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Brexit: Johnson will offenbar Parlament suspendieren – "Zutiefst undemokratisch"


Zwangspause für das Parlament
Nach Johnsons Coup wird ein Misstrauensvotum wahrscheinlicher

Von afp, dpa, reuters, rok

Aktualisiert am 28.08.2019Lesedauer: 3 Min.
Boris Johnson wagt viel: Für einen Brexit nach seinen Vorstellungen will er das Parlament suspendieren.Vergrößern des Bildes
Boris Johnson wagt viel: Für einen Brexit nach seinen Vorstellungen will er das Parlament suspendieren. (Quelle: imago-images-bilder)

Der britische Premier will das Parlament beurlauben – um seine Pläne für einen No-Deal-Brexit durchziehen zu können. Es ist nicht klar, ob sich die Abgeordneten dagegen wehren können.

Knapp zwei Monate vor dem geplanten EU-Austritt hat der britische Premierminister Boris Johnson eine vorübergehende Schließung des Parlaments beantragt. Das Unterhaus soll ab Mitte September für gut vier Wochen die Tore schließen - nach Johnsons Darstellung, um das Regierungsprogramm vorzubereiten, das die Königin am 14. Oktober präsentieren soll. Gegner eines Brexits ohne Austrittsabkommen werfen ihm vor, er wolle der Opposition nur die Chance rauben, einen EU-Austritt ohne Abkommen am 31. Oktober per Gesetz zu verhindern.

Das bezeichnete Johnson als "vollkommen unwahr". Abgeordnete meinten, damit wachse die Aussicht auf einen Misstrauensantrag gegen den erst seit rund fünf Wochen amtierenden Johnson, wenn das Parlament nächste Woche aus der Sommerpause kommt.

"Zutiefst undemokratisch"

Was Johnson nun plant, wird auch "proroguing" genannt und bedeutet, dass die Abgeordneten zwar ihre Sitze behalten, aber keine Debatten und Abstimmungen – also auch kein Misstrauensvotum – stattfinden können. Vertagt wurde ein Parlament zuletzt 1948. Nur so war es damals möglich, ein Gesetz zur Beschränkung der Macht des Oberhauses durchzusetzen.

Parlamentspräsident John Bercow war empört. Johnsons Pläne seien ein "Frevel gegen die Verfassung". "Wie auch immer man es verpackt, es ist ganz offensichtlich, dass die Absicht hinter einer Sitzungsunterbrechung zu diesem Zeitpunkt wäre, das Parlament von einer Brexit-Debatte (...) abzuhalten", teilte er mit. Bercow hatte schon vor Wochen Widerstand "bis zum letzten Atemzug" gegen den Versuch angekündigt, das Parlament zu umgehen.

Der frühere Schatzkanzler Philip Hammond twitterte: "Zutiefst undemokratisch." Es sei eine Schande, wenn das Parlament davon abgehalten werde, der Regierung in Zeiten einer nationalen Krise auf die Finger zu schauen. "Der heutige Tag wird als schwarzer Tag für die Demokratie in Großbritannien in die Geschichte eingehen", schrieb die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon auf Twitter - wenn es den Abgeordneten nicht gelinge, Johnsons Pläne zu stoppen.


Eine Parlamentsschließung vor der Präsentation eines neuen Regierungsprogramms ist üblich. Die Zustimmung der Königin dazu gilt als Formsache. Allerdings dauert diese Pause in der Regel nicht wie in diesem Fall mehr als vier Wochen.

Johnson will unbedingt an dem Brexit-Datum 31. Oktober festhalten. Er verlangt aber neue Verhandlungen über das von seiner Vorgängerin Theresa May ausgehandelte EU-Austrittsabkommen, das mehrfach im Unterhaus gescheitert ist. Die EU schließt neue Verhandlungen aus. Johnson will in dem Fall ohne Abkommen ausscheiden.

Der Backstop bleibt der Knackpunkt

Knackpunkt ist der sogenannte Backstop, eine Klausel, die Großbritannien so lange an bestimmte EU-Regeln bindet, bis eine andere Lösung zur Vermeidung von Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland gefunden ist. London sieht darin inakzeptable Fesseln.

Johnson wehrte sich gegen den Vorwurf, er wolle das Parlament aushebeln. Das Unterhaus werde genügend Zeit haben, vor dem geplanten EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober über das Programm der Regierung und ihren Umgang mit dem Brexit zu debattieren. "Wenn es mir gelingt, einen Deal mit der EU auszuhandeln, hat das Parlament die Gelegenheit, das zur Ratifizierung eines solchen Deals nötige Gesetz vor dem 31. Oktober zu verabschieden."

"Boris Johnson versucht, die Königin auszunutzen"

Oppositionsführer Jeremy Corbyn hatte sich mit anderen Gegnern eines No-Deal-Brexits erst am Dienstag darauf verständigt, zu versuchen, ein Ausscheiden ohne Deal per Gesetz zu verhindern. Die Opposition hofft dabei auf Unterstützung von Konservativen, die ebenfalls nicht auf Johnsons Linie liegen. Für ein langwieriges Gesetzgebungsverfahren dürfte die Zeit aber nun knapp werden. Er sei entsetzt über die Rücksichtslosigkeit der Regierung, teilte Corbyn mit. Die geplanten Schritte seien eine Bedrohung der Demokratie.

Der Konservative Dominic Grieve, der vehement gegen einen Austritt ohne Abkommen ist, sagte der BBC, es falle ihm schwer, Vertrauen in die Regierung zu behalten. Johnsons Schritt mache ein Misstrauensvotum wahrscheinlicher. "Boris Johnson versucht, die Königin auszunutzen, um Macht in seinen eigenen Händen zu konzentrieren", schrieb die Labour-Abgeordnete Yvette Cooper.


Ungeachtet des Verfassungsstreits in Großbritannien will die EU-Kommission mit der britischen Regierung an einem vertraglich geregelten Brexit arbeiten und erwartet dafür neue Ideen aus London. "Je schneller wir umsetzbare Vorschläge sehen, desto besser", sagte eine Kommissionssprecherin am Mittwoch in Brüssel. Die innenpolitischen Entwicklungen in Großbritannien werde man nicht kommentieren.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa, AFP
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