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Waffenexporte und Swift-Ausschluss: Der Realitätsschock für Olaf Scholz


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Olaf Scholz im Ukraine-Krieg
Der Realitätsschock


Aktualisiert am 26.02.2022Lesedauer: 4 Min.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Grab des unbekannten Soldaten in Moskau. Nicht mal zwei Wochen ist das her. Seitdem überschlugen sich die Ereignisse.Vergrößern des Bildes
Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Grab des unbekannten Soldaten in Moskau. Nicht mal zwei Wochen ist das her. Seitdem überschlugen sich die Ereignisse. (Quelle: Sergei Karpukhin/TASS/imago-images-bilder)
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Plötzlich geht alles ganz schnell: Deutschland liefert Waffen an die Ukraine – und verweigert sich dem Swift-Ausschluss Russlands nicht mehr. Es ist ein Berliner Samstag mit einer sehr steilen Lernkurve.

Und er bewegt sich doch: Olaf Scholz gibt seinen Widerstand auf. Und damit natürlich auch die Bundesregierung. Sie liefert 1.000 Panzerabwehrwaffen und 500 Bodenluftraketen vom Typ "Stinger" aus Beständen der Bundeswehr. Darüber hinaus ist die Ampelkoalition nicht mehr grundsätzlich gegen einen Ausschluss Russlands aus dem sogenannten Swift-System, das für den internationalen Zahlungsverkehr wichtig ist.

"Ja" zu Waffenexporten und "Ja" zur teilweisen Abtrennung Russlands vom internationalen Zahlungsverkehr – es ist eine zweifache Kehrtwende. Und eine längst überfällige. Denn zuletzt riskierte die Bundesrepublik, international zusehends isoliert zu sein. Wenn die Situation angesichts des ersten Angriffskrieges in Europa seit mehr als 80 Jahren nicht so bitterernst wäre, müsste man sogar sagen: Deutschland war auf dem besten Wege, sich international lächerlich zu machen.

Die Posse um die Helme

Die Ampelkoalition dachte offenbar, sie könne sich auch in dieser historischen Situation irgendwie durchmogeln. Lange hielt sie daran fest, partout keine Waffenexporte in die Ukraine zu genehmigen. Selbst neun Haubitzen aus alten DDR-Beständen, die Estland gern an die ukrainische Armee weitergereicht hätte, sollten die Grenze nicht überqueren.

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Als sich das Verteidigungsministerium schließlich erbarmte, 5.000 Helme Richtung Kiew zu schicken, war niemand angesichts der mickrigen Geste peinlich berührt, sondern sie wurde auch noch als "ganz deutliches Signal gefeiert", dass Deutschland an der Seite der Ukraine stehe.

An diesem Samstag, mehr als vier Wochen nach der Ankündigung, erreichten die Helme das ukrainische Militär. Und mehr noch: Auch Estland darf nun die Haubitzen liefern. Und die Niederlande 400 Panzerfäuste aus deutscher Produktion. 14 gepanzerte Fahrzeuge und 10.000 Tonnen Treibstoff gibt es zudem noch aus Deutschland.

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Warum? Weil der Druck auf die Berliner Regierung einfach zu groß geworden ist. Ein Land nach dem nächsten kündigte an, der Ukraine Waffen zu liefern. Viel länger als bis zu diesem Wochenende hätte Deutschland seine oft moralisierende Außenpolitik angesichts der realpolitischen Lage wohl kaum durchgehalten.

Der Druck bei Swift stieg stündlich

In höchster Not gab die Bundesregierung nun auch ihr absolutes "Njet" zu einem Ausschluss Russlands aus Swift auf. Denn auch bei diesem Thema war der Druck in den vergangenen Tagen immer weiter gestiegen. Noch am Donnerstag und Freitag konnte die Bundesregierung darauf hinweisen, dass man ja bei Swift nicht allein zögere. Italien war angeblich skeptisch, Frankreich auch, also mit Deutschland schon mal die drei größten EU-Staaten. Ungarn und Zypern wurden auch genannt.

Doch der Wunsch, jetzt endlich ein klares Zeichen nach Moskau zu senden, nahm in den Parteien der Ampelregierung und den Medien deutlich zu. Und die Argumente der Bundesregierung wurden auch nicht besser, wirkten angesichts des Sterbens in der Ukraine zuletzt sogar äußerst kleinlich. So warnte Außenministerin Annalena Baerbock vor der "Breitenwirkung" eines Swift-Ausschlusses. Eine in Europa lebende Enkelin könne ihrer Großmutter in Russland dann kein Geld mehr überweisen.

Noch wichtiger für den Berliner Kurswechsel war aber, dass in allen anderen europäischen Hauptstädten die Ablehnung mit jeder Stunde bröckelte, die der Krieg in der Ukraine andauerte. Am Samstagnachmittag stand es in der EU 26 zu eins.

Der italienische Ministerpräsident und frühere Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, versprach dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Samstag telefonisch, doch bei einem Swift-Ausschluss Russlands mitzumachen. Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire erklärte, man sei auch dabei – selbst wenn der Ausschluss eine finanzielle Atomwaffe sei. Und Ungarn bestritt, überhaupt jemals dagegen gewesen zu sein.

Übrig blieben allein: Olaf Scholz und die Bundesregierung.

Zwei Gäste mit einer Botschaft

Dabei hatte Scholz am Mittag im Kanzleramt zwei Gäste empfangen, deren Botschaft klar gewesen sein dürfte: Den polnischen Präsidenten, Mateusz Morawiecki, und den litauischen Präsidenten, Gitanas Nausèda.

Polen tut sich gerade als einer der eifrigsten Unterstützer der Ukraine hervor. Was Morawiecki von Scholz wollte, sagte er schon vor Beginn der Gespräche unmissverständlich: "Ich bin nach Berlin gekommen, um an das Gewissen Deutschlands zu appellieren, damit es endlich wirklich harte Sanktionen beschließt, die die Entscheidungen des Kreml beeinflussen."

Es sollte jedoch noch Stunden dauern, bis sich am Abend auch die Bundesregierung erstmals meldete. Man arbeite "unter Hochdruck daran, wie die Kollateralschäden einer Abkopplung (Russlands) von Swift so eingegrenzt werden können, dass sie die Richtigen trifft", teilten Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck mit. "Was wir brauchen, ist eine gezielte und funktionale Einschränkung von Swift."

Das schärfste Instrument

Keine Frage: Die komplette Abkopplung Russlands vom System der "Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication" ist die schärfste Sanktion, die der Westen hat. Swift wickelt zwar selbst keine Zahlungen ab, darüber lassen sich aber Informationen über Geldtransfers schnell und sicher austauschen. Rund 11.000 Banken und Finanzinstitutionen in mehr als 200 Ländern nutzen das System. So sind weltweite Standards entstanden.

Allerdings – und diese Sorge der Bundesregierung ist durchaus berechtigt – wirkt die komplette Abkopplung eines Landes eben in beide Richtungen. Russische Unternehmen könnten dann etwa kaum noch Geschäfte mit deutschen Firmen machen, die aber auch nicht mehr mit russischen. Wie Deutschland künftig etwa das Gas bezahlen würde, das es aus Russland bekommt, ist offen. Entsprechend könnte der Kreml die Lieferungen einstellen, was die Energieversorgung gefährden würde.

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Auch darüber hinaus könnten die ökonomischen Verwerfungen groß sein. Nur ist eben auch immer die Frage, was die Alternative ist: Hätte Deutschland eine EU-Entscheidung weiter eisern blockiert, hätten die heutigen Partner das womöglich über eine sehr lange Zeit nicht vergessen. Das wäre ein vermutlich noch größerer, ja irreparabler Schaden gewesen.

Nun ist die Bundesregierung aber eben auch in der Pflicht, ein Kunstwerk zu vollbringen: eine "gezielte und funktionale Einschränkung von Swift", die nur die Verantwortlichen für das Blutvergießen in der Ukraine trifft.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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