Gericht bestätigt Strafe Kremlgegner Nawalny muss in Haft bleiben
Die Entscheidung überrascht nicht wirklich: Der inhaftierte Alexej Nawalny kommt vorerst nicht frei. Die Proteststimmung im Land könnte das weiter anheizen, erwarten seine Anhänger.
Der Kremlkritiker Alexej Nawalny kommt vorerst nicht aus der Haft frei. Nawalnys Anwälte scheiterten am Donnerstag vor einem Gericht bei Moskau mit ihrem Versuch, die Freilassung des Oppositionellen zu erwirken, wie eine Liveübertragung aus dem Gerichtssaal zeigte. Die Strafe werde unverändert beibehalten, sagte der Richter.
Nawalny war am 17. Januar direkt nach seiner Rückkehr nach Russland an einem Flughafen in Moskau festgenommen und in einem umstrittenen Eilverfahren zunächst zu 30 Tagen Haft verurteilt worden. Der 44-Jährige soll gegen Meldeauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen haben, während er sich in Deutschland von einem Giftanschlag erholte. Sein Team kündigte an, die Entscheidung auch auf internationaler Ebene anzufechten. "Wir gehen in Berufung, wir gehen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wir gehen überall hin", sagte Nawalnys Anwalt Wadim Kobsew vor Reportern.
Nawalny: "Auf unserer Seite ist das Recht"
Nawalny, der bei der Verhandlung per Video aus dem Untersuchungsgefängnis zugeschaltet war, kritisierte die russische Justiz scharf. Das Urteil des Gerichts in der vergangenen Woche sei "das lächerlichste Dokument der Welt". Er äußerte seine Unterstützung für die "wahren Patrioten des Landes", die am vergangenen Wochenende für seine Freilassung demonstriert hatten. "Auf unserer Seite ist das Recht. Wir sind die Mehrheit."
Nawalnys Mitstreiter erneuerten umgehend den Protestaufruf für kommenden Sonntag. "Ihr wisst, was zu tun ist!", schrieben sie im Messengerdienst Telegram. Zwei Tage später, am 2. Februar, wollen Richter darüber entscheiden, ob eine frühere Bewährungsstrafe Nawalnys – wie vom Strafvollzug gefordert – in eine echte Haftstrafe umgewandelt wird.
Russlands Strafvollzug argumentierte der Agentur Interfax zufolge am Donnerstag, Nawalny habe bereits vor seinem Klinikaufenthalt im August "systematisch" gegen Meldeauflagen verstoßen – zwischen Januar und August 2020 alleine sechs Mal. Während der Behandlung hätten die Behörden Verständnis gezeigt und ihn nicht vorgeladen. Sie hatten ihm allerdings kurz vor dem Jahreswechsel – als er sich noch in Deutschland aufhielt – eine Vorladung geschickt.
Razzien gegen Nawalnys Umfeld
Am Mittwoch hatten die Behörden den Druck auf Nawalnys Team erhöht. Nach einer Welle von Razzien nahm die Polizei mehrere seiner Mitarbeiter und Unterstützer fest. So wurden etwa Nawalnys Bruder Oleg, seine Vertraute Ljubow Sobol sowie ein Mitarbeiter seiner Anti-Korruptions-Stiftung festgesetzt. Ihnen wird vorgeworfen, gegen Corona-Hygieneauflagen verstoßen zu haben.
Die Politologin Tatjana Stanowaja sprach von dem "absolut irrsinnigen Versuch" der Behörden, die Opposition vor neuen Protesten zu schwächen. Der Ökonom Wladislaw Inosemzew sagte hingegen dem Radiosender Echo Moskwy, Präsident Wladimir Putin werde den Machtkampf gewinnen.
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Luxus-Palast für den Staatschef?
Nawalnys Organisation kämpft gegen Korruption im russischen Machtapparat und gerät deshalb immer wieder ins Visier der Behörden mit Durchsuchungen und Beschlagnahmungen. Zuletzt hat sich der Oppositionelle in einem viel beachteten Enthüllungsfilm den Kremlchef vorgenommen. Dort wird über einen Luxus-Palast im Wert von rund 1,1 Milliarden Euro an der russischen Schwarzmeerküste berichtet, der Russlands Präsident Wladimir Putin gehören und durch Bestechungsgelder finanziert worden sein soll. Bei Youtube wurde das Video mit dem Titel "Ein Palast für Putin" mehr als eine Woche nach seiner Veröffentlichung rund 98 Millionen Mal aufgerufen.
Der Kreml erklärte, nichts mit dem milliardenschweren Anwesen zu tun zu haben. Unternehmer seien die Eigentümer. Namen wurden aber nicht genannt. Zudem warben inzwischen mehrere Firmen damit, an dem Bau des Anwesens beteiligt gewesen zu sein. Das Internetportal openmedia.io veröffentlichte Informationen eines Moskauer Unternehmens, das auf seiner Internetseite als Referenz aufführte, sich um die Beleuchtung im Palast gekümmert zu haben – im Auftrag der Präsidialverwaltung. Der Eintrag wurde inzwischen gelöscht, ist aber im Archiv abrufbar. Wie Nawalnys Juristin Ljubow Sobol mitteilte, haben damit inzwischen fünf Unternehmen bestätigt, Aufträge vom Präsidentenamt für den Palast ausgeführt zu haben.
4.000 Festnahmen am vergangenen Samstag
Der Film und die Inhaftierung Nawalnys waren am vergangenen Samstag Auslöser beispielloser Proteste gewesen. Russlandweit hatten sich den Organisatoren zufolge bis zu 300.000 Menschen beteiligt. Das Bürgerrechtsportal OWD-Info zählte fast 4.000 Festnahmen bei den nicht genehmigten Kundgebungen. Es gab zudem viele Verletzte. Die Moskauer Polizei teilte am Donnerstag mit, bereits mehr als 260 Menschen im Zusammenhang mit den Protesten in der Hauptstadt juristisch zur Verantwortung gezogen zu haben. 110 von ihnen wurden demnach zu Haftstrafen verurteilt.
Die Moskauer Staatsanwaltschaft warnte Internetplattformen, Aufrufe zu den geplanten Nawalny-Demonstrationen am kommenden Sonntag zu veröffentlichen. Die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor hatte bereits wegen der Kundgebungen am vergangenen Samstag Geldstrafen unter anderem gegen Twitter, Facebook und Youtube verhängt, weil diese Aufrufe an Minderjährige nicht gelöscht haben sollen.
In diesem Zusammenhang eröffnete das Ermittlungskomitee auch ein Strafverfahren gegen den im Ausland lebenden Chef von Nawalnys Stab, Leonid Wolkow, wie die Behörde mitteilte. Wolkow hatte sich gegen den Vorwurf der "Verleitung" Minderjähriger zu Demos zuvor verteidigt.
Nawalny war im August im sibirischen Tomsk Opfer eines Mordanschlags mit dem Nervengift Nowitschok geworden. Er machte danach ein "Killerkommando" des Inlandsgeheimdienstes FSB unter Putins Befehl verantwortlich für das Attentat. Putin und der FSB weisen das zurück. Die EU hat gegen ranghohe russische Funktionäre wegen des Anschlags Sanktionen erlassen. Die russischen Behörden lehnen Ermittlungen zu dem international verurteilten Verbrechen ab.
- Nachrichtenagentur dpa