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Eigentor für Wladimir Putin? In Europa passiert das, was er verhindern wollte


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Krieg in der Ukraine
Es passiert das, was Putin immer verhindern wollte


Aktualisiert am 11.05.2022Lesedauer: 6 Min.
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Militärparade in Moskau: Putin hat eine Rede auf dem Roten Platz gehalten – und den Angriff auf die Ukraine begründet. (Quelle: reuters)
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Der russische Präsident hat sich in der Ukraine in einen Krieg gestürzt, der für sein Land eine strategische Katastrophe ist. In Europa passiert nun, wogegen Putin seit Jahrzehnten gekämpft hat.

Die bisherige Bilanz des Ukraine-Kriegs ist aus russischer Sicht verheerend: Die Armee hängt in einem Abnutzungskrieg fest und hat höchstwahrscheinlich immer noch nicht ausreichend Kräfte mobilisiert, um diesen Konflikt gewinnen zu können. Im Gegenteil: Im Osten der Ukraine toben heftige Feldschlachten mit großen Verlusten – auf beiden Seiten.

Warum das alles? Selbst wenn die russische Armee weitere Teile des Nachbarlandes erobern könnte, ist völlig unklar, wie diese Gebiete langfristig gehalten werden können. Denn eines wurde in diesem Krieg immer klarer: Die deutliche Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung lehnt eine russische Herrschaft ab.

Wenn der russische Präsident überhaupt noch einem Plan folgt, dann lässt sich der strategische Sinn dahinter kaum noch erkennen. Putin hat den Krieg begonnen, um Russlands Einfluss in der Region zu festigen, um die Nato zurückzudrängen und um Russland als militärische Großmacht zu präsentieren.

Stattdessen leistet die Ukraine erbitterten Widerstand, die Nato rüstet in Osteuropa auf, Putin hat dem internationalen Ansehen Russlands massiv geschadet und das russische Wirtschaftsmodell zerschossen. Der Angriffskrieg war von Beginn an ein blutiges Eigentor.

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Für Russland sind Putins Fehler teuer

Putin, der die Eigenstaatlichkeit der Ukraine ohnehin nie ernst nahm,
unterschätzte den Willen der Ukrainer, eben diese Staatlichkeit zu
verteidigen. Schnell merkte Moskau, dass dieser Krieg anders wird als die
Annexion der Krim 2014. Die Illusion, Russlands Truppen würden gar willkommen geheißen, platzte wie eine Seifenblase.

Trotzdem hält der Kreml-Chef an dem konstruierten Kriegsgrund – dem Kampf gegen vermeintliche Nazis in der Ukraine – fest, nur intern wütete er. Er entließ mehrere Generäle, einige führende Offiziere der Geheimdienste wurden unter Hausarrest gesetzt. Nun ist er gefangen in einem schlechten Krieg, weil er den Gesichtsverlust eines – aus seiner Perspektive – schlechten Friedens nicht in Kauf nehmen möchte.

In erster Linie zahlen die Ukrainer den Preis für Putins Fehleinschätzungen. Neben Tausenden von russischen und ukrainischen Soldaten sterben auch viele Zivilisten durch den Bombenterror der russischen Armee. Die Infrastruktur des Landes wird durch Russland zerstört und es wird Jahrzehnte dauern, bis sich die Ukraine davon erholen kann.

Aber auch für Russland sind die politischen Folgen fatal. Putin hat mit seinem Angriffskrieg vor allem in vier Bereichen genau das erreicht, was er seit über 20 Jahren verhindern wollte. Ein Überblick:

1. Rückgang der russischen Bevölkerung

Der russische Präsident ist schon 69 Jahre alt, und wie Kanzler Olaf Scholz bei seinem Besuch in Moskau korrekt bemerkte, wird er nicht "ewig" regieren. Sein historisches Vermächtnis sieht Putin offenbar darin, das Fundament für ein neues großrussisches Reich zu errichten.

Ein Problem aus seiner Sicht: Russland hat im Vergleich zu anderen Großmächten zu wenig Einwohner und eine zu geringe Wirtschaftskraft. Im Westen hat man nicht genau hingehört, als Putin das auf seiner jährlichen Pressekonferenz im Dezember thematisierte. "Eines unserer größten Probleme ist die Demografie – aus humanitären und geopolitischen Gründen ist das sehr wichtig. 144 Millionen Einwohner sind nicht genug für eine so riesige Landfläche", so der Präsident. "Wir haben einfach nicht genug Arbeitskräfte und wir müssen das bis 2024 massiv erhöhen." Das sei ein wichtiger Wachstumsfaktor für die russische Wirtschaft.

Auch deshalb richtet sich Putins Blick auf die Länder, in denen sehr viele russischstämmige Menschen leben. So hat er 2021 die Chance genutzt, den angeschlagenen belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko zu schützen und damit Belarus unter seine Kontrolle gebracht. Doch mit diesem Vorgehen aus dem 19. Jahrhundert hat sich der Kremlchef verrechnet.

Während durch den Krieg Tausende junge russische Soldaten sterben, hat die russische Aggression die ukrainische Gesellschaft, die in der Frage "EU oder Russland?" lange Zeit geteilter Meinung war, in die Arme der europäischen Gemeinschaft geschoben. Das Bild des "Brudervolkes", das in Russland gerne gepflegt wird, existiert seit dem 24. Februar kaum noch.

2. Die Präsenz der Nato in Osteuropa

Putin fühlt sich durch die Nato bedroht, zumindest sagt er das. In den vergangenen 20 Jahren sind zwar viele Staaten in Osteuropa und im Baltikum dem Militärbündnis beigetreten, aber zur Wahrheit gehört auch, dass diese souveränen Länder aus Angst vor Russland der Nato beigetreten sind. Mit seinem Versuch, die russischstämmigen Bevölkerungen in diesen Ländern für seine politischen Zwecke zu nutzen, hat die Destabilisierung in der Region schon lange vor dem Ukraine-Krieg begonnen.

Russland musste dabei aber nie einen Angriff der Nato fürchten, weil Nato-Truppen vor 2014 und der Annexion der Krim nur in geringem Maße an der Ostflanke stationiert waren.

Aber auch hier hat Putin ein Eigentor geschossen. Durch seinen Krieg verlegen vor allem die USA, aber auch Deutschland tut das, immer mehr Truppen und militärisches Gerät nach Rumänien oder ins Baltikum. Zudem streben Schweden und Finnland einen schnellen Nato-Beitritt an – eine Zeitenwende für diese Länder. Russland stellt das vor neue sicherheitspolitische Herausforderungen. Durch Putin und seinen Krieg haben jegliche Absprachen zwischen Russland und der Nato keine Gültigkeit mehr – das macht den ganzen Kontinent unsicherer.

3. Geschlossenheit des Westens

Die russische Politik war unter Putin stets darauf ausgelegt, die europäische Gemeinschaft zu schwächen. Viktor Orbán, Marine Le Pen, die Brexit-Bewegung: Rechtspopulisten und Nationalisten in Europa, die protektionistisch und weniger europäisch dachten, fanden stets direkte und indirekte Unterstützung im Kreml. Die russische Strategie: Teile und herrsche.

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Deshalb nutzte Russland auch seine Rohstoffe, um Länder wie Deutschland politisch abhängig zu machen. Mit Gas und Öl erkaufte sich Putin Einfluss und sorgte damit auch dafür, dass europäische Staaten bei Menschenrechtsverletzungen in Russland oftmals ein Auge zudrücken – zugunsten der Wirtschaft.

Putin hat mit seinem Krieg nun für eine Geschlossenheit in der Europäischen Union gesorgt, die vorher undenkbar war. Bei der Unabhängigkeit von russischen Rohstoffen geht es nicht mehr um die Frage, ob, sondern "Wie schnell?".

Der Westen hat geschlossen scharfe Sanktionen gegen Russland verhängt, mittelfristig wird Europa unabhängig von russischen Rohstoffen werden. Die Pipeline Nord Stream 2 ist endgültig in der Versenkung der fehlgeschlagenen Projekte verschwunden. Putin-Verbündete, die wie Gerhard Schröder noch immer Russland unterstützen, sind isoliert. Kurz: Russlands Einfluss schwindet massiv.

4. Die "starke" russische Armee

Die Russische Föderation ist wirtschaftlich keine Supermacht, und trotz des großen Rohstoffreichtums ist es auch Putin nicht wirklich gelungen, den Lebensstandard auf ein europäisches Niveau zu heben.

Neben Gas- und Ölvorkommen machen nur das Militär und die Nuklearwaffen Russland zu einer Großmacht, aber auch dieses Bild bekommt Risse. Putin hat seine Armee modernisieren lassen und zum Beispiel im syrischen Bürgerkrieg demonstriert, dass mit Russland geopolitisch zu rechnen ist. Davon profitiert das Land auch wirtschaftlich, weil es Waffensysteme entwickelt und ins Ausland exportiert. So war der Syrien-Krieg zum Beispiel für den Kreml auch ein erfolgreicher Werbefeldzug für die S-400-Flugabwehr.

Mit Waffendeals schafft Russland auch politische Abhängigkeiten, seit vielen Jahren vor allem auf dem afrikanischen Kontinent – zum Beispiel in der Zentralafrikanischen Republik.

Doch die russische Führung unterschätzte den ukrainischen Widerstand, und eine der größten Armeen der Welt musste sich aus eroberten Gebieten im Norden der Ukraine zurückziehen. Moderne und schultergestützte Waffen aus dem Westen zeigen dagegen große Wirkung gegen russische Panzerverbände. Türkische Drohnen fügen Putins Armee massive Schäden zu. Wogegen man zum Beispiel den "T-14-Armata"-Panzer, der von Russland stark beworben wurde, auf dem Gefechtsfeld vermisst – offenbar, weil der modernste russische Panzer auf Teile aus dem Westen angewiesen ist.

Die russische Armee ist mit Einsätzen im Kaukasus, in Syrien und in der Ukraine zudem an der Belastungsgrenze und offenbart der Welt auch, wo diese liegt. Das sind Schwächen, die sich Putin eigentlich nicht leisten kann – vor allem, wenn er mit den USA auf Augenhöhe verhandeln will.

Putin setzt auf sein Durchhaltevermögen

Letztlich ist der Ukraine-Krieg für Russland ein Unterfangen, das mit jedem weiteren Kriegstag an Sinn verliert. Wirtschaftlich, geostrategisch und auch innenpolitisch werden die Kosten für Putin immer höher, und mit Recht lässt sich die Frage stellen, was er überhaupt in der Ukraine gewinnen möchte.

Am Ende muss es eine Verhandlungslösung geben, da Russland nicht mit konventionellen Mitteln die ganze Ukraine erobern kann. Zu Zugeständnissen ist der Kreml aber noch nicht bereit, momentan herrscht diplomatisch eine Eiszeit. Putin kann so strategisch nur darauf setzen, dass die Ukrainer oder der Westen weniger Durchhaltevermögen haben als er. Damit könnte er das nächste Eigentor schießen.

Verwendete Quellen
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