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Ukrainer über Russlands Invasion: "Möge Gott uns beistehen."


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Russische Panzer vor Kiew
"Es fühlt sich an wie ein Albtraum"


24.02.2022Lesedauer: 5 Min.
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Ukraine: Eine Rakete landete direkt an einem Wohnhaus. Eine schockierte Anwohnerin berichtet. (Quelle: t-online)
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Das Worst-Case-Szenario ist eingetreten: Russland marschiert mit Panzern und Bodentruppen in die Ukraine ein. Bereits Dutzende Tote sind zu beklagen. Ukrainer berichten von ihrer Angst davor, was als Nächstes kommt.

Raketenangriffe seit dem frühen Morgen, Kampfhubschrauber über Wohngebieten, Panzer, die auf ukrainische Städte zurollen – der Albtraum für vierzig Millionen Ukrainer ist wahr geworden.

Die Welt reagiert mit Entsetzen auf die russische Offensive. Die Nato aktiviert ihre Verteidigungspläne, EU und USA verhängen neue Sanktionen. In bemerkenswert brutaler Selbstkritik formulierte Ex-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, was viele denken, aber von den politisch Verantwortlichen sich keiner auszusprechen traute:

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Noch vor kurzem behaupteten die Putin-Versteher dieser Welt, von der SPD über die Linke und die AfD bis zu dem vom Hof gejagten deutschen Ex-Marinechef, Putin wolle nur "Respekt", "Sicherheitsgarantien", sicher keine Invasion. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) lehnte noch im Januar "immer härtere Sanktionen" gegen Putin ab und warnte vor einem Stopp von Nord Stream 2.

Hinweis: Aktuelle Informationen zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.

Diese Naivität kommt nun teuer zu stehen – und zwar vor allem den Millionen Ukrainern, die nun in Luftschutzbunkern hocken, im Schützengraben liegen oder vor Putins Armee in den Westen fliehen.

Es sind Menschen wie Marta Yuzkiv, die sich heute früh um 4.35 Uhr deutscher Zeit mit einer bedrückenden WhatsApp-Nachricht meldete:

"Hi, der Krieg hat begonnen. Möge Gott uns beistehen."

Bei einem t-online-Besuch in ihrem Haus in Hnativka, einem Dorf nahe Kiew, Anfang Februar erzählte sie von ihren Notfallplänen für genau diesen Tag – die groß angelegte Invasion, "den großen Krieg", wie Yuzkiv damals sagte.

Denn die Mutter von drei Söhnen, ihr Mann und ihr ältester Sohn gehören zur selben Einheit der Territorialen Verteidigungskräfte, einem Freiwilligenverband der ukrainischen Armee. Im Kriegsfall, also jetzt, werden die drei einberufen und müssen kritische Infrastruktur in der Hauptstadt verteidigen. Ihre beiden Söhne, Zwillinge im Alter von 13 Jahren, bleiben alleine zurück und müssen sich um das Haus und die zehn Katzen kümmern, die bei den Yuzkivs leben.

"Sie wissen, was zu tun ist", sagte die 51-Jährige im t-online-Interview vor drei Wochen. "Wir haben Pläne gemacht und alles besprochen. Wenn mein Mann und ich losziehen, bleiben sie hier und kümmern sich um das Haus und die Katzen. Sie wissen, wie man kocht und das Gemüse im Garten erntet. Zur Not gibt es ja noch die Vorratskammer." In der kleinen Kammer lagerten Reis in Säcken, eingelegter Kürbis in Gläsern, "Bonduelle"-Erbsen. "Das reicht den Jungs für mehrere Monate", so Yuzkiv damals.

Ob sie bereits mit ihrer AR-15 in Kiew stationiert ist und wie es ihren Zwillingen geht, ist derzeit unklar. Seit der WhatsApp-Nachricht am Morgen ist die 51-Jährige nicht mehr erreichbar.

"Wir brauchen Waffen. Viele und jetzt!" – Iwan, 33 Jahre

Auch Iwan Polozenko wartet auf den Krieg. Der 33-Jährige ist eigentlich Händler, verkauft Bier und Brennholz nach Deutschland und Europa, Wodka in den Nahen Osten. Seit Monaten trainiert er mit anderen Zivilisten – Frisöre, Architekten, Investmentbanker – in einem Waldgebiet nahe Kiew für den Kriegsfall. Weil er 2014 und 2015 schon gegen prorussische Separatisten in der Ostukraine gekämpft hat, verfügt er über mehr Kampferfahrung als viele der Zivilisten, die sich nun bei der ukrainischen Armee melden, um ihr Land zu verteidigen.

Der Artillerieoffizier wartet derzeit im Bezirksmilitärkommissariat in Kiew auf seinen Einsatz. Am Telefon erzählt er, wie er sich auf die russische Armee vorbereitet.

Präsident Selenskyj hat alle Ukrainer zu den Waffen gerufen. Folgen die Bürger dem Aufruf?

Hier geht es zu wie auf einem Bahnhof. Es kommen so viele Leute zu den Rekrutierungszentren, dass sie schon wieder Leute heimschicken mussten.

Warum?

Die Bürokratie kommt nicht hinterher. Jeder einzelne muss überprüft werden, wie er am besten eingesetzt wird. Von hier aus werden Freiwillige ins ganze Land entsendet. Ich warte hier schon seit dem Morgen. Ich hoffe, es geht bald los.

Du hoffst, dass du bald in den Krieg ziehen kannst?

Ich habe es satt, hier zu sitzen. Ich kann es nicht erwarten, meine Fähigkeiten einzusetzen. Die acht Jahre Krieg haben uns gestählt. Meine Angst habe ich unterdrückt.

Videos zeigen Alarmsirenen über Kiew, Raketen fallen auf die Hauptstadt. Versteckt ihr euch im Bunker, wenn es knallt?

Wir haben eine Art Erdgeschoss, aber das hält nicht jeder Rakete stand. Aber ich bin bei der Armee, das ist Berufsrisiko. Ich will mich nicht in einem Bunker verstecken. Meine größte Angst ist eine andere.

Welche?

Dass ich nicht bei meiner Batterie bin, wenn der Feind einmarschiert. Ich warte seit heute Morgen. Mein Einsatzgebiet wird 200 Kilometer westlich von Kiew sein, wahrscheinlich werde ich es mit den Truppen zu tun bekommen, die aus Belarus einmarschieren.

Wo sind Olga und Sergey, mit denen du jeden Samstag für den Ernstfall trainiert hast und mit denen wir erst vor drei Wochen gemeinsam im Schnee standen (mehr dazu lesen Sie hier)?

Die haben schon ihr Sturmgewehr in die Hand gedrückt bekommen. Sie sind Infanteristen und müssen Kiew verteidigen. Wenn ich mir die russischen Truppenbewegungen anschaue, fürchte ich, kommen sie eher ins Gefecht als ich.

Siehst Du einen Hoffnungsschimmer?

Die Lage ist schwierig, aber noch nicht verloren. Ich bin überzeugt, dass wenn alle ukrainischen Soldaten und Freiwilligen bewaffnet und im Einsatz sind, wir Russland zurückschlagen können. Wir müssen die erste Welle überleben. Bei großen Verlusten für den Feind wird es auch in Russland Unruhen geben.

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Was kann Putin jetzt noch stoppen?

Das, was ihn schon vorher hätte stoppen können: Waffen. Der Feind hat viele Waffenlager vernichtet. Wir brauchen Waffen. Viele und jetzt.

"Es fühlt sich an wie ein Albtraum" – Vasily, 21 Jahre

Polozenkos Entschlossenheit teilt Vasily Volotovskyi nicht ganz. Der 21-jährige Kiewer arbeitet für ein amerikanisches Pharmaunternehmen und ist gerade beruflich in Lwiw. Noch heute will er nach Kiew zurückreisen – trotz der beunruhigenden Nachrichten, die ihn aus der Hauptstadt erreichen.

Wo warst du heute Morgen, als der Einmarsch begonnen hat?

Heute um 6.21 Uhr morgens hat mich meine Mutter mit einem Anruf geweckt. Ich war gerade in Lwiw in der Westukraine. Sie rief durchs Telefon: "Es hat begonnen, sie bombardieren Kiew." Ich war am Boden zerstört und konnte darauf nichts antworten. Ich war sprachlos."

Was hast du gesagt, als du wieder sprechen konntest?

Ich bat sie nur, ihre Sachen zu packen und ruhig zu bleiben. Es fühlt sich immer noch wie ein Albtraum an. Ich wünschte, ich wäre wieder aufgewacht.

Du bist gerade auf dem Weg von Lwiw zurück nach Kiew. Das heißt, du fährst von Westen in die Stadt, während von Osten und Norden russische Truppen und Helikopter auf die Stadt vorrücken. Hast du keine Angst, dass die Panzer vor dir da sind?

Doch, ich habe riesige Angst. Aber ich habe keine Wahl, ich muss zurück. Wo soll ich sonst hin?

Wo ist deine Familie gerade?

Ich telefoniere ständig mit meiner Familie. Sie wohnen in der Zentralukraine, aber fliehen nach Czernowitz, einer Stadt nahe der rumänischen Grenze. Meinte Mutter sagt mir immer wieder, dass wir alle in Sicherheit sein werden und keinem von uns etwas Schlimmes passieren wird.

Sagt sie das, um dich zu beruhigen oder glaubt sie wirklich daran?

Sie sagt das hauptsächlich, um sich selbst zu beruhigen.

Was denkst du, wird als Nächstes passieren?

Ich wurde in der Republik Karelien in Nordwestrussland geboren, die einst zu Finnland gehörte. Bis 1939 die Truppen der Sowjetunion dort einfielen. Moskau verlor 130.000 Soldaten während dieser Invasion, die finnischen Verluste waren mit 25.000 Soldaten deutlich geringer.

Aber selbst das hielt die sowjetischen Truppen nicht auf. Ich habe Angst, dass so etwas wieder passieren wird. Ich fürchte, dass keine noch so große Zahl an Verlusten den Verrückten im Kreml stoppen wird.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Telefonat mit Vasily Volotovskyi
  • Telefonat mit Iwan Polozenko
  • WhatsApp-Chat mit Marta Yuzkiv
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