Botschafter kritisiert Scholz Melnyk: Kanzleramt ist "Bremser" bei Waffenlieferungen
Trotz Entscheidung im deutschen Bundestag warten Lieferungen schwerer Waffen an die Ukraine weiter auf eine Genehmigung. Die Ursache für die Verzögerung sieht der ukrainische Botschafter im Kanzleramt.
Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, hat der Bundesregierung ein weiteres Mal mangelnde militärische Unterstützung für sein Land vorgeworfen. Zwar habe der Bundestag am 28. April die Lieferung schwerer Waffen beschlossen – aber "seitdem hat die Ukraine keine schweren Waffen aus Deutschland erhalten", sagte Melnyk den Zeitungen der Funke Mediengruppe von Donnerstag.
Der schon wiederholt mit kritischen Äußerungen über die Bundesregierung und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufgetretene Melnyk sagte, es scheine, "dass die Bundesregierung nicht den Willen hat, uns so schnell wie möglich mit schweren Waffen zu helfen." Die Zurückhaltung erklärte er mit einem fehlenden Willen im Kanzleramt: "Auf der Arbeitsebene verschiedener Ministerien – auch des Verteidigungsministeriums – sowie im Bundestag wird auf das Kanzleramt als Bremser verwiesen."
Mit seiner oft kritisierten scharfen Wortwahl wolle er niemanden beleidigen, führte Melnyk aus. "Aber manchmal geht es nicht anders, als rhetorisch anzuecken, sogar zu provozieren", sagte der Diplomat.
Bestellungen warten seit Wochen auf Genehmigung
Die Zusage, fünfzig Flugabwehrpanzer vom Typ "Gepard" zu liefern, sei bislang nicht umgesetzt worden. "Dieses Thema ist jedoch fast vom Tisch, weil es nach wie vor keine Munition für die Gepard-Panzer gibt." Die Ukraine habe bei der Bundesregierung das Thema Munition bereits in der zweiten Woche der russischen Invasion angesprochen. "Die Antwort war damals: Gibt es nicht. Man werde sich aber auf die Suche machen. Das ist der Stand bis heute", sagte der Botschafter. "Es war auf jeden Fall eine merkwürdige Entscheidung."
Bei der Lieferung von sieben Panzerhaubitzen vom Typ "2000" habe es zwar Fortschritte gegeben. Seit einigen Tagen würden Soldaten hierfür in Rheinland-Pfalz ausgebildet. Allerdings lägen weitere ukrainische Anträge über die Lieferung schwerer Waffen seit mehr als drei Wochen beim Bundessicherheitsrat.
Bei diesen Anträgen gehe es unter anderem um 100 Schützenpanzer vom Typ "Marder" und 88 "Leopard-1"-Kampfpanzer. "Doch es wird leider keine Entscheidung getroffen, obwohl diese Waffensysteme nicht aus dem Bestand der Bundeswehr kommen, sondern den Rüstungsfirmen zur Verfügung stehen." Seit Monaten gebe es ein "sehr präzises Angebot" des Rüstungsunternehmens Rheinmetall, bei dem genau aufgelistet sei, welche Waffen zügig geliefert werden könnten. Auch der Chef von Rheinmetall hatte zuletzt ausbleibende Genehmigungen von Seiten der Bundesregierung kritisiert (mehr dazu lesen sie hier).
Melnyk fordert schnellen Nato-Beitritt
Neben der Kritik an den Waffenlieferungen brachte Melnyk auch eine EU-Mitgliedschaft und einen Nato-Beitritt der Ukraine erneut zur Sprache. Bei den Verhandlungen mit der EU forderte er von der deutschen Bundesregierung, "eine führende Rolle" in dem Prozess zu übernehmen. Wichtig sei jetzt vor allem "den Kandidaten-Status zu erhalten", sagte der ukrainische Botschafter. Eine Aufnahme ins Verteidigungsbündnis Nato hingegen sei schnell umsetzbar, ebenso wie im Falle von Finnland und Schweden. Nach Ansicht Melnyks könne ein Nato-Beitritt auch die Gefahr eines Atomkriegs mindern.
"Klar ist: Wir wollen schnell in die Nato. Das kann genauso rasch gehen wie im Fall von Schweden oder Finnland. Es bräuchte nur eine rein politische Entscheidung, um die Ukraine zügig ins Bündnis zu integrieren", sagte Melnyk den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag). "Wenn die Ukraine im Bündnis wäre, sinkt das Risiko eines Atomkrieges. Dann würde Putin wissen: Würde die Ukraine mit Nuklearwaffen angegriffen, müsste er mit einem atomaren Gegenschlag rechnen. Das würde ihn davon abhalten."
Finnland und Schweden hatten wegen des Krieges am Mittwoch ihre Anträge für den Beitritt in die westliche Verteidigungsallianz eingereicht. Im Idealfall könnten die beiden Länder bis Ende des Jahres bereits Mitglieder sein. Allerdings zeichneten sich erste Verzögerungen aufgrund von Vorbehalten der Türkei ab.
- Nachrichtenagenturen AFP und dpa