudani der "Süddeutschen Zeitung" im November 2022. Der Irak ist dazu gezwungen, sich im Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien nicht zu positionieren – das würde das Land wohl noch weiter destabilisieren.

Denn eines ist klar: Die Regierung in Bagdad ist so schwach, dass sie nicht in der Lage ist, die Grenzen zu schützen. Das führt dazu, dass die irakische Souveränität stetig von seinen Nachbarstaaten verletzt wird. Im Norden hat die türkische Armee mittlerweile Stützpunkte auf irakischem Hoheitsgebiet errichtet, um von dort gegen die kurdische Terrororganisation PKK vorzugehen. Im Nordosten gab es iranische Angriffe auf kurdische Milizen, und im Westen dient die Grenze nach Syrien noch immer als Rückzugsort für die letzten Überreste des IS.

Der französische Präsident Emmanuel Macron befand bei der "Bagdad-Konferenz" im August 2021: "Der Irak ist angesichts der vergangenen Jahrzehnte wahrscheinlich eines der Hauptopfer regionaler Destabilisierung."

Loading...
Loading...

Angesprochen auf den Iran wurde auch Baerbock bei ihrem aktuellen Besuch deutlich. Sie warf dem Mullah-Regime vor, die Souveränität des Irak mit seinen Raketenangriffen zu verletzen. "Das iranische Regime unterdrückt nicht nur seine eigene Bevölkerung brutal und rücksichtslos, sondern es setzt für seinen Machterhalt auch Menschenleben und Stabilität in der ganzen Region auf Spiel. Das ist völlig inakzeptabel und gefährlich."

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

2. Das Iran-Dilemma der Schiiten

Nach der Invasion der US-geführten Koalition gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein 2003 wurde im Irak ein politisches System installiert, das auf Aussöhnung der irakischen Gesellschaft zielt. Zwischen den größten Volksgruppen – Schiiten, Sunniten und Kurden – funktioniert das recht gut. Allerdings sind sich die schiitischen Parteien untereinander nicht einig, vor allem in ihrer Haltung zum Nachbarland Iran.

Denn die Regierung in Teheran versucht immer aktiver, Einfluss auf den Irak zu nehmen. Das hat das Land bereits so weit destabilisiert, dass die Gefahr eines Bürgerkriegs besteht. Das Mullah-Regime verfolgt dabei ein übergeordnetes Ziel: Es möchte eine strategische Landbrücke durch das Land zu den Verbündeten in Syrien und im Libanon, um die eigene Position gegenüber dem Erzrivalen Israel zu verbessern.

Die Schiiten sind in ihrer Position zum Iran gespalten. Gegen den Einfluss aus Teheran steht der schiitische Prediger und irakische Nationalist Muqtada al-Sadr, der die größte politische Bewegung in dem Land anführt. Er gewann die Wahl im vergangenen Jahr, konnte aber keine Regierung bilden. Al-Sadr zog sich mit seinen Abgeordneten aus dem Parlament zurück. Daraufhin besetzten seine Anhänger mehrfach das Parlamentsgebäude, um die Bildung einer anderen Regierung zu verhindern – letztlich ohne Erfolg. In der aktuellen Regierung dominieren die proiranischen, schiitischen Kräfte.

Der aktuelle Premierminister al-Sudani steht nun vor der Aufgabe, einen Mittelweg zwischen den schiitischen Gruppierungen zu finden. Zwar konnte Teheran seinen Einfluss seit Amtsantritt der neuen Regierung ausbauen. Dennoch hat Kontrahent al-Sadr auch nach seinem Rückzug aus dem Parlament großen Einfluss und zahlreiche Anhänger, die ihm bedingungslos folgen.

Die unsicherere Haltung gegenüber Iran bestimmt auch die irakische Außenpolitik. Immer wieder gibt es Unklarheiten. Beispiel: Die proiranischen Kräfte lehnen die Stationierung von US-Truppen im Irak ab – das gilt sowohl für die Parteien im Parlament als auch für die bewaffneten Milizen, die seit ihrem Kampf gegen die Terrormiliz IS an Macht im Irak gewonnen haben. Das irakische Militär hingegen ist von den USA abhängig, auf Einladung Bagdads sind weiterhin 2.500 US- und auch 150 Bundeswehr-Soldaten im Kampf gegen den IS im Einsatz.

Ein weiteres Problem für die Regierung ist, dass sie im Machtkampf mit den Milizen nur wenig handlungsfähig ist. Mittlerweile sind die Milizen die wichtigsten Arbeitgeber in einem Land, dessen Wirtschaft sich noch immer von den vergangenen Krisen erholt – die Arbeitslosenquote lag im Jahr 2022 bei 15,5 Prozent.

3. Innere Sicherheit und Korruption

Trotz des auf Aussöhnung basierten Regierungssystems hat der Irak noch einen gewaltigen gesellschaftlichen Aussöhnungsprozess vor sich. Unter Saddam Hussein unterdrückte, ermordete und folterte eine sunnitische Minderheit die schiitische Mehrheitsbevölkerung. Hussein ließ im Süden ganze Flussgebiete trockenlegen, um schiitischen Milizen die Rückzugsorte zu nehmen – ein Verbrechen an vielen Stämmen im Südirak und an der Natur.

Nach Husseins Sturz wurden die Sunniten zunächst aus der irakischen Politik zurückgedrängt. Das führte vor allem unter der proiranischen, schiitischen Regierung von Nuri Maliki (2006 bis 2014) zu einer Perspektivlosigkeit unter vielen Sunniten, von der der sogenannte Islamische Staat profitierte. Die Terrororganisation wütete zwischen 2013 und 2017 in dem Land und kontrollierte weite Teile des Nordostens. Unter ihrer Herrschaft wurden erneut Nicht-Muslime, Schiiten und Oppositionelle gefoltert, getötet oder vertrieben.

Innerhalb der irakischen Gesellschaft hat diese Zeit erneut Risse erzeugt. In irakischen Städten leben noch immer Opfer der Terrormiliz neben Menschen, die ihre Herrschaft unterstützt oder geduldet haben. Das gegenseitige Misstrauen ist groß.

Hinzu kommt, dass Armut sehr verbreitet ist. Das Land verfügt zwar über ertragreiche Ölquellen, von den Erlösen aber kommt nur wenig bei den Menschen an. Der Grund: Korruption. Im Korruptionsindex von Transparency International belegt das Land Rang 157 von 180 Plätzen.

Baerbock gegen Lawrow

In dieser Gemengelage buhlen nun sowohl Russland als auch die westlichen Staaten um mehr Einfluss im Irak. Bereits im Februar besuchte der russische Außenminister Sergej Lawrow das Land, nun ist Außenministerin Baerbock vor Ort.

Deutschland kommt dabei ein besonderer Status zu. Der irakische Premierminister al-Sudani schrieb in einem Gastbeitrag für die "FAZ" im Januar: "Deutschland, das in der arabischen Welt nicht als Kolonisator bekannt ist, hat sich stets bemüht, die kulturelle, wirtschaftliche und politische Kooperation mit den Ländern der Region zu fördern und zu entwickeln – insbesondere mit dem Irak." Auch an den Golfkriegen der USA hat sich die Bundesrepublik nicht beteiligt: Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen sind also unbelastet.

Baerbock ist es nun daran gelegen, diese Beziehungen zu pflegen und auszubauen. So will Deutschland dem Irak beim Ausbau des Stromnetz unterstützen – entsprechende Verträge zwischen dem irakischen Staat und Siemens werden am Dienstag in Bagdad unterschrieben. Im Konflikt mit Putin können Länder wie der Irak vor allem durch praktische Hilfen überzeugt werden. Vor allem im Angesicht der Klimakrise, denn der Golfstaat gehört zu den fünf Ländern, die am meisten von der globalen Erwärmung betroffen sind.

Auch deshalb sucht die irakische Regierung nach einem engeren Draht nach Berlin. Al-Sudani besuchte nach seinem Antritt im Oktober 2022 bereits Kanzler Olaf Scholz in Berlin. Bagdad weiß, dass die energiehungrige deutsche Wirtschaft seine Rohstoffimporte diverser aufstellen möchte, und bietet sich als Lieferant an. Dass sich der Irak der UN-Resolution für einen russischen Rückzug aus der Ukraine anschloss, war ein weiteres Zeichen des guten Willens. Dem Westen ist es also gelungen, den Irak auf seine Seite zu ziehen. Vorerst.

Verwendete Quellen
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website