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Nehammer bei Putin: Österreichs fragwürdiges Verhältnis zu Russland


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Nehammer bei Putin
Wieder ist es ein Österreicher


Aktualisiert am 12.04.2022Lesedauer: 5 Min.
Karl Nehammer: Bei seinem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt am Samstag machte der Österreicher deutlich, dass sein Land an Seite der Ukraine steht.Vergrößern des Bildes
Karl Nehammer: Bei seinem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt am Samstag machte der Österreicher deutlich, dass sein Land an Seite der Ukraine steht. (Quelle: photonews.at/imago-images-bilder)

Der österreichische Kanzler reist nach der militärischen Eskalation als erster westlicher Staatschef zu Putin. Verwunderlich – oder doch nicht? Die engen Beziehungen der Länder sorgten schon für einige Skandale.

Diese Ankündigung rief international Verwunderung hervor: Der österreichische Bundeskanzler reist nach Moskau, um sich dort mit dem russischen Präsidenten zu treffen. Ein westlicher, demokratischer Regierungschef beim Kremldespoten, so die Lesart.

Doch das Treffen von Karl Nehammer mit Wladimir Putin ist nicht nur der Versuch, den Dialog mit Russland beizubehalten, wie der Österreicher sich selbst verteidigt. Es passt auch in die österreichische Tradition einer Russland zugeneigten Politik, die immer wieder zu Aufsehen führt.

Die jüngere Geschichte Russlands und Österreichs beginnt mit dem Ende der Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg: Auf Drängen Moskaus unterschrieben die Österreicher 1955 eine Verpflichtung zur "immerwährenden Neutralität" – bis heute ist dieser Vertrag der Grund, warum Österreich kein Nato-Mitglied ist. 2001 liebäugelte das Alpenland mit einem Beitritt in das transatlantische Verteidigungsbündnis. Es kam zum offenen Streit mit Moskau, das Thema war schnell wieder vom Tisch.

Russlandfreund FPÖ

In seiner Stellung als neutrales Land inmitten Europas stellt sich Österreich gerne als diplomatischer Brückenbauer zwischen Ost und West dar. Wie russlandfreundlich die Politik ausfällt, hängt dabei maßgeblich von der Regierung ab: Vor allem die rechtspopulistische FPÖ pflegt enge Beziehungen nach Moskau, die oftmals auf heftige Kritik stoßen, sowohl national als auch international.

2016 schlossen die FPÖ und die Kremlpartei "Einiges Russland" gar einen Kooperationsvertrag. Der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache war zur Unterzeichnung persönlich nach Moskau gefahren. Das Abkommen galt zunächst für fünf Jahre, mit automatischer Verlängerung um weitere fünf, sollte es nicht aufgekündigt werden. Diese Kündigungsfrist hat die FPÖ 2021 zwar verpasst – angesichts des Ukraine-Kriegs stellte die FPÖ jedoch mit Nachdruck klar, es handle sich um "ein wertloses Stück Papier und totes Recht", das habe auch die russische Seite bestätigt.

Fototermin mit "Putins Bluthund"

Die Russland-Affinität der FPÖ sorgte schon weit früher für Aufsehen: Ein Aufschrei ging beispielsweise 2012 durch Österreich. Damals besuchte eine FPÖ-Delegation den Tschetschenen-Präsidenten Ramsan Kadyrow – im Zuge des Ukraine-Kriegs der breiten Öffentlichkeit auch als "Putins Bluthund" bekannt geworden.

Schon damals wurden ihm schwerste Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Dennoch posierten der außenpolitische Sprecher Johannes Hübner und der Wiener FPÖ-Chef Johann Gudenus gemeinsam mit ihm. Zustande gekommen sei das Treffen "unter Vermittlung russischer Freunde", sagte Gudenus der Zeitung "Die Presse".

Thema soll die Rückführung tschetschenischer Flüchtlinge aus Österreich gewesen sein. Der Großteil der in Österreich ansässigen Tschetschenen sei aus wirtschaftlichen Gründen im Land, ihnen drohe keine Gefahr in ihrer Heimat, ließen die FPÖ-Besucher verlauten – obwohl zu der Zeit die österreichischen Behörden noch eine mögliche Beteiligung Kadyrows an der Ermordung eines Kadyrow-kritischen Tschetschenen in Wien im Jahr 2009 untersuchten.


Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass Kadyrow in Zusammenhang mit einem möglichen Auftragsmord in Österreich gebracht wird: Im Juli 2020 wurde ein 43-jähriger Tschetschene in der Nähe von Wien erschossen. Der Mann hatte den Präsidenten zuvor mehrfach kritisiert. Kadyrow selbst wies auf Telegram jegliche Verantwortung von sich und witterte eine Anti-Russland-Kampagne.

Gute Stimmung bei Putin-Besuch nach der Annexion der Krim

Russland-Besuche von FPÖ-Politikern sorgten auch nach der Annexion der Krim 2014 für Kritik: 2017 sollen mehrere Parteimitglieder die Gründung des Vereins "Freunde der Krim" unterstützt haben, der sich für die internationale Anerkennung der ukrainischen Halbinsel als russisches Gebiet einsetzt. Zuvor sollen die Politiker mehrfach das Gebiet besucht und so ukrainische Bestimmungen verletzt haben.

Doch nicht nur die FPÖ löste im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise 2014 internationale Verwunderung aus: Auch damals war es ein Österreicher, der als erster westlicher Regierungschef den Kontakt zu Putin suchte. Im Juni, kurz nach der Annexion der Krim, lud der österreichische Präsident Heinz Fischer (SPÖ) den Kremlchef zu einem Arbeitsbesuch nach Wien ein.

Die Ukraine soll bei diesem Besuch jedoch nur am Rande Thema gewesen sein – "Wir stimmen überein, hier nicht übereinzustimmen", soll Fischer Medienberichten zufolge bilanziert haben. Stattdessen wurde die gute Stimmung betont: "Ich freue mich sehr, in Wien sein zu dürfen, das mir sehr ans Herz gewachsen ist", sagte Putin bei dem Besuch.

Vizekanzler Strache: "Leidige Sanktionen beenden"

Zwei Jahre später war er erneut voller Lobes für die Alpenrepublik: Nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten besuchte er anlässlich des 50. Jahrestags des ersten Gasliefervertrags zwischen Österreich und der damaligen Sowjetunion im Juni 2018 Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Nach dem Anschlag auf den russisch-britischen Doppelagenten Sergei Skripal und dessen Tochter im März desselben Jahres hatten viele westliche Länder russische Diplomaten ausgewiesen, die russischen Beziehungen zum Westen waren merklich abgekühlt. Nicht jedoch die zu Österreich, das keine Russen ausgewiesen hatte.

Kurz' Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) war im Vorfeld sogar noch weiter gegangen: Er forderte die Aufhebung der EU-Sanktionen aufgrund der Annexion der Krim. Es sei höchste Zeit, "diese leidigen Sanktionen zu beenden und die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland zu normalisieren", sagte er der Zeitung "Österreich".

Knicks für den Kremlchef

Zwei Monate später war Putin dann gleich wieder in Österreich: Außenministerin Karin Kneissl, die als Parteilose für die FPÖ im Kabinett Kurz saß, hatte ihn zu ihrer Hochzeit eingeladen. Im Gepäck hatte er neben Blumen und einem zehnköpfigen Don-Kosaken-Chor auch – wie erst in diesem Jahr nach Recherchen der "Kronen-Zeitung" herauskam – Saphir-Ohrringe im Wert von rund 50.000 Euro. Für Entrüstung sorgte jedoch vor allem der gemeinsame Walzer der Außenministerin und des russischen Präsidenten, inklusive tiefen Knicks.

Kneissl verteidigte sich gegen Vorwürfe: Es habe sich mitnichten um einen Akt der Unterwerfung gehandelt, sondern lediglich um die Antwort auf eine vorhergegangene Verbeugung Putins. Nach gut eineinhalb Stunden soll der Besuch des Kremlchefs in der Steiermark wieder vorbei gewesen sein – Putin reiste nach einem Vieraugengespräch mit Kanzler Kurz im Auto weiter zu einem Treffen mit Angela Merkel. "Das war ein guter Ausflug, sehr freundlich", blickte er auf Schloss Meseberg auf seinen Trip in die Steiermark zurück.

Österreichische Ex-Politiker in russischen Aufsichtsräten

Die Russland-Zuneigung von Karin Kneissl blieb – nach ihrer Politkarriere schreibt sie seit 2020 als Kolumnistin für den Staatssender RT. Noch wenige Stunden vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine bezeichnete sie die Anerkennung der selbsternannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk als normalen Vorgang und kritisierte die westliche Reaktion auf Putins Entscheidung. Auf russischer Seite sei "sehr, sehr viel Enttäuschung entstanden". Auch hält sie nach wie vor an ihrem Aufsichtsratsposten beim russischen Ölriesen Rosneft fest.

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Anders der frühere Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ): Noch am 24. Februar legte er sein Aufsichtsratsmandat bei der russischen Staatsbahn RZD nieder. Die RZD sei Teil der Kriegslogistik geworden, sagte er dem "Standard".

Nach massivem Druck entschied sich Anfang März auch Ex-Kanzler Wolfgang Schlüssel (ÖVP) dazu, den Aufsichtsrat des Ölkonzerns Lukoil zu verlassen. Mit dem "kriegerischen Überfall auf die Ukraine" sei eine rote Linie überschritten, sagte er.

Wieder ist es ein Österreicher

Nun war es mit Karl Nehammer wieder ein Österreicher, der als erster westlicher Regierungschef seit Kriegsbeginn auf Wladimir Putin traf. Auf wessen Seite er steht, war trotz gesetzlicher Neutralität schon zuvor klar: "Wir sind militärisch neutral, aber nicht, wenn es darum geht, Verbrechen zu benennen, und wenn es darum geht, dort hinzugehen, wo tatsächlich Unrecht passiert", betonte er am Samstag bei seinem Besuch in Kiew und Butscha.

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Auch in Moskau stellte Nehammer klar: "Das ist kein Freundschaftsbesuch." Die Gespräche mit dem russischen Präsidenten seien "sehr direkt, offen und hart" gewesen, bilanzierte er anschließend. Hier lesen Sie mehr zu Nehammers Fazit nach dem Treffen.

Bereits gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hatte er weitere Sanktionen gegen Russland angekündigt. Dies habe er auch gegenüber Putin wiederholt, so Nehammer am Montag. Nur einen Importstopp für Gas und Öl wird es mit ihm wohl nicht geben, das hatte er schon Mitte März klargestellt.

Besonders im Energiesektor sind die wirtschaftlichen Abhängigkeiten zu groß: Österreich importiert 80 Prozent seines Gases aus Russland, der teilstaatliche Konzern OMV war einer der Großinvestoren bei Nord Stream 2.

Aus Angst vor den Konsequenzen schreckt Nehammer vor einem solchen Schritt bisher noch zurück. Doch die österreichisch-russischen Beziehungen sind mit dem Ukraine-Krieg schon jetzt deutlich erkaltet.

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