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Wer hat Corona unter Kontrolle? Großbritannien verzweifelt, Südkorea hat Erfolg


Kampf gegen das Virus
Briten verzweifeln an Corona – Erfolgsmodell Südkorea

Von dpa, ds

Aktualisiert am 13.03.2020Lesedauer: 8 Min.
Premierminister Boris Johnson in einem Virenlabor: "Schlimmste Gesundheitskrise in einer Generation."Vergrößern des Bildes
Premierminister Boris Johnson in einem Virenlabor: "Schlimmste Gesundheitskrise in einer Generation." (Quelle: imago-images-bilder)

Mehr als 110 Länder sind inzwischen vom Coronavirus betroffen. Doch der Umgang mit dem Erreger ist unterschiedlich. Von der weltweiten Entwicklung lässt sich einiges lernen. Ein Überblick.

Das Virus Sars-CoV-2 fordert Gesundheitssysteme weltweit heraus und bedroht wirtschaftliche Existenzen. Angeführt wird die Statistik offiziell gemeldeter Infektionszahlen derzeit von China, Italien, Iran und Südkorea. Experten gehen allerdings davon aus, dass es in vielen Ländern eine hohe Dunkelziffer nicht erfasster Fälle gibt – etwa, weil es an den Möglichkeiten oder am Willen zu umfangreichen Tests fehlt. So ist die Situation in den einzelnen Ländern.

Deutschland: Wird eine Drosselung gelingen?

Ende Januar wird die erste Infektion bundesweit nach einer Fortbildung beim Autozulieferer Webasto in Bayern nachgewiesen, an der eine infizierte Frau aus China teilgenommen hat. Gut ein Dutzend Menschen stecken sich an. Dann bleibt es eine Weile ruhig. Wirklich in die Höhe gehen die Fallzahlen bundesweit erst, seit unter anderem das Urlaubsziel Italien mit einem schweren Ausbruch zu kämpfen hat. Entscheider stehen vor der schwierigen Aufgabe, den Bürgern die Ernsthaftigkeit der Lage zu verdeutlichen, ohne Panik zu machen. Immer gelingt das nicht, wie Hamsterkäufe in Supermärkten belegen.

Zahlreiche Infektionen sind bisher vor allem in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg nachgewiesen. Seit Dienstag ist kein Bundesland mehr ohne Fälle. Laut Robert Koch-Institut (RKI) sind Behörden – außer im besonders betroffenen Landkreis Heinsberg in NRW – noch in der Lage, Infektionsketten nachzuvollziehen. Gesundheitsämter spüren Kontaktpersonen von Infizierten auf, um diese zu isolieren. Ziel ist, die Ausbreitung von Sars-CoV-2 zu verlangsamen. So will man verhindern, dass auf einen Schlag eine große Zahl schwer kranker Patienten in Krankenhäusern versorgt werden muss.

RKI-Präsident Lothar Wieler schätzt, dass der Beginn der Epidemie hierzulande anders als etwa in Italien sehr früh erkannt wurde. Zeitlich sieht er Deutschland dadurch im Vorteil: Krankenhäuser etwa hätten sich vorbereiten können. Auch für die Wirtschaft sind schon umfangreiche Hilfen beschlossen.

Aber erst die nächsten Wochen werden zeigen: Gelingt es Deutschland besser als anderen Ländern, die Epidemie zu drosseln? Kanzlerin Merkel hat die deutsche Bevölkerung bereits aufgefordert, wo immer möglich auf Sozialkontakte zu verzichten. Auch "alle nicht notwendigen" Veranstaltungen mit weniger als 1.000 Teilnehmern sollten abgesagt werden. "Das ist ein Aufruf an alle", sagte Merkel. Zudem machen die ersten Bundesländer ab Montag alle Schulen und Kitas dicht – und gehen bis Ostern in Corona-Ferien.

China: Ursprungsland von Covid-19

Anfang Dezember, vielleicht auch schon im November treten in der chinesischen Millionenmetropole Wuhan zum ersten Mal Fälle einer bis dahin unbekannten Lungenerkrankung auf. Die Betroffenen haben gemeinsam, dass sie sich zuvor auf einem Tiermarkt aufhielten, der seitdem als Ursprung des neuartigen Coronavirus gilt. Es dauert bis zum 31. Dezember, bis die Fälle aus China offiziell an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeldet werden.

China reagiert nach anfänglichen Verzögerungen mit drastischen Mitteln. In der schwer betroffenen Provinz Hubei werden 60 Millionen Menschen faktisch unter Zwangsquarantäne gestellt. Im ganzen Land kommt das öffentliche Leben zum Stillstand. Unternehmen, Schulen und Universitäten schließen für Wochen. Nur langsam kehren die Menschen zur Arbeit zurück.

Es gibt erhebliche Kritik am Vorgehen der Regierung, der unter anderem Vertuschung vorgeworfen wird. Für Bestürzung sorgt etwa der Tod des Arztes Li Wenliang, der früh vor dem Ausbruch gewarnt hatte, aber laut Berichten gezwungen wurde, diese "Gerüchte" nicht weiter zu verbreiten. Auch werden kritische Äußerungen und Berichte in sozialen Medien streng zensiert und systematisch gelöscht.

Nach der offiziellen Statistik liegt die Zahl der bisher mit dem Virus Sars-CoV-2 Infizierten bei rund 80.000, mehr als 3.100 Todesfälle sind erfasst. Experten bezweifeln allerdings, dass die offiziellen Zahlen die wahre Lage widerspiegeln und gehen von einer hohen Dunkelziffer nicht erfasster Fälle aus.

Italien: Der überraschende Ausbruch in Europa

Erstmals nachgewiesen wird das Virus Ende Januar bei einem chinesischen Paar in Rom. Die Ruhe danach ist eine trügerische: Nachdem der Erreger am 21. Februar bei einem 38-Jährigen aus Codogno in der Lombardei nachgewiesen wird, steigt die Zahl der Nachweise auch in anderen Regionen rasant.

Bis zum 11. März werden mehr als 12.000 Fälle erfasst, mehr als 800 Menschen sterben. Die Dunkelziffer nicht erfasster Infektionen dürfte Experten zufolge sehr hoch sein. Angenommen wird, dass das Virus lange unbemerkt zirkulierte.

Italien ergreift so drastische Maßnahmen wie kein anderes Land in Europa. Mittlerweile ist das ganze Land Sperrzone. Man darf sich nicht mehr aus seinem Wohnort in andere Kommunen begeben. Nur wenn man zu seinem Arbeitsplatz will oder aus gesundheitlichen Gründen. Alle Museen und Sehenswürdigkeiten sind zu. Genauso wie Schulen, Kindergärten und Universitäten. Alle Sportveranstaltungen sind ausgesetzt.

Italien ordnet zudem an, dass Bars und Restaurants sowie fast alle Geschäfte geschlossen werden. Nur Supermärkte und Apotheken seien weiter geöffnet, erklärte Premierminister Giuseppe Conte am Mittwoch. Alle nicht notwendigen Geschäftsaktivitäten müssten eingestellt werden. Für die Wirtschaft sind die Maßnahmen eine Katastrophe. Der Norden ist das Herz der Wirtschaft, Mailand das Finanzzentrum. Hier steht praktisch alles still. Touristen gibt es kaum noch – und der Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes.

Mit weiter heftig steigenden Fallzahlen ist zu rechnen. "Leider sind wir erst am Anfang", warnt der Chef der Infektiologie am Mailänder Sacco Krankenhaus, Massimo Galli.

Iran: Wie ein Land es nicht machen sollte

Eine realistische Einschätzung der Situation im Iran fällt schwer. Der erste Fall im Land wird am 19. Februar in der heiligen schiitischen Stadt Ghom südlich von Teheran bekanntgegeben. Am gleichen Tag sterben dort zwei Männer an Covid-19. Zuvor hatte Gesundheitsminister Saeid Namaki mehrfach versichert, dass es im Iran keine einzige Coronavirus-Infektion gebe.

Rasch wird deutlich, dass die Situation wahrscheinlich nur in China schlimmer ist als im Iran. Wegen der Epidemie lässt die Regierung Schulen, Universitäten, Kinos und Theater schließen. Sogar die für das islamische Regime wichtigen Freitagsgebete werden abgesagt. Die iranische Wirtschaft – besonders das lukrative Geschäft vor dem Neujahrsfest am 20. März – wird lahmgelegt. Wegen Reiseverboten gibt es keinen Tourismus. Die meisten internationalen Fluggesellschaften haben ihre Flüge nach und von Teheran gestrichen.

Offiziell gemeldet sind bis 11. März 9.000 Infektionen und gut 350 Todesfälle. Das Gesundheitsministerium behauptet, der Öffentlichkeit transparente und genaue Informationen zu liefern. Viele im Iran und auch internationale Experten zweifeln jedoch daran und befürchten weitaus mehr Tote und Infizierte. Zudem steht der Vorwurf im Raum, dass der Ausbruch verzögert bekannt gegeben wurde, damit es bei der Parlamentswahl nicht zu einer niedrigen Wahlbeteiligung kommt.

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Der Umgang mit der Epidemie wird von den meisten Iranern scharf kritisiert. Zwar spielen die amerikanischen Sanktionen, die auch die Einfuhr von Medikamenten betreffen, eine wichtige Rolle bei der mangelhaften Behandlung von Patienten. Aber die Regierung hat es auch nicht geschafft, ausreichend Desinfektionsmittel, Schutzhandschuhe und Atemmasken zur Verfügung zu stellen.

Südkorea: Orientierungshilfe für Deutschland

Die Entwicklung in Südkorea ist für Deutschland besonders interessant, weil das Land ökonomisch und medizinisch vergleichbar gut aufgestellt ist. Die Gesundheitsbehörden melden am 20. Januar den ersten Nachweis. Betroffen ist eine Chinesin, die aus Wuhan einreiste. Einen Monat später steigen die Zahlen sprunghaft an. Betroffen ist vor allem die Millionenstadt Daegu und die umliegende Region. Die größte Häufung gibt es unter Anhängern der christlichen Sekte Shincheonji-Kirche Jesu, die in Daegu stark vertreten ist.

Die gegen die Epidemie gerichteten Maßnahmen schränken das soziale Leben stark ein. Konzerte und Festivals werden abgesagt, Museen und Büchereien bleiben geschlossen. Großunternehmen ordnen Heimarbeit an. Der Beginn des Schulhalbjahrs wird um eine, dann um zwei weitere Wochen verschoben. Die Regelung gilt auch für Kindergärten. Nationale und internationale Sportveranstaltungen werden verschoben.

Wie schon der Ausbruch der Atemwegserkrankung Mers vor fünf Jahren trifft die Covid-19-Epidemie in erster Linie die Tourismusbranche, Hotels und Gastronomie, den Einzelhandel und den Unterhaltungssektor. Die Wirtschaft verlangsame sich allgemein, schreibt das staatliche Korea Development Institute (KDI) diese Woche in seinem monatlichen Ausblick.

Bis zum 11. März werden gut 7.700 Infektionen und 60 Todesfälle erfasst. Die Sterberate von Covid-19 liegt demnach bei 0,77 Prozent – wenn man davon ausgeht, dass im Land tatsächlich auch milde Verläufe vollständig erfasst werden. "Ich denke, wir konnten fast alle Fälle in Korea erfassen, darunter auch milde und symptomlose Fälle", sagt Kim Dong Hyun von der Koreanischen Gesellschaft für Epidemiologie. Südkorea sei in dieser Hinsicht ein Ausnahmefall.

Die Behörden sehen ihre "Kampagne der sozialen Distanz" als wichtige Maßnahme. Daneben wird auf transparente Informationsweitergabe und den Ausbau der Testkapazitäten verwiesen. "Wir sehen Erfolge in unseren Bemühungen, die Ausbreitung der Infektionskrankheit einzudämmen", sagt Vize-Gesundheitsminister Kim Gang Lip am Montag. Die Situation komme zusehends unter Kontrolle. Es sei noch zu früh, von Erfolgen zu sprechen, hält Experte Kim Dong Hyun dagegen. "Die Übertragung in den Gemeinden geht weiter".

Diplomatische Verstimmungen gibt es mit Japan. Als Reaktion auf die Entscheidung Tokios, Besucher aus Südkorea für zwei Wochen unter Quarantäne zu stellen, kündigt Seoul an, das Programm für visafreies Reisen für Touristen aus dem Nachbarland auszusetzen.

Japan: Das Land der Olympischen Spiele

In Japan wird am 16. Januar ein erster Sars-CoV-2-Nachweis bestätigt – rund ein halbes Jahr vor den in Tokio geplanten Olympischen Spielen. Betroffen ist ein in Tokios Nachbarprovinz Kanagawa lebender Chinese, der aus Wuhan zurückkehrte. Das erste Todesopfer meldet Japan am 13. Februar – bis zum 11. März werden es nach offizieller Statistik 19 sein.

Sieben davon sind Crewmitglieder oder Passagiere von Bord des Kreuzfahrtschiffes "Diamond Princess", das zwei Wochen lang in Yokohama unter Quarantäne steht. Experten beschreiben es als Brutstätte für Infektionen: Rund 700 Menschen stecken sich an Bord an.

Hinzu kommen Hunderte Infektionen in Japan selbst. Kritiker werfen der Regierung vor, nicht ausreichend zu testen – wohl, um die Zahl bekannter Infektionsfälle niedrig zu halten. Überhaupt sieht sich die Regierung des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Shinzo Abe mit harscher Kritik wegen ihres zunächst unzureichenden Umgangs mit der Epidemie konfrontiert. Zudem mangele es an einem kompetenten Führungsteam und an Kooperation innerhalb der staatlichen Bürokratie.

Angesichts der Kritik gibt Abe plötzlich drastische Maßnahmen bekannt: Alle Schulen werden für einen Monat bis zu den Ferien geschlossen, die Bürger sollen möglichst von zu Hause aus arbeiten. Große Sport- und Kulturveranstaltungen sollen abgesagt oder verschoben werden. Millionen Visa für Chinesen und Südkoreaner werden für ungültig erklärt.

Experten vermuten, dass Abe so die drohende Absage der Olympischen Spiele noch verhindern will. Ohnehin wird weiterer Schaden für die Wirtschaft befürchtet, der schon zuvor eine Rezession drohte. So machen Chinesen und Südkoreaner eigentlich rund die Hälfte aller Touristen in Japan aus. Japans Visa-Maßnahme droht zudem, die angespannten Beziehungen zu Südkorea weiter zu beeinträchtigen.

Noch "mehrere Monate bis zu einem halben Jahr, oder sogar über das Jahresende hinaus" könne die Epidemie dauern, schätzt Kazuhiro Tateda, Präsident der Japanese Association of Infectious Diseases. Sars-CoV-2 könne möglicherweise anders als Influenzaviren auch wärmeres Wetter überleben.

Großbritannien: Von der "schlimmsten Gesundheitskrise" überrascht

In Großbritannien haben sich nach Einschätzung von Medizinern bereits bis zu 10.000 Menschen mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 angesteckt. Angesichts dieser Lage gibt es starke Kritik am Krisenmanagement der Regierung. Der frühere Gesundheitsminister Jeremy Hunt zeigte sich "überrascht und besorgt", dass Großbritannien nicht schneller handele und zum Beispiel Großveranstaltungen verbiete. Dies sei ein äußerst kritischer Zeitpunkt, sagte der Vorsitzende des Gesundheitskomitees im Unterhaus am Donnerstagabend in einem Interview des Senders Channel 4.

Boris Johnson: Veranstaltungsverbote derzeit nutzlos

Premierminister Boris Johnson hatte zuvor angesichts der von Regierungsberatern präsentierten Schätzungen von der "schlimmsten Gesundheitskrise in einer Generation" gesprochen. Viele Familien würden Angehörige frühzeitig verlieren. Trotzdem seien Maßnahmen wie Schulschließungen noch nicht angebracht: "Die gefährlichste Situation ist nicht jetzt, sondern in einigen Wochen." Menschen mit Husten oder Fieber sollten sich aber eine Woche lang zu Hause selbst isolieren.

In Großbritannien ist die Sorge besonders groß, weil das staatliche Gesundheitssystem NHS (National Health System) als chronisch überlastet und marode gilt. Die Parlamentarierin Rosena Allin-Khan von der oppositionellen Labour-Partei berichtete, dass es noch nicht einmal genügend Schutzkleidung für Mediziner gebe. Auch Allin-Khan arbeitet als Ärztin in der Notaufnahme. In Großbritannien sind bislang mehrere Hundert Menschen positiv auf das Virus getestet worden. Mindestens zehn starben an der Lungenkrankheit Covid-19.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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