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Kriegsverbrechen in der Ukraine: So viel Blut klebt an Putins Händen


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Kriegsverbrechen in der Ukraine
So viel Blut klebt an Putins Händen


16.03.2022Lesedauer: 6 Min.
Präzisionsluftschlag der russischen Streitkräfte: Zwei Militärfahrzeuge mit ukrainischen Infanteristen wurden dabei getroffen und zerstört.Vergrößern des Bildes
Präzisionsluftschlag der russischen Streitkräfte: Zwei Militärfahrzeuge mit ukrainischen Infanteristen wurden dabei getroffen und zerstört. (Quelle: imago-images-bilder)
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Während Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine andauert, sammeln Experten bereits Beweise für eine Anklage. Die Liste mutmaßlicher Kriegsverbrechen wird mit jedem Tag länger.

Zerbombte Wohnhäuser. Menschen, die in U-Bahn-Stationen ausharren. Schwangere, die aus den Trümmern einer Geburtsklinik fliehen. Das sind einige der grausamen Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine. Längst geht es nicht mehr nur um militärische Ziele.

Die Vereinten Nationen (UN) zählen derzeit insgesamt 726 Zivilisten, die bei dem Angriff Russlands auf die Ukraine getötet wurden. Darunter 42 Kinder. 1.174 Zivilisten sind nach bestätigten Berichten verletzt worden. Die tatsächlichen Opferzahlen dürften jedoch deutlich höher liegen, da sich die Meldungen durch die Kämpfe verzögern. So meldet etwa allein die umkämpfte Stadt Mariupol am Mittwoch mehr als 2.400 getötete Zivilisten.

In Anbetracht der vielen zivilen Opfer beschuldigt die Ukraine Russland, Kriegsverbrechen zu begehen. "Das Kriegsverbrechergesetz beruht auf dem Grundprinzip, dass Kämpfer jederzeit zwischen der Zivilbevölkerung und Kampfteilnehmern sowie zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen unterscheiden müssen", erklärt Michael A. Newton, ein Experte für Kriegsverbrechen, dem Sender CNN.

Angriffe dürften sich demnach nur auf militärische Ziele richten. Der Kreml behauptet vehement, dass sich Russland an dieses Gebot halte. Doch zahlreiche Bilder, Videos und Berichte ergeben ein anderes Bild. Ein Überblick:

Streumunition und "dumb bombs"

Nato und Vereinte Nationen haben Russland unter anderem den Einsatz von Streumunition vorgeworfen. Es lägen "glaubwürdige Berichte über den Einsatz von Streumunition durch russische Streitkräfte auch in besiedelten Gebieten" vor, sagte die UN-Beauftragte für politische Angelegenheiten, Rosemary DiCarlo.

"Wir haben wiederholt Bilder gesehen, auch von Überwachungskameras, die zeigen, dass diese Munition flächendeckend eingesetzt worden ist", berichtet auch Simone Wisotzki, Friedens- und Konfliktforscherin, dem "Deutschlandfunk".

Der Einsatz von Streumunition ist international geächtet, da nicht alle Bomblets sofort explodieren und so selbst nach der eigentlichen Kriegshandlung noch gefährlich sein können. Zudem seien sie keine Präzisionswaffe. Stattdessen gehe es darum, ein möglichst großes Areal zu bombardieren, erklärt die Expertin.

So etwa in Charkiw: Wie der "Spiegel" berichtet, wurden dort vier Zivilisten durch Streubomben getötet, als sie Wasser holen wollten. Nur wenige Straßen weiter seien Streubomben auf ein Geschäft niedergegangen. Dort soll ebenfalls mindestens eine Frau tödliche Verletzungen erlitten haben.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft Russland zudem den Einsatz von sogenannten dumb bombs (zu Deutsch: dumme Bomben) über zivilen Bereichen vor. Diese seien ungelenkt und ermöglichten es dem Angreifer somit nicht, zwischen Zivilpersonen und Kampfteilnehmern zu unterscheiden. Videoaufnahmen vom 3. März sollen zeigen, wie mehrere dieser Bomben in Tschernihiw einschlagen. 47 Zivilisten sollen dabei ums Leben gekommen sein.

Gezielte Angriffe auf zivile Einrichtungen

Zivilisten werden jedoch nicht nur zu Opfern ungezielter Angriffe – zivile Einrichtungen werden diversen Berichten zufolge auch immer wieder direkt zum Ziel russischer Kriegshandlungen.

So warf die Ukraine Russland am Mittwoch vor, in einem Krankenhaus in Mariupol etwa 400 Zivilisten als Geiseln zu halten. "Und jetzt wird aus dem Krankenhaus heraus geschossen", sagte Iryna Wereschtschuk, die Vizeregierungschefin der Ukraine. Hilfsorganisationen hatten ähnliche Vorwürfe erhoben. Unabhängig können die Angaben derzeit nicht überprüft werden.

In Mariupol hatte zuletzt das Bild einer schwangeren Frau für Aufsehen gesorgt, die aus den Trümmern einer Geburtsklinik getragen wurde. Sie und ihr Baby überlebten den Angriff, bei dem auch weitere Zivilisten starben, nicht. Moskau bekannte sich später zu dem Angriff, behauptete jedoch, die Geburtsklinik sei keine solche gewesen, sondern zuletzt von ukrainischen Kämpfern genutzt worden. Von ukrainischer wie auch von UN-Seite hieß es hingegen, dass es sich um eine zu dem Zeitpunkt noch funktionierende Geburtsklinik gehandelt habe.

Auch in anderen Teilen des Landes soll es Angriffe auf zivile Einrichtungen gegeben haben. So wurden etwa auf dem Gelände eines Waisenhauses in der Frontstadt Mykolajiw Reste von Streubomben entdeckt. Das berichtet die "Zeit". Demnach leben in dem Haus normalerweise 302 Kinder und Jugendliche sowie ihre Betreuer. Wenige Tage vor dem Angriff seien sie jedoch in den Westen der Ukraine evakuiert worden.

Angriffe auf einzelne Zivilpersonen

Nicht nur Einrichtungen, sondern auch einzelne Zivilisten werden offenbar attackiert. So berichtetet der öffentlich-rechtliche Sender Suspline am Mittwoch über ein Video, dessen Aufnahmen aus Tschernihiw stammen sollen. Darin zu sehen sind die leblosen Körper mehrerer Menschen. Zehn Personen sollen durch russischen Beschuss getötet worden sein.

Allein in der Region Tschernihiw hat die Staatsanwaltschaft demnach seit Beginn des Krieges mindestens 200 Fälle aufgenommen, die als Kriegsverbrechen eingestuft werden könnten. Unabhängig überprüfen lässt sich die Echtheit des Videos nicht. Es passt aber in eine Reihe ähnlicher Berichte.

Ein weiteres Beispiel vom 7. März: Autos fahren auf der Schnellstraße E40 nur wenige Kilometer von Kiew entfernt in Richtung der Hauptstadt. Plötzlich halten zwei Fahrer mit ihren Wagen an, einer steigt mit erhobenen Händen aus seinem Fahrzeug – und wird erschossen. Ein russischer Panzer war neben einer Tankstelle positioniert, die Besatzung hatte das Feuer auf den Zivilisten eröffnet. Das zeigen Aufnahmen einer ukrainischen Drohne, die dem ZDF-Magazin "Frontal" vorliegen. Die Täter, offenbar russische Soldaten, zu erkennen an ihren weißen Armbinden, führen das Kind und die Frau des toten Mannes ab.

In Makariw, circa 70 Kilometer von Kiew entfernt, filmte eine Überwachungskamera einen ähnlichen Vorfall: Ein Video, das dem "Spiegel" vorliegt, zeigt einen Kleinwagen auf einer Kreuzung. Plötzlich biegt ein russischer Schützenpanzer um die Kurve und eröffnet das Feuer auf den Pkw. Der Panzer fährt davon. Zurück bleiben das Wrack des Autos und die zwei Leichen der zivilen Insassen.

Schüsse auf das Atomkraftwerk Saporischschja

Bei dem Angriff auf das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja am 4. März soll es sich nach Worten der US-Botschaft ebenfalls um ein Kriegsverbrechen handeln. "Mit dem Beschuss des größten europäischen Kernkraftwerks geht Putins Schreckensherrschaft noch einen Schritt weiter", mahnt die Botschaft. "Es ist ein Kriegsverbrechen, ein Atomkraftwerk anzugreifen."

Völkerrechtler Markus Kotzur bestätigte dies. Nach seiner Einschätzung erfüllt der Angriff auf ein Atomkraftwerk sogar gleich mehrere Tatbestände. Dazu zählten etwa die vorsätzliche Verursachung großer Leiden, die Zerstörung von Eigentum, die nicht durch militärische Zwecke gerechtfertigt sei, sowie Angriffe auf die Zivilbevölkerung, sagte Kotzur dem "Handelsblatt". Moskau stritt die Vorwürfe ab und beschuldigte die Ukraine, selbst auf das Atomkraftwerk geschossen zu haben.

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Eine erhebliche Gefahr für die Zivilbevölkerung bestünde darüber hinaus, sollte radioaktive Strahlung aus der Atomruine Tschernobyl austreten. Das Atomkraftwerk ist derzeit unter russischer Besatzung. Durch Kampfhandlungen wurde es in den vergangenen Tagen immer wieder vom Stromnetz getrennt. Die Stromversorgung ist jedoch notwendig, um die radioaktiven Abfälle zu kühlen.

Vergewaltigung als Kriegswaffe

Ein Kriegsverbrechen, von dem in Kriegszeiten besonders Frauen betroffen sind, ist die Vergewaltigung. Dmytro Kuleba, der Außenminister der Ukraine, berichtete zuletzt, dass "zahlreiche Fälle" bekannt seien, in denen Besatzungstruppen ukrainische Frauen vergewaltigt hätten. Rechtssicher dokumentierte Beweise gibt es bisher nicht. Aber auch hier ist die Anschuldigung alles andere als ein Einzelfall.

Der US-Sender CNN veröffentlichte ein Interview mit einer Ukrainerin, die die Vergewaltigung und Tötung einer 17-Jährigen durch russische Soldaten in Kherson schilderte. Unabhängig überprüfen lässt sich ihre Aussage ebenfalls nicht.

Kriegsverbrechen könnten unbestraft bleiben

Zu dem Vorwurf der Kriegsverbrechen durch Russland ermittelt derzeit der Internationale Strafgerichtshof (ICC) und hat bereits Experten vor Ort in der Ukraine, um Beweise zu sammeln. Denn auch wenn Russland das Weltstrafgericht nicht anerkennt, die Ukraine tut es. Das könnte einen Prozess theoretisch möglich machen.

Ein Verfahren gegen die Verantwortlichen schätzt Christian Tomuschat, Völkerrechtler und ehemaliges Mitglied der UN-Völkerrechtskommission, im "Handelsblatt" jedoch als schwierig ein. In der Theorie sei das zwar möglich, doch weder die Ukraine noch Russland seien Vertragsstaaten des Römischen Statuts, das die rechtliche Grundlage für den ICC bilde.

Zudem vermutet Tomuschat, Russland werde als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat verhindern, dass das Gremium den Angriffskrieg gegen die Ukraine offiziell an den ICC überweist. Und: "Russland müsste mutmaßliche Kriegsverbrecher ausliefern, was derzeit unwahrscheinlich ist. Verfahren in Abwesenheit gibt es vor dem ICC nicht", erklärt der Völkerrechtler.

"Wer gab konkret die Kommandos für die Beschießung der Krankenhäuser und Wohngebiete mit Artillerie oder aus der Luft? Diese Fragen können Ermittler nur beantworten, wenn Russland kooperiert. Das tut die Regierung natürlich nicht", so Tomuschat. Auch eine Verurteilung Putins in einem anderen Land hält er für unwahrscheinlich, zumal das jeweilige Gericht den Kriegstreiber persönlich aufgreifen müsste.

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