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Boris Johnson vor dem Aus? Jetzt startet die "Operation rotes Fleisch"


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Premierminister vor dem Aus?
Jetzt startet Johnson die "Operation rotes Fleisch"


Aktualisiert am 18.01.2022Lesedauer: 5 Min.
Boris Johnson: Der britische Premier steht aufgrund von Partys trotz strenger Corona-Maßnahmen in der Kritik.Vergrößern des Bildes
Boris Johnson: Der britische Premier steht aufgrund von Partys trotz strenger Corona-Maßnahmen in der Kritik. (Quelle: Dylan Martinez/reuters)

Der britische Premier stolpert nahezu täglich von einem Skandal zum nächsten. Doch nun will er gleich mit mehreren Maßnahmen zurückschlagen. Reicht seine politische Gegenoffensive aus?

Wie ernst es Boris Johnson ist, lässt sich auch an der Wortwahl des britischen Premierministers erkennen: Der Codename "Operation Red Meat" ("Operation rotes Fleisch") soll laut mehreren Medienberichten aktuell durch die Downing Street Nummer 10 in London geistern. Gemeint ist damit Johnsons großer Plan, politisch wieder in die Offensive zu kommen – und möglicherweise seine Karriere zu retten.

Noch nie stand Johnson unter so großem Druck. Nahezu täglich tauchen neue Geschichten über ihn und die Mitglieder seines Kabinetts in britischen Medien auf: Im Kern sollen Johnson und seine Mitarbeiter immer wieder bewusst mit Partys und anderen Zusammenkünften gegen Corona-Maßnahmen verstoßen haben – während härteste Lockdown-Regeln galten.

Stürzt Johnson über "Partygate"?

Nach zwei halbherzigen Entschuldigungen in der vergangenen Woche will der Premier nun mit markigen Maßnahmen ablenken. Das rote Fleisch, das er den gefräßigen Boulevard-Medien, seiner konservativen Partei und den Wählern hinwirft, sieht folgendermaßen aus: Der Ärmelkanal soll künftig besser vor illegalen Migranten geschützt werden, daneben könnten zum 26. Januar alle restlichen Corona-Maßnahmen auslaufen. Und die Gebühren der öffentlich-rechtlich finanzierten BBC sollen zunächst eingefroren und 2027 möglicherweise ganz abgeschafft werden. Drei äußerst kontroverse Themen in kurzer Zeit: Reicht das, um im Amt zu bleiben?

Johnsons jüngster Skandal, der mittlerweile den Namen "Partygate" trägt, begann im vergangenen November: Angefangen mit dem "Daily Mirror" berichteten britische Medien, Johnson und sein Kabinett hätten im Lockdown-Winter 2020 mehrere Partys im Regierungssitz veranstaltet. Bei zwei Veranstaltungen sollen sich zwischen 40 und 50 Menschen in einem mittelgroßen Raum getummelt haben. "Es war ein Covid-Albtraum", sagte eine anonyme Person der Zeitung. Daraufhin begannen weitere Medien, immer mehr solcher Partys aufzudecken.

Enthüllungen hören nicht auf

Die Downing Street dementierte zunächst. Doch der Druck wuchs mit jeder neuen Enthüllung. Vergangene Woche versuchte Johnson dann, die Wogen zu glätten: Im britischen Parlament bat er am Mittwoch um Entschuldigung für eine Gartenparty in seinem Amtssitz im Mai im Jahre 2020. Er habe allerdings gedacht, es habe sich bei der Zusammenkunft um ein "Arbeitstreffen" gehandelt.

Am Freitag bat die gesamte Regierung dann bei Königin Elisabeth II. um Verzeihung: Im April 2021 hatten am Vorabend der Beerdigung ihres Mannes Prinz Philip zwei Abschiedsfeiern innerhalb der britischen Regierung stattgefunden. Johnson soll nicht teilgenommen haben. Am Folgetag wurde die Trauerfeier unter strengen Corona-Maßnahmen abgehalten, sodass die Queen allein auf der Kirchenbank sitzen musste.

Nur wenig später legte der "Mirror" nach: Am vergangenen Freitagabend enthüllte ein weiterer Bericht, dass sich Johnsons Mitarbeiter vor jedem Wochenende zu den "Wine-Time-Fridays" getroffen hatten – unabhängig von den geltenden Corona-Maßnahmen. Johnson selbst habe seinen Stab dazu ermutigt, um "Dampf abzulassen". Auch der Premier soll die Treffen häufiger besucht haben, seine Mitarbeiter hätten einen eigenen Kühlschrank für ihre Getränke erhalten.

Berater widerspricht Johnson

Gleichzeitig wachsen die Zweifel an Johnsons Verteidigung zur eingangs erwähnten Gartenparty. Sein ehemaliger Topberater Dominic Cummings teilte auf seinem Blog mit, der Premier habe sehr wohl gewusst, dass es sich nicht um eine arbeitsbezogene Veranstaltung handelte. Johnson sei mehrfach gewarnt worden, dass man gegen die Covid-Maßnahmen verstoße. Auch habe ein Mitarbeiter zuvor Einladungen verschickt mit dem Hinweis, die Gäste sollten ihren eigenen Alkohol mitbringen.

Cummings fällt bei dem Partygate-Skandal eine Schlüsselrolle zu: Seit er im November 2020 die Regierung verließ, liefert er sich mit Johnson eine Schlammschlacht. Im Netz veröffentlicht der ehemalige Johnson-Vertraute scheibchenweise Interna aus dem Umfeld des Premiers. Es wird vermutet, dass er auch für die Medien eine der Hauptquellen ist.

Schrilles Auftreten mit System

Johnsons Reaktionen auf die Enthüllungen wirken unglaubwürdig, aber sie sind nicht überraschend. Vielmehr lässt sich ein Muster in seinem Handeln erkennen: Es ist nicht so, dass Johnsons politische Karriere erst in den letzten Monaten von peinlichen Auftritten und Skandalen geprägt war. Dem 57-Jährigen wird immer wieder unterstellt, dass er sein schrilles Image gezielt pflege, um an Beliebtheit und Bekanntheit in der Bevölkerung zu gewinnen. Schon als Bürgermeister von London machte er sich weit über die Hauptstadt hinaus einen Namen, als er etwa in einer Seilrutsche hängen blieb und zwei britische Flaggen in den Händen hielt. Alles politisches Kalkül?

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Gleichzeitig scheint es Johnson als Vorteil zu sehen, wenn er aufgrund seiner Patzer unterschätzt wird: In einem Interview mit der BBC sagte er 2013, er halte es generell für nützlich, den Eindruck zu vermitteln, man habe keine Ahnung davon, was gerade passiert. Denn so könne nie jemand erkennen, wann man wirklich ahnungslos sei.

Es ist exakt die Strategie, die Johnson vergangene Woche im Parlament benutzte: Wusste er nun von der Gartenparty oder nicht? Wie lässt sich das bei ihm schon genau sagen? Es geht hier immerhin um einen erwachsenen Mann, der in einem Interview einst davon sprach, er fertige in seiner Freizeit gerne Modelle von Bussen aus Holz an. Es sind Geschichten wie diese, die Johnsons Karriere prägten, die ihn gleichzeitig unterhaltsam aber auch harmlos erscheinen lassen. "Er war immer beliebt in der Bevölkerung, auch in seiner Partei war das immer sein großes Pfund", sagte Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik t-online.

Mehrheit für Rücktritt des Premiers

Es verdichten sich allerdings die Anzeichen, dass durch das "Partygate" Johnsons Image des unterhaltsamen und einfältigen Politikers an seine Grenzen stößt: Denn die Zustimmungswerte des Premiers sinken nicht nur in seiner eigenen Partei, sondern auch bei den Wählern. 63 Prozent der Briten befürworten laut einer YouGov-Umfrage den Rücktritt ihres Premierministers. Unter den Wählern, die 2019 für Johnson stimmten, sind nur 47 Prozent dafür, dass er weiter im Amt bleibt, 41 Prozent sind auch dort für seinen Rückzug.

Wichtiger für Johnson ist allerdings für den Moment der Rückhalt in seiner eigenen Partei. Während er sich den Wählern erst wieder 2024 stellen muss, könnten die konservativen Tories ihn schon jetzt stürzen. Nötig wären dafür die Stimmen von insgesamt 54 Tory-Abgeordneten im Parlament, damit Johnson die Vertrauensfrage stellen muss. Mehrere Abgeordnete stellten sich bereits öffentlich gegen ihren Premier, die Dunkelzahl derer, die bereits eine Abstimmung über Johnson fordern, soll deutlich höher sein.

"Versucht, auf Zeit zu spielen"

"Die größte Gefahr geht von seiner Partei aus", ist sich auch von Ondarza sicher. Vor allem der rechte Flügel der Konservativen sei eine Bedrohung. Johnson wisse, dass bereits seine Vorgängerin Theresa May von dem Flügel gestürzt wurde. Dementsprechend seien seine Maßnahmen vor allem ein Angebot an die Hardliner der Partei, die sich gegen Corona-Maßnahmen, die aus ihrer Sicht zu liberale BBC und für einen härteren Migrationskurs aussprechen. "Johnson versucht, auf Zeit zu spielen", glaubt von Ondarza.

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Ein Sturz des Premiers wäre allerdings auch ein großes Risiko: In aktuellen Umfragen liegt die sozialdemokratische Labour-Partei rund zehn Prozentpunkte vor den Tories. Zudem drängt sich bei den Konservativen aktuell kein Nachfolger von Johnson sofort auf.

Weniger Bedeutung misst der Politikwissenschaftler dagegen dem Ermittlungsbericht zu "Partygate" zu: Aktuell untersucht die hohe Beamtin Sue Gray die gesamten Vorkommnisse und befragte dazu auch Johnson. In der Öffentlichkeit werden die Ergebnisse mit Spannung erwartet. Experte Nicolai von Ondarza sieht jedoch den nächsten großen Prüfstein für Johnson erst im Mai: Dann stehen in Großbritannien Kommunalwahlen an. Im Falle einer deutlichen Niederlage der Tories könnte sich der Druck auf ihn erneut erhöhen – vorausgesetzt, es tun sich bis dahin keine neuen Skandale bei dem britischen Premier auf.

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